Lebensbilder

Blindgänger

Blindgänger

In Hamburg führt der Fund eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg auch zum zwischenmenschlichen Ausnahmezustand. Während Anwohner:innen und das Team des Räumkommandos mit Ängsten und Traumata hadern, entwickeln sich im Chaos zarte Momente der Nähe. „Blindgänger“ von Kerstin Polte ist eine gesellschaftliche Momentaufnahme, die sanft von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit erzählt. Ein Film über Menschen, die straucheln und stürzen; die sich verletzen und sich dennoch gegenseitig helfen. Unsere Autorin Barbara Schweizerhof ist beeindruckt: Polte gelinge es, „ihren Plot wunderbar organisch erscheinen zu lassen.“ Im Mai ist der Film in der Queerfilmnacht zu sehen.
Klandestin

Klandestin

Für ihren schwulen britischen Künstlerfreund versteckt eine rechtskonservative Politikerin in Frankfurt einen Geflüchteten aus Marokko in ihrer Wohnung, ihre Assistentin soll kulturell vermitteln. Angelina Maccarone nähert sich dem großen Thema Migration in ihrem neuen Thriller „Klandestin“ aus vier Perspektiven und lässt die Sehnsucht nach persönlichem Glück kühl mit politischen Realitäten kollidieren. Christian Horn über ein filmisches Gedankenkonstrukt, das vor allem im Finale große Kraft findet.
The Celluloid Closet (1996)

The Celluloid Closet (1996)

Hollywood war immer queer! Doch bis 1968 war die Darstellung von Homosexualität im Kino verboten. Filmemacher:innen schafften es trotzdem immer wieder, queeres Begehren auf die Leinwand zu bringen. In „The Celluloid Closet“ (1996) blicken Rob Epstein und Jeffrey Friedman zurück auf 100 Jahre Filmgeschichte und rekonstruieren die Zeichen, Subtexte und Stereotypen des queeren Hollywoodkinos – mit Material aus 120 Filmklassikern sowie den Stimmen von Zeitzeug:innen wie Gore Vidal, Richard Dyer und Whoopi Goldberg. Jetzt ist der Film in digital restaurierter Fassung erhältlich. Beatrice Behn über ein hochgradig aktuelles Manifest, das offenlegt, wie weit sich das queere Mainstream-Kino entwickelt hat - und was dabei an Subversivität und Radikalität verloren gegangen sein könnte.
Love Club

Love Club

Dem queeren „Love Club“ in Mailand droht die Schließung. Vier Stammgäste stehen noch vor ganz anderen Herausforderungen: Wird Luz einen Weg für die Beziehung mit ihrer Freundin finden? Wird Tim seinem Traum als DJ folgen? Wird Rose sich trauen, auf der Bühne zu singen? Und wird Zhang die Dragqueen sein, die er schon immer sein wollte? Der Love Club ist die Bühne für ihr Leben: Ein Ort für Freundschaft, Liebe, Sex und viele unerwartete Wendungen. Die vierteilige Miniserie „Love Club“ ist eine Feier der queeren Partykultur, ihrer Sehnsüchte und Träume. Jetzt ist der italienische Hit als VoD in Deutschland zu sehen. Eine Serie, „die den Rausch der Nacht zelebriert und tagsüber die Scherben aufkehrt“, findet unser Autor Christian Horn.
Lesvia

Lesvia

Seit den 1970er Jahren zieht es Lesben aus aller Welt auf die Insel Lesbos, zum Geburtsort der antiken griechischen Dichterin Sappho. In dem Küstendorf Eressos entstand in den folgenden Jahrzehnten eine aktive lesbische Gemeinschaft, in der Frauen endlich offen und frei leben und lieben konnten. Die Künstlerin und Regisseurin Tzeli Hadjidimitriou wurde auf Lesbos geboren und sammelte für ihren Film „Lesvia“ jahrzehntelang Material, O-Töne, Anekdoten, Reisegeschichten, Fotos, Interviews und andere Belege von Lesbos und deren Besucherinnen aus aller Welt. Unsere Autorin Manuela Kay war selbst schon auf der Insel. Für sie ist „Lesvia“ nicht nur die faszinierende Erkundung eines lesbischen Sehnsuchtsorts und seiner Gemeinschaft, sondern auch ein Geschichtsfilm über 40 Jahre lesbischer Entwicklung in Europa, der zu unserer Grundausbildung gehören sollte. Im April ist er in der Queerfilmnacht zu sehen!
Escape to Life (2000)

Escape to Life (2000)

Erika Mann und ihr Bruder Klaus – die begabten Kinder des übermächtigen „Zauberers“ Thomas Mann – waren unzertrennlich. Ihre schillernden Biografien sind Ausdruck ihrer Zeit: Sie waren Schriftsteller:innen, homosexuelle Bohemiens, Schauspieler:innen, Reisende und überzeugte Antifaschist:innen. „Escape to Life“ erzählt die dramatische Lebensgeschichte des Geschwisterpaares und versammelt dabei die ganze Spannung, Hoffnung und Tragödie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sich: die liberalen 1920er Jahre, der Kampf gegen das Hitler-Regime und die Heimatlosigkeit. Andrea Weiss („Paris Was a Woman“) und Wieland Speck („Westler“) erzählen die eng verflochtenen Biografien von Klaus und Erika in gekonntem Wechsel von seltenen Archivaufnahmen, Interviews mit Zeitgenossen und Spielszenen nach Motiven von Klaus Mann. Andreas Wilink über eine faszinierende, vielschichtige Hommage an ein ungewöhnliches Geschwisterpaar, die sich jetzt in digital restaurierter Fassung neu entdecken lässt.
Die Konsequenz (1977)

Die Konsequenz (1977)

Wolfgang Petersens kontroverse Verfilmung des autobiografischen Romans von Alexander Ziegler mit Jürgen Prochnow und Ernst Hannawald in den Hauptrollen wurde 1978 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Im Jahr zuvor hatte der Bayerische Rundfunk die Ausstrahlung in der ARD noch boykottiert. „Die Konsequenz“ erzählt die Geschichte des Schauspielers Martin, der sich im Gefängnis in Thomas, den Sohn eines Aufsehers verliebt. Nach Martins Entlassung ziehen die beiden zusammen, Thomas Eltern erzwingen daraufhin dessen Einweisung in eine Erziehungsanstalt. Martin muss miterleben, wie der sensible junge Mann dort mehr und mehr zerbricht. Andreas Wilink über einen Film, der die düstere gesellschaftliche Realität für schwule Männer Ende der 70er nachbildet – und teilweise noch immer aktuell ist.
Ludwig II. (1973)

Ludwig II. (1973)

Mit nur 18 Jahren besteigt Ludwig II. im Jahr 1864 den bayrischen Thron. Sein Interesse gilt weniger der Diplomatie als den schönen Künsten. Er wird zum großzügigen Förderer von Künstlern und Musikern, allen voran Richard Wagners. Ludwig wird von weiten Teilen seines Volks innig geliebt, ist aber vielen Politikern ein Dorn im Auge, weil er sich kaum um Regierungsgeschäfte kümmert und stattdessen riesige Prachtbauten beauftragt, die Unsummen verschlingen. Bei seiner Cousine Elisabeth „Sissi“ von Österreich findet er eine Seelenverwandte, die seine Liebe jedoch zurückweist. Sissi erkennt das Unheil, auf das ihr Cousin zusteuert, und drängt auf eine Verlobung mit ihrer Schwester Sophie. Aufgrund seiner „Verschwendungssucht“ wird Ludwig schließlich für geisteskrank erklärt und entmachtet. Er stirbt 1886 vereinsamt und unter mysteriösen Umständen am Starnberger See. Mit „Ludwig II.“ hat Luchino Visconti 1973 seine Deutschland-Trilogie abgeschlossen – und dem bayrischen Märchenkönig ein abgründiges filmisches Denkmal gesetzt. Viscontis Partner Helmut Berger glänzt als Regent, der sich zunehmend seinem homosexuellen Begehren hingibt und allmählich verfällt. Bergers Ludwig geht an einen Ort, an den ihn keiner mehr versteht, und der doch zugänglich erscheint, weil Visconti ihm nicht nur bereitwillig, sondern leidenschaftlich folgt. Carolin Weidner über ein filmisches Meisterwerk des Aufbegehren in der durchlebten Agonie.
Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte

Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte

In welcher Welt lebe ich? Wer bin ich? Wie möchte ich leben? Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 stellt sich die junge Fotografin Libuše Jarcovjáková genau diese Frage und versucht mit ihren Bildern den Zwängen des repressiven tschechoslowakischen Regimes zu entkommen. Sie geht auf die Straßen von Prag, in verstaubte Kneipen, zur Nachtschicht in eine Druckerei, in die Communities der Roma und vietnamesischen Migrant:innen. Schnappschüsse von Nacktheit, Sex und Alkohol wechseln sich ab mit Bildern von Lethargie und Restriktionen. Aus einem Werk von zehntausenden Negativen und dutzenden Tagebüchern hat Klára Tasovská einen poetischen Filmessay montiert. „Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“ erzählt von einem besonderen Künstlerinnenleben und einer bewegenden Reise in die Freiheit, die sich über sechs Jahrzehnte spannt und von der sowjetisch „normalisierten“ ČSSR der späten 1960er und frühen 70er über das Ost-Berlin der 80er bis ins Prag nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und von heute führt. Ab heute ist der Film im Kino zu sehen. Alexandra Seitz über die tiefschürfende (Selbst-)Beobachtung einer großen Fotografin.
Milk (2008)

Milk (2008)

Harvey und sein Partner Scott haben vom Leben in New York die Nase voll und ziehen 1972 nach San Francisco. Dort entdeckt Harvey seinen Hang zur Politik: Sein Anliegen sind die Interessen der kleinen Leute seines Viertels – und die der schwulen Community. 1977 schafft Harvey bei der Wahl schließlich den Einzug in den Stadtrat. Kaum im Amt, stößt er eine Vielzahl von politischen Initiativen an, womit er sich nicht nur Freunde macht. Sein Stadtratkollege Dan White entpuppt sich schließlich als erbitterter Todfeind. Mit dem Biopic „Milk“ setzte Gus Van Sant dem Politiker Harvey Milk, der 1977 als erster offen schwuler Mann in ein wichtiges Amt gewählt wurde, ein filmisches Denkmal. Wenige Tage vor der Bundestagswahl erinnert Stefan Hochgesand an einen schwulen Wahlkämpfer, dessen politische Botschaft auch über 45 Jahre nach seiner Ermordung nichts an Relevanz verloren hat – und an einen queeren Meilenstein des Hollywoodkinos.