Like It Is (1998)

TrailerDVD/VoD

Craig ist 21 und verdient sein Geld mit illegalen Boxkämpfen im rauen Arbeiterviertel von Blackpool. Dass er auf Typen steht, soll hier keiner wissen. Doch nach einem One-Night-Stand mit dem coolen Musikmanager Matt erwacht in ihm die Sehnsucht, das Leben in der schwulen Metropole London kennenzulernen. Er folgt Matt in die wilde Clubszene Sohos, doch nach einer exzessiven Zeit mit Sex, Drogen und Techno bröckelt die Fassade ihrer Beziehung. Mit viel nackter Haut, pulsierendem Pop und einer aufwühlenden Liebesgeschichte avancierte Paul Oremlands „Like It Is“ 1998 zum Kulthit und gilt heute als Klassiker des britischen Queer Cinemas. Christian Lütjens über eine schnelle und harte Nineties-Ballade mit zeitlosem britischem Lad-Charme, die schwules Leben mit einer Selbstverständlichkeit behandelt, die noch immer beispielhaft ist.

Foto: Salzgeber

Boxer ohne Handschuhe

von Christian Lütjens

Wochenende am Central Pier von Blackpool. Ein junger Mann treibt an den blinkenden Fassaden der Amüsierschuppen vorbei, zwischen kreischenden Party-Girls und prügelnden Halbstarken hindurch. Kalter Wind weht ihm ins Gesicht, betrunkene Touristen rempeln ihn an, das Chaos der Nacht im Vergnügungsviertel nimmt Fahrt auf. Der junge Mann registriert all das stoisch, doch er bleibt unbeteiligt. Er gehört hierher, aber nicht dazu, wirkt etwas verloren und trotzdem zielstrebig. Vor dem Club „Flamingo’s“ bleibt er stehen. Und wartet – darauf, dass irgendein Typ herauskommt, mit dem er seinen Plan dieser Nacht in die Tat umsetzen kann: den ersten Sex. Den ersten schwulen Sex. Das erste Mal Geficktwerden.

Von diesem Plan weiß das Publikum anfangs natürlich noch nichts. Es sieht nur die jugendliche Entschlossenheit und die wachen Blicke dieses 21-Jährigen, der Craig heißt und wenig später den blonden Matt kennenlernt. Die Beiden rauchen zusammen, checken einander ab, posen ein bisschen rum, gehen zu Craig nach Hause, trinken Bier, fachsimpeln über Schallplatten, nähern sich an. Matt erzählt, dass er einen Club in London leitet; Craig, dass er sein Geld als Boxer verdient und Techno für stumpfes Bum-Bum hält. Aber das gegenseitige Abtasten bleibt Nebensache. Craig will zur Sache kommen. Also ab ins Bett. Dort scheitert der Vorsatz gründlich, das erste Mal schnell und zackig durchzuexerzieren. So ein Fick tut dann eben doch weh, wenn der Kopf ihn sich zwar vorgenommen hat, aber der Körper noch nicht dazu bereit ist. Die Entschlossenheit mündet im Rückzug, Craigs vermeintliche Abgeklärtheit in Skrupel. Er schmeißt Matt raus, doch der hinterlässt eine Visitenkarte. Da steht seine Adresse in London drauf. Sie wird zum Ziel von Craigs nächstem kühnen Plan.


Gerade mal zehn Minuten braucht Regisseur Paul Oremland, um diese Exposition zu erzählen und damit die Hauptfiguren und die herbe Sinnlichkeit seines Spielfilmdebüts zu etablieren. In diesen zehn Minuten steckt alles drin: die fiebrige Spannung einer beginnenden Party, sehnsüchtige Geigen, Big Beats, funkelnde Lichter, zwielichtiges Halbdunkel, Dreck, Elend, Glamour, Trash und nicht zuletzt das melancholische Drinnen/Draußen-Gefühl der Prä-Coming-out-Phase. Und dann ist da noch diese ambivalente Erotik des Liebenwollens, ohne genau zu wissen wie, deren Tapsigkeit die Zuschauenden auf Anhieb mit den Protagonisten mitfühlen lässt. Kennen wir das nicht alle irgendwie? Dieses Irgendwo-rein-und-dabei-zuviel-Wollen? Das Auf-cool-Machen, bei dem man dann über die eigene Selbstüberschätzung stolpert? Selten wird in Filmen so unprätentiös und realistisch gescheitert wie in „Like It Is“. Der Titel ist Programm: Paul Oremland zeigt schwules Leben ohne Beschönigungen und romantische Verklärung, aber mit einer großen Integrität, die auch den tollen Hauptdarstellern zu verdanken ist.

Die Besetzung der Rolle des Craig durch Steve Bell (der im wahren Leben zwar nicht schwul ist, aber wirklich Boxer und zweimaliger britischer Amateur-Champion im Federgewicht war) ist ein Glücksfall für diesen Film. Er spielt die Figur mit einer physischen Präsenz, die in der Szene nach dem verpatzten Sex sozusagen eine umwerfende Buchstäblichkeit erfährt. In einem von Schweiß, Staub und Männergebrüll erfüllten Hinterzimmer-Boxring lässt Craig die Fäuste fliegen, bis sein deutlich älterer Gegner blutend und bewusstlos am Boden liegt. Den jovialen Chef des Rings freut die ungebremste Aggression, der Film jedoch erzählt sie als unmittelbare Reaktion auf den Frust infolge der sexuellen Verwirrung, die das gescheiterte erste Mal bei Craig hinterlassen hat. Nach dem Boxkampf gerät er in Streit mit seinem großen Bruder Tony, der die Brutalität des Jüngeren weder gutheißt noch versteht. Craig läuft weg und schließt sich einer Truppe Profi-Schläger an, erkennt aber schon bei seinem ersten Auftrag, dass dies der falsche Weg für ihn ist, und flüchtet aus Blackpool. Ins 400 Kilometer südwestlich gelegene London, zu Matt. Und hier beginnt die eigentliche Geschichte des Films. Sie ist deutlich leichtfüßiger als es der nach Sozialdrama riechende Auftakt vermuten lässt, bleibt ihrem Titel aber bis zum Schluss treu.

Foto: Salzgeber

Zum Kinostart von „Like It Is“ im Jahr 1998 sagte Paul Oremland, er habe einen Film drehen wollen, der Leuten wie Craig Mut mache, das Leben voll auszukosten. Das bezog sich wohl auf das Überwinden der Grenzen klassistischer Vorbestimmungen und heteronormativer Konventionen. Craig kommt aus der Unterschicht von Blackpool, einer der ärmsten Städte Englands, und verdient sein Geld mit Bare-Knuckle-Boxen, also Boxen ohne Handschuhe, einer der martialischsten Wettkampfsportarten. Sein Weg scheint vorgezeichnet, ein Entkommen aus den bescheidenen Verhältnissen unwahrscheinlich. Die Bedeutsamkeit seiner Kurzschlussentscheidung, in die ferne Großstadt zu gehen, illustriert der Film mit einer Szene, die Oremland als seine Lieblingssequenz aus „Like It Is“ bezeichnet: Auf der Zugfahrt nach London setzt Craig sich angetrunken zu einer Gruppe feiernder Mädchen, die ihn erst auslachen, dann anbaggern, um schließlich von ihm zu hören zu bekommen: „I tell you what. It’s nothing personal but: I don’t fancy girls. Not now nor ever.“ Auf die Frage, ob er schwul sei, nickt er gelassen und lächelt. Lakonischer lässt sich ein inneres Coming-out filmisch kaum erzählen. Die Mädchen begegnen der Abfuhr mit vulgären Witzen, Craig jedoch schließt nur die Augen und kümmert sich nicht mehr um das Gegacker. Die Zeiten, zu denen er sich vom Gerede der anderen einschüchtern ließ, sind vorbei. Sein selbstbestimmtes Leben hat begonnen.

Foto: Salzgeber

Dass auch das nicht immer einfach ist, zeigt der Rest des Films. „Like It Is“ ist eine schwule Nineties-Ballade über das kleine Glück im Schatten großer Chancen und den Ausverkauf der Unschuld, der Sehnsucht und der Hoffnung auf Erfolg. Im Zentrum der Geschichte von Drehbuchautor Robert Gray steht die Lovestory zwischen Matt und Craig. Erst mündet sie doch noch in einem ziemlich romantischen ersten Fick am Baggersee, doch anschließend muss sie sich gegen zahlreiche Versuchungen von außen behaupten. Als Club-Besitzer und Musik-Promoter lebt Matt einen Alltag, der wie ein greller Gegenentwurf zu der Welt daherkommt, aus der Craig stammt. Statt um zwielichtige Boxringe geht es hier um hippe Clubs, zweitklassige Chart-Acts und rauschende Partys. Klar, dass der Schaulauf der Koksnäschen und Popstars nicht nur Craigs Rechtschaffenheit auf die Probe stellt, sondern auch zur Bewährungsprobe für die Beziehung der beiden Jungs wird. Sie müssen sich behaupten gegen Matts eifersüchtige Mitbewohnerin, die Avancen eines liebeshungrigen Boyband-Beaus, den Sog der Drogen, unmoralische Angebote, falsche Freunde und natürlich gegen die Intrigen von Matts Boss, dem schmierigen Musik-Mogul Kelvin.

Foto: Salzgeber

Kelvin wird von The-Who-Legende Roger Daltrey gespielt. Er gibt das profitgierige Arschloch mit maliziösem Dauergrinsen und teuflischem Vergnügen. Schon sein erster Auftritt macht die Selbstironie deutlich mit der Daltrey (immerhin eines der großen männlichen Sex-Symbole des Rock’n Rolls der Siebzigerjahre) die Rolle anlegt: Kelvin liegt selbstgefällig in einem Bürosessel, bekommt eine Ladung Kollagen zwischen seine Augenfältchen gespritzt und plaudert derweil freimütig mit seinem Schönheitschirurgen über die Jungs, die sie bei der letzten gemeinsamen Pool-Party abgeschleppt haben. Dieses Szenario bringt die Figur Kelvin ähnlich treffend auf den Punkt, wie sein Kult gewordenes Zitat am Schluss des Films. Da beantwortet er Matts „Go fuck yourself, Kelvin!“ herrlich pikiert mit „I frequently do… And I fucking enjoy it!“ Das ist der letzte Lacher vor dem Finale – das wieder in Blackpool stattfindet und überraschend dramatisch ausfällt, aber dennoch ein Happy-End andeutet.

Steve Bell, der inzwischen ein eigenes Boxstudio in Manchester betreibt, schrieb zum 25. Jubiläum von „Like It Is“ im letzten Oktober bei Instagram, der Film sei eine der wertvollsten Erfahrungen seines Lebens gewesen, für die er Paul Oremland ewig dankbar sei. Es gibt viele Gründe, „Like It Is“ wiederzuentdecken: Nicht nur hat der Film inzwischen einen Status als Zeitdokument hinzugewonnen, das den Boyband- und Musikbusiness-Irrsinn der Neunzigerjahre perfekt einfängt, ohne dabei antiquiert zu wirken. Er behandelt schwules Leben auch mit einer Selbstverständlichkeit, die noch immer beispielhaft ist. Und was den britischen Lad-Charme der Hauptdarsteller angeht – der ist sowieso zeitlos hinreißend.




Like It Is
von Paul Oremland
UK 1998, 93 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Als DVD und VoD