Teaches of Peaches

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„Suckin’ on my titties like you wanted me!“ Seit über zwei Jahrzehnten singt und performt die kanadische Musikerin, Produzentin und Regisseurin Peaches gegen Genderstereotypen an, stellt soziale Normen infrage und dekonstruiert patriarchale Machtstrukturen. Philipp Fussenegger und Judy Landkammer haben der nicht-heteronormativen Künstlerin par excellence nun einen Dokumentarfilm gewidmet. Mit Hilfe von noch nie veröffentlichtem Archivmaterial und neuen Interviews mit ihr und früheren Weggefährt:innen wie Chilly Gonzales und Leslie Feist zeichnen sie Peaches’ künstlerische Entwicklung von der Nachwuchsmusikerin in Toronto bis zu vor allem in queer-feministischen Kreisen gefeierten Electroclash-Ikone in Berlin nach. Der Film gibt zudem intime Einblicke in Peaches’ „The Teaches of Peaches Anniversary Tour“ – von der Ideenfindung für die Bühnenshow über die Proben bis hin zu den intensiven Live-Shows. Noemi Yoko Molitor geht bei Peaches gerne zur Schule.

Foto: farbfilm verleih

Me and My Machine

von Noemi Yoko Molitor

„Teaches of Peaches“ beginnt mit einem leisen, aber bestimmten Quietschen auf Peaches’ Probebühne in ihrer Wahlheimat Berlin. Für ihren Dokumentarfilm begleiteten Philipp Fussenegger und Judy Landkammer die kanadische Musikerin und ihre Crew bei den Vorbereitungen für die „The Teaches of Peaches Anniversary Tour“, mit der die Electroclash-Ikone 2022 die letzten 20 Jahre ihrer Karriere als Musikerin, Produzentin und Bühnenperformerin wieder auf der Bühne aufleben lässt. Zur Zeit der Tour ist Peaches 56 Jahre alt, der „Squeeky“-Sound begleitet einen Walker, mit dem sie auf dieser Tour die Bühne betreten wird. Peaches behauptete Anfang der 2000er mit ihren sexpositiven Texten und Punk-Performances die Autonomie der weiblichen Sexualität.

Im Zentrum ihrer Songtitel und Lyrics, ihrer Outfits, Kostüme und Musikvideos und nicht zuletzt ihrer radikal physischen Performances auf der Bühne stand die Lust weiblich identifizierter Menschen. Diese Lust wird Frauen*, die als „älter“ gelten, heute abermals abgesprochen. Peaches schwingt den Walker also nicht als Parodie aufs Alter, für die die Gehhilfe in Comedy-Sketchen oft genutzt wird, sondern sie zelebriert die quietschenden Reifen ebenso wie die eigenen knackenden Knochen, die noch so einiges drauf haben. Wie die Live-Auftritte, die in der zweiten Hälfte des Dokumentarfilms zu sehen sind, zeigen, verausgabt Peaches sich auf der Bühne wie sie es eh und je getan hat. Warum sollte sie dies auch nicht tun. Was bei Künstler:innen über 50 gerne mit „Wonder Woman“-Erzählungen kommentiert wird, in denen immer ein Stückchen Paternalismus mitschwingt, ist bei Peaches schlicht jahrelange Erfahrung als Rampensau.


Während der Film das Team bei den Proben für die große Tour filmt, begleiten weitere Zeitspuren das Gezeigte. Zu Beginn des Films sehen wir eine junge Peaches bei einer ihrer Musiksessions, die sie Anfang der 1990er für Kinder anbot. Die Gitarre, so erzählt sie, war das Werkzeug, das die Aufmerksamkeit sofort bündelte. Im Rückblick ist dies für sie auch eine Zeit, in der sie noch dachte, dass nur jemand, die:der Musik studiert hatte, wirklich Musiker:in werden könnte. Die Akustikgitarre tauschte sie schließlich gegen ihren Sequenzer ein, mit der sie ihre Sounds im DIY-Verfahren stur auf 120 BPM mixte. Bis sie mit diesem unverkennbaren Drumcomputer-Sound zum Headliner werden würde, sollte es noch einige Jahre dauern. „Damals verstanden die Menschen mich und meine Maschine nicht“, erinnert sie sich.

Weitere Zeitachsen speisen sich aus Archivaufnahmen von Fernsehberichten- und interviews: Peaches wird einige Jahre später – ihr Lied „Fuck the Pain Away“ ist inzwischen zur Hymne geworden – in der Badewanne interviewt und trägt eine Visor-Cap auf dem Kopf, auf der in Strassteinen das Wort „Peachy“ buchstabiert ist. In einem Interview für den deutschen Musiksender VIVA aus dem Jahr 2000, erzählt Peaches begeistert von Super-8-Kameras, mit denen man improvisieren und in nur zwei Stunden einen Film drehen kann.

Für den Dokumentarfilm hat Peaches ebensolche Super-8-Aufnahmen aus ihrem Privatarchiv mit dem Filmteam geteilt, die sie selbst als Filmemacher:in erlebbar machen. Sie erzählt aus der Zeit als sie mit einem Kollektiv namens „Two Four Five“ kurze Filme drehte, immer mit dem Ziel auszutesten, wie weit man in einer Performance gehen und wie viel man am Stück drehen konnte, um einen Film so wenig wie möglich schneiden zu müssen.

Foto: farbfilm verleih

Der Film von Fussenegger und Landkammer ist selbst als Collage angelegt, als Remix, in dem sich die Jahre überlagern und sich die Jetztzeit mit Aufnahmen einer jüngeren Peaches mischt. Szenen aus Musikvideos und Footage von Live-Konzerten fließen ineinander. Peaches steckt sich einen Telefonhörer in die Unterhose, in der nächsten Szene ein Mikrofon. Wir sehen sie für die Anniversary-Tour mit dem Walker über die Bühne schleichen, das Mikro klemmt noch in der Handtasche.

Bei Peaches geht es bis heute um eine queere, sexuelle Selbstbestimmung, aber auch um die Absurdität sich in Endlosschleife wiederholender Gendernormen, die sie – tief im Camp verwurzelt – so lange aufführt, übertreibt und ausreizt, bis sie für eine Zeit lang ins Humorvolle übergeht. In einem ihrer Super-8-Filme steckt sie sich große Augenbälle aus einen Scherzartikelladen in die pink glänzende Leggins und lässt sie um die Beine schaukeln. Im Punk, wie Peaches ihn aufführt, ist Erotik in einem Moment verschrabbelt und absurd wie in dieser Szene. Doch genau solche Szenen rufen in Erinnerung, wie Peaches im Musikvideo zu ihrem Song „Downtown“ von 2006 nicht weniger überzeugend den Bildschirm als Femme-Fatale-Figur beherrschte, die sich effortless einen Anzug überstreift, bis sich Boi- und Femme-Drag in einem Aufzug auf der Spiegelachse begegnen.

Foto: farbfilm verleih

Was im queeren Underground sofort verstanden wurde und maßgeblich zur Verschiebung der Praxis beigetragen hat, wie Musiker:innen heute ihre Sexualität ins Bild setzen, war in den 2000er im Mainstream kaum denkbar. Dass es nicht verstanden wurde, wäre euphemistisch; vielmehr versuchte die Musikindustrie Peaches’ Ansatz aktiv zu deckeln. So erzählt Peaches im Film, wie sie sich nicht nur küssende Frauen für ein Musikvideo wünschte, sondern auch küssende Männer. Damals lautete die Antwort noch: „Sowas machen wir nicht.“

Eine Archivaufnahme aus Großbritannien zeigt, wie Peaches für die Musiksendung „Top of the Pops“ inmitten des für das Format typischen jungen Publikums steht und ihr Lied „Set It Off“ performt. Die Sendung wurde am Ende nicht ausgestrahlt. SONY zog ihr Album „The Teaches of Peaches“ für 18 Monate aus dem Verkehr. Wie Shirley Manson, Frontsängerin der Band Garbage, beobachtet, war der Mainstream Anfang der 2000er nicht bereit für eine politische Musikerin, die sich lustvoll mit destruktiven Frauenbildern auseinandersetzt. Wie Peaches es selbst im Rückblick ausdrückt, war der androzentrische, weiße Mainstream kein Sehnsuchtsort, für den sie bereit gewesen wäre, sich anzupassen: „Ich habe immer gesagt, ich will das der Mainstream sich mir annähert.“

Einige der schönsten Momente des Films bieten die Interviews mit Weggefährt:innn, darunter Chilly Gonzales, der von den Anfängen in Berlin mit der gemeinsamen Band „The Shit“ berichtet. Oder Feist, die sich Ende der Neunziger mit Peaches eine Wohnung teilte, auf Peaches’ Touren als „Bitch Lap-Lap“ im Backstage umherschwirrte und im Musikvideo zu „Lovertits“ genüsslich ein Motorrad ableckte. Man hört Shirley Manson gerne dabei zu, wenn sie sich liebevoll daran erinnert, wie sie selbst Peaches zu Beginn von deren Karriere wahrnahm. Wie Manson es ausdrückt, war es für sie damals eindrucksvoll und auch einzigartig, wie Peaches Objektivierung und Scham problematisierte und diesen Schemata nicht nur eine queere, weiblich identifizierte Sexualität entgegensetzte, sondern diese feierte und mit Lust besetzte. Ein ganz besonderer Weggefährte ist der multidisziplinäre Video- und Soundkünstler Black Cracker, der nicht nur als Peaches’ Partner zu Wort kommt, sondern auch als Kollaborateur.

Foto: farbfilm verleih

Und so geht es schließlich mit dem Film auf die große Anniversary-Tour. Der Kostümdesigner und Hairstylist Charlie Le Mindu, der mit 15 anfing, in Berliner Clubs Haare zu schneiden, verpasst der Crew neue Frisuren. Peaches sitzt mit blauer Paste auf dem Kopf im Sessel, ihre Haare werden blondiert. Der Gitarristin und Tänzerin Bláthin rasiert Le Mindu nur die Kopfmitte kurz und färbt sie blond, die dunklen Haare rechts und links lässt er stehen. Die neuen Haarschnitte sind ein Ritual, das Peaches und ihren Tänzer:innen hilft, das Alltagsleben zu verlassen und sich symbolisch auf die Tour einzuschwören. Ein Crewmitglied hebt ihre abgeschnittenen Haare auf, sie werden später von einem Künstler zu Pinseln verarbeitet. Auch das ist DIY und könnte im Kontext von Peaches’ Aktivismus für Tierrechte passender nicht sein.

Peaches, die von Anbeginn ihrer Live-Auftritte die Schamhaare sichtbar stehen ließ, holt im Film ihre legendären Haarkostüme aus Kisten hervor, darunter auch ein blondes Modell, das sie auf der Anniversary-Tour wieder tragen wird, komplett mit einem wörtlich zu nehmenden Brustpanzer. Le Mindu, der sich genüsslich als trichophil, also als Haarfetischist, bezeichnet, hatte das Kostüm für das Le-Crazy-Horse-Saloon-Kabarett in Paris entworfen, bevor es Peaches für ihren Bühnenfundus überlassen wurde. Je mehr Teile des Haarkostüms, das durch einen passenden Haarhelm ergänzt wird, sie sich im Proberaum anlegt, desto konzentrierter wird auch Peaches Blick. Wenn man so will, haben wir es in dieser Szene für einen Moment mit der Privatperson Merill Nisker zu tun. Sie schaut sich im Spiegel in die eigenen Augen, lässt die Mimik spielen und transformiert sich vor uns in Peaches.

Foto: farbfilm verleih

Cut zu einem gigantischen Konzertsaal auf der Anniversary-Tour. Peaches singt „Stay in School“ und muss das Publikum nicht lange bitten. Tausend Stimmen singen ihr entgegen: „Cause it’s the best!“ Peaches hebt das Stagediving aufs nächste Level: Sie schmeißt sich nicht einfach dem Publikum entgegen, sie läuft mit ihren Füßen über die Hände, die sich ihr entgegenstrecken. Die Worte von Black Cracker hallen nach: „Jesus walks on water and Peaches walks on you.“ Peaches stapft über die Hände, es wackelt, sie stapft weiter. Es ist rührend, wie im Film, gut 20 Jahre nach Peaches’ Elektro-Clash-Punk-Anfängen, das Publikum mit Peaches und ihrer Band gemeinsam feiert.

Peaches und Black Cracker leben in der Gegenwart des Films mit zwei Katzen zusammen. In der letzten Szene streift die orangefarbene Katze Peaches um die Beine, das Paar hat sie nach der Drag Queen Miss Vangie benannt. Peaches krault ihr das Garfield-Gesicht und grinst. „I’m a weird cat lady now.“

Im Abspann hören wir Peaches noch einmal bei einer Session in der Kindertagesstätte. „Shake your bag of bones“, singt sie. Die Kinder schütteln sich zur Musik und laufen um Masken herum, die über den Boden verstreut sind: „Wenn die Musik aufhört, wisst ihr, welche Rolle ihr haben werdet!“ Dieser auditive Rückblick, der den Körper als Behälter von Knochen aufruft, antizipiert hier noch einmal sanft die spielerische Haltung, mit der Peaches später unsere Gewissheiten über Gender, Performativität und Körperlichkeit dekonstruieren wird. Teach me, Peaches!




Teaches of Peaches
von Philipp Fussenegger & Judy Landkammer
DE 2024, 102 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Ab 9. Mai im Kino