Love Is the Devil (1998)

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London 1963. George Dyer landet bei einem Einbruch versehentlich im Atelier von Francis Bacon. Der Künstler lässt den Gauner gewähren – wenn der sich zuerst zu ihm ins Bett legt. Ob sich die beiden wirklich so kennengelernt haben, ist nicht verbürgt, wohl aber die Liebesbeziehung, die der Maler und der Kriminelle über mehrere Jahre führten. Mit seinen hingebungsvoll aufspielenden Darstellern Daniel Craig und Derek Jacobi entwirft Regisseur Ray Maybury ein abgründiges Paarporträt, in dem zwar keine Gemälde von Francis Bacon auftauchen, das aber dessen düstere, fragmentierte und verspiegelte Bilderwelten filmisch kongenial übersetzt. Fritz Göttler über einen schwulen Liebesfilm von seltener Direktheit und Zärtlichkeit.

Foto: Rapid Eye Movies

Study for a Portrait

von Fritz Göttler

Eine Liebe in den Sechzigern, tief und ein wenig schmerzlich, denn einer der beiden Männer, der Maler Francis Bacon, will sich das nicht eingestehen, er flüchtet sich in seine Bilder. Der andere, der kleine Gangster George Dyer, wird daran zugrunde gehen, an diesem Nichtwissenwollen. Das mit der Liebe muss sich Francis immer wieder von anderen sagen lassen, den Menschen um ihn her: Die Bilder, die du von George gemalt hast, sind love poems, erklärt ihm Isabel Rawsthorne, selbst Künstlerin und (Bacons) Model, seine vielleicht einzige Vertraute. Zum Schluss singt Brian Ferry: „Time on my hands, you in my arms … nothing but love in view … then if you fall, once and for all I’ll see my dreams come true …“

Der Kunstkritiker Richard Shone brachte im Magazin Artforum die ganze Geschichte auf die Formel: „The film is really about a middle-aged queen falling for a younger man who comes from a completely different world. Their back-to-back social assumptions provide the comedy; their contrasting values, the tragedy.“ Und das Komische und das Tragische sind manchmal kaum zu unterscheiden in diesem Film.

Im Jahr 1963 lernt Francis Bacon George Dyer kennen, den kleinen East-End-Gangster, aus dem Umkreis der berüchtigten Kray-Bande. George plumpst bei einem Einbruch durch das Oberlicht in Bacons Atelier – die Episode ist nicht wirklich verbürgt – und wird von Bacon erwischt, er zögert nur einen Augenblick: „Zieh dich aus und komm ins Bett, dann kannst du alles kriegen, was du willst …“

Später, post actum, liegen die zwei nebeneinander im Bett, Kopf an Kopf – George hat einen Aschenbecher auf die Brust gestellt und raucht. Bacon hustet, sein Asthma. Er geht mit George spazieren und in Museen, als wären sie ein altes Ehepaar, lässt ihn schick einkleiden, stellt ihn im berüchtigten Colony Room in Soho vor, jener dunstigen Intellektuellen-Spelunke,wo er immer mit seinen Freunden trinkt und raucht. Wo alle sich überbieten in einem Wettbewerb der Gemeinheiten und das Unsagbare nicht untersagt ist. Keine Tabus: Welcome in the concentration of camp.

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Es ist ein grober, ordinärer Haufen, der hier zusammenkommt, ganz und gar britisch, sein Zynismus ist widerlich provozierend, es geht immer unter die Gürtellinie, und die sexuellen Kategorien purzeln wild durcheinander, besonders scharf bei der Clubbesitzerin Muriel Belcher, die, wenn sie von Bacon spricht, liebevoll immer „my daughter“ oder „my cunty“ sagt – Tilda Swinton spielt sie in zähneknirschend fieser Manier. George fremdelt arg in dieser Umgebung, wird immer abhängiger von Bacon. Bacon wird ihn lustlos und schäbig behandeln, er möchte seine Alpträume nicht hören, nimmt seine Selbstmordandeutungen nicht ernst. Er lässt ihn im Regen stehen. In New York steht George nachts auf dem Dach des Hotels und droht hinunterzuspringen, in einem Hotel in Paris wird er dann 1971 sterben, mit 37 Jahren, ein Selbstmord womöglich, zu viel Alkohol und Drugs. Bacon hat ihn mitgenommen, als dort die große Ausstellung im Grand Palais eröffnet wird, die den Ruhm Bacons bekräftigte.

Bacon hat in den Sechzigern immer wieder von seinen Freunden und Kumpels Porträts gefertigt, hat darauf radikal den menschlichen Körper verformt, malträtiert, zerstückelt. Man kann dem Tod bei der Arbeit zusehen in diesen Bildern, aber dann sind ihre makabren Exzesse auch Zeichen einer unerhörten Lebendigkeit. Faszinierend im frühen Kino, sagt Francis mal, sei das Wissen, dass man mit den Toten kommuniziert. Er sitzt mit Isabel in einem Kinovorführsaal und schaut die berühmte Treppenszene aus Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin an, die Bürger, die konfus und verschreckt reagieren auf die zaristischen Soldaten, die mit Waffen gegen sie vorrücken, der Kinderwagen auf der Treppe von Odessa. Francis masturbiert im Angesicht des Terrors.

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Den Schrecken braucht er für sein malerisches Werk. Früher im Film sieht man ihn bei der Arbeit an einem neuen Bild hektisch in einer Schachtel mit Fotos wühlen, schließlich stößt er auf ein berühmtes Fotogramm aus der Potemkin-Treppe-Szene, die alte Frau mit schreiendem Mund, er nimmt es und pinnt es an seine Leinwand – ein blutroter Farbstriemen quillt aus dem Mund der Frau.

John Maybury hat zwanzig Jahre Dutzende experimenteller Kurzfilme und Musikvideos gedreht, Pop oder Aids-Aktivisten-Filme, dies ist sein erster Spielfilm. Er hat an vielen Filmen Derek Jarmans mitgearbeitet, an „Jubilee“ (1978) und „The Last of England“ (1987), hat die Ausstattung von „War Requiem“ (1989) besorgt. Dies sei, erklärt er, überhaupt kein Film übers Malen, und es sei gar nicht Bacons Geschichte, sondern die von George Dyer. Eine harte, neurotische, hoffnungslose Geschichte. Als Maybury den Film in L.A. zeigte, wurde ihm, vor allen von homosexuellen Kritikern, vorgeworfen, warum er keine positiven Bilder von Gays zeige. Maybury, der aggressiv, aber auch ironisch mit seinem Schwulsein umgeht: „These people were not ,gay‘. They were homosexual in a time when it was illegal.“

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Francis Bacons Erben haben Maybury nicht gestattet, Bacon-Bilder im Film zu zeigen. Also versetzt er uns in Bacons Welt, in Bacons Kopf. Eine sehr verrückte Welt, George sei, sagt Maybury, wie Alice im Wunderland, hinter den Spiegeln – mit dem Buch von Lewis Carroll sollte der Film ursprünglich beginnen. „Study for a Portrait of Francis Bacon“ ist der Untertitel des Films, und „Studien“ hat auch Bacon gern seine Bilder genannt. Der Film lebt von Fragmenten und Erinnerungsfetzen, aufblitzend wie Schrapnelle, viel grelles weißes Licht, das die Objekte und die Gesichter scharfkantig werden lässt, Schlieren und Unschärfen, durch den Boden von Gläsern gefilmt. Vollgestopfte Zimmer, Glühbirnen hängen einsam von der Decke, wie man es von Baconbildern kennt, überall Spiegel an den Wänden, die die Menschen verdoppeln oder weiter vervielfachen wie auf Bacons berühmten Triptychen. So dicht und gedrängt ist dieser Film, dass die Baconbilder gar keinen Platz darin fänden.

Auch diverse Freunde und Kollegen Bacons lehnten die Mitarbeit an Mayburys Film ab. Er wurde 1998 gedreht, Bacon war 1992 gestorben – zu wenig Zeit womöglich, um diesen Tod zu verarbeiten. Das britische Arts Council verlangte, bevor es seine 250.000-Pfund-Förderung rausrückte, Drehbuchänderungen. Maybury kaufte dann die Rechte an Daniel Farsons Buch „The Gilded Gutter Life of Francis Bacon“ (1993). Farson, ein exzellenter Radiomann und Buchautor, Kenner der Kneipen-Künstler-Szene im Soho der Sechziger, starb 1997, der Film ist ihm gewidmet.

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Derek Jacobi ist souverän als Francis Bacon, blasiert und verbissen, einmal macht er sich vor einem Spiegel zurecht, ein wenig tuntig, putzt die Zähne mit Vim, färbt das Haar an den Schläfen mit Schuhcreme. Ein anderes Mal schmiert er sich kräftig Farbe ins Gesicht, wie Belmondo am Ende von Godards „Elf Uhr nachts“ (1965). Daniel Craig ist gequält, aber unerschütterlich als George Dyer. Maybury wählte ihn aus, weil er George möglichst sexy haben wollte (und er habe, erzählt er, die ganze Zeit beim Dreh mit ihm geflirtet). Craig spielt mit absoluter Klarheit, fast mädchenhaft, er vereint amorality and innocence, wovon Bacon hingerissen ist. Einmal lehnt er sich an die Wand und legt die Hände hinter dem Kopf zusammen, leckt sich über die Lippen, was wie ein Zähnefletschen wirkt.

George ist eine leere, geschlechtslose Figur, ein unbeschriebens Blatt. „Du bist wie ein Sorbet“, meint Bacon, „klärst den Gaumen zwischen zwei Gängen, was manchmal ein bisschen bitter ist“. Zwei elementaren Prozesse lässt der Film aus: das künstlerische Schaffen und die sexuelle Vorliebe, die Bacon pflegte – einmal sieht man kurz, in einem sadomasochistischen Ritual, wie George mit Ledergurt und einer brennenden Zigarette hantiert. Keine Verantwortung haben, jede Bewegung vorgeschrieben, ganz der Lust eines Anderen ausgeliefert sein – das ist die höchste Freiheit, eine Katharsis.

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Zum Verhältnis von Sadismus und Masochismus schrieb Freud Anfang des vorigen Jahrhunderts, „dass ihre aktive und ihre passive Form regelmäßig bei der nämlichen Person mitsammen angetroffen werden. Wer Lust daran empfindet, anderen Schmerz in sexueller Relation zu erzeugen, der ist auch befähigt, den Schmerz als Lust zu genießen, der ihm aus sexuellen Beziehungen erwachsen kann. Ein Sadist ist immer gleichzeitig auch ein Masochist.“

An der Liebe, am Sex, an der Kunst interessiert John Maybury vor allem das Technische. Einmal sieht man John Deakin, den berühmten Fotografen, der die Soho-Kultur der Sechziger in Bilder fasste, eine Fotosession mit der nackten Isabel machen. Soll das wie bei der Vogue sein, fragt sie schnippisch, nein, erwidert Deakin ziemlich ernsthaft, für Francis: Wie sollte der sonst wissen, wie eine Muschi aussieht? Später sitzt George, schon im Stadium der Erschöpfung, in der Badewanne – er muss mit zur Ausstellung nach Paris. „Du bist die Ausstellung!“ George lehnt sich zurück und spreizt die Beine, und die Szene ist unglaublich zärtlich gefilmt, von oben, ohne dass das irgendwie schamlos wirkt. Die Leere auf seinem Gesicht, wenn er in den Tag hinein träumt, hatte Bacon einst sinniert, ist das die Leere des Todes?




Love Is the Devil
von John Maybury
UK 1998, 89 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Als DVD und VoD