The Universe of Keith Haring

TrailerDVD/VoD

„Kunst ist für alle da!“ Mit diesem Verständnis revolutionierte Keith Haring (1958-1990) als Maler, Graffiti-Artist und Designer in den 1980er Jahren die Kunstwelt. Als er im Alter von nur 31 Jahren an den Folgen von Aids starb, war er ein Weltstar. Heute ist seine ikonographische, unverkennbare Pop Art allgegenwärtig – auf Postern, T-Shirts, Uhren und in unserem kollektiven Gedächtnis. „The Universe of Keith Haring“ führt in den faszinierenden Bildkosmos des Künstlers ein und erzählt dessen sagenhafte Lebensgeschichte. Andreas Wilink über Christina Clausens vielschichtigen Porträtfilm aus dem Jahr 2007, den es jetzt wieder als DVD und VoD gibt.

Foto: Salzgeber

Das Museum im Untergrund

von Andreas Wilink

Vielleicht gibt es ein dem eigenen Bewusstsein gar nicht zur Verfügung stehendes Geheimwissen darüber, welche Spanne an Zeit einem zugemessen ist. Goethe durfte sich Zeit lassen und die Fülle zur Reife bringen; Kleist und Büchner trieb und jagte es ans frühe Ende. Picasso muss wohl geahnt haben, dass er über ein großes Reservoir verfügen und seine Kunst und ihre Verwandlungen zu Perioden gliedern konnte; auch Francis Bacon schien in seinem Innen- und Bilderraum auf Dauer eingerichtet. Keith Haring nicht. Es musste schnell gehen. Beinahe alles auf einmal geschehen. Wozu New York City ohnehin auffordert und motiviert. Gerade mal 31 Jahre standen ihm zur Verfügung, bis das Lebensrad still stand, das seinen Lauf in Kutztown/Pennsylvania aufgenommen hatte.

Es kommt auf die Sekunde an. Und so spricht der Künstler (1958-1990) gleich am Anfang von „The Universe of Keith Haring“ über die quecksilbrig fluide Zeit- und Raum-Beschaffenheit. Er könne an mehreren Orten gleichzeitig sein, sagt er. Seine Mutter Joan erinnert sich, dass er in Steißlage auf die Welt gekommen sei, als habe sich der Embryo bereits in Bewegungs-Lust gedreht. Eine Collage aus Polaroids, deren Technik die Entwicklung hin zur Augenblicklichkeit beschleunigt, zeigt ihn mit den von ihm bewunderten Berühmten der Epoche: Bianca Jagger, Grace Jones, Caroline von Monaco, Yoko Ono, dem wunderschönen Rupert Everett, Jean-Paul Gaultier und seinem „hero“ Andy Warhol, zärtlich „Papa Pop“ genannt, der zum engen Freund wird. Harings teils wandfüllende Strichmännchen, seine mit Graffiti-Gegenwart, Gewalt und phallischen Sex aufgeladenen Hieroglyphen und Codes, die seine Zeichnungs-Labyrinthe und Figuren-Puzzles ausformulieren und dabei ihren eigenen Beat zu tanzen scheinen, sind oft Umriss, unausgefüllt.


Während Warhol Alltägliches wie eine Suppendose zur Kunst erklärte, propagierte Haring das Gegenteil, indem er seine Kunst in den Alltag implantierte, um sie zum Bestandteil normaler Wahrnehmung zu machen. Für ihn ein Akt der Befreiung. Vor allem sind Biografie und Karriere des Außenseiters Keith Haring – des schmächtigen Jungen mit der runden Brille im etwas traurigen, eulenartigen Primaner-Gesicht – eine Bewegung vom Rand zur Mitte und darüber hinaus. Der Semiotiker des Figurativen lädt mittels der Methode Wiederholung die Dingwelt mit Bedeutung auf und verleiht ihr Form und  Gestalt von hohem Wiederkennungswert. Das signalhafte, agile Haring-Menschlein ist ebenso universal verständlich wie Chaplins Silhouette mit Melone, Stöckchen und den nach außen schräg gestellten Schuhen.

Die 2007 gedrehte italienisch-französische Koproduktion von Christina Clausen, die wesentlich auch Interview-Passagen von Haring enthält, die er für seine autorisierte Autobiographie zu Protokoll gegeben hat, versammelt viele Stimmen zum Chor: Freunde und Weggefährtinnen, Mitglieder der Familie – die Eltern und seine drei Schwestern, Galeristen, darunter auch der Düsseldorfer Hans Mayer, oder die leitenden Leute der Keith Haring Foundation. Ein Zoom auf sich rot einfärbende Leinwand holt sich das Auge der jeweiligen Person heran und kreist es ein wie eine Zielscheibe, bevor die- oder derjenige Auskunft erteilt.

Foto: Salzgeber

Was hören wir? Dass Keith früh von seinem Vater zu zeichnen gelernt habe, der anregt, dass der Junge, der von Walt Disneys Fabelwelt fasziniert war, eigene Comic-Figuren kreiere. Hineingewachsen in die 1970er Jahre von Vietnam und Watergate, zudem religiös geprägt, will er nach der High School nichts wie weg aus der Enge der Kleinstadt, beginnt eine Werbegrafik-Ausbildung in Pittsburgh, die ihn nicht lange hält, bekommt dort mit 20 seine erste Einzelausstellung und riskiert dann 1978 den Sprung hinüber in den Big Apple an die School of Visual Arts. In the city, that never sleeps, hat er sein Coming-out und entdeckt das erotische Eden der Saunen, Gay Bars, Cruising-Areas, was er auch malerisch gewissermaßen herausejakuliert.

Und er entdeckt die direkte Wirkmacht und Kommunikation der Streetart und des Museums im Untergrund, also in den Gängen und Stationen der Subway, wo er mit flinken Linien seine Graffitis anbringt, manchmal dabei erwischt von der Polizei, was den illegalen Aktionen zusätzlich Kitzel verleiht.

Keith Haring ist ein Arbeitsfanatiker, Aktivist und Energie-Turbo in seiner auch Video miteinbeziehenden Kunst. Mit Jobs hält er sich zunächst über Wasser, u.a. als Türsteher, Barkeeper, Go-Go-Dancer und Show-Organisator im Club 57. Dort, im East Village, findet sich ein avantgardistisches, orgiastisch gepoltes Künstlerkollektiv zusammen. Eine Kunstkommune, die Sex, Drugs and Fun zelebriert: im Manhattan vor Aids und bald mit Ronald Reagan als Hassfigur, an der sich Haring in Collagen aus Zeitungsausschnitten abarbeitet, während er parallel mit einer Initiative gegen „Schwule mit Gesichtsbehaarung“ auf Plakaten halb scherzhaft polemisiert.

Foto: Salzgeber

Als der Erfolg einschlägt wie ein Meteor, Keith Haring zum Dollarprinzen wird, der Kunstbetrieb mit ihm auf- und abdreht und er das Gesetz der Verknappung seiner Werke lernen müsste, statt allüberall seine Signatur zu hinterlassen, eröffnet er einen Pop Shop in der Lafayette Street, um die Kunst auf Shirts oder als Button unter die Leute zu bringen, was geradezu revolutionär und jedenfalls anti-elitär war. Vielleicht wirkt hier sogar noch der christliche Gedanke des Teilens hinein, der dem Kind Keith vertraut gewesen war.

Haring setzt – und hinterließ – im öffentlichen Raum seine Zeichen, darunter auch beim Projekt Skulpturen in Münster, für das er einen großen roten Hund installiert, und in vielen Städten der Welt, ob Antwerpen, Paris und Pisa, wo er die Fassade einer Kirche bemalen darf. Seine nomadische Kunst, wie Galerist Tony Shafrazi es nennt, malt er sogar auf Planen für LKW, die über die Highways das weite Land durchqueren. Ganz im Sinne politischer Inklusion wird er später die Berliner Mauer mit einem Endlosband in den Farben Schwarz Rot Gold bemalen als Vorhinein der Euphorie, die für eine Weile möglich scheinen lässt: to change the world.

Foto: Salzgeber

Der Weltstar der Kunst, der gern mit Kindern arbeitet, sich zur schwarzen Kultur hingezogen fühlt, sich mit der Hip-Hop-Szene etwa im Paradise Garage verbindet, wo Madonna ihren ersten Auftritt hat, bleibt gegenüber dem weißen WASP-Establishment und dessen Dominanz ablehnend, so wie umgekehrt die Mainstream-Society, die in den Achtzigern die HIV-Infektion als „Schwulen-Pest“ brandmarkt und eine ausgrenzend puritanische Reinheitsidee neuauflegt, auch ihn nicht akzeptiert hat.

Keith Harings Programm, demnach er naturgemäß noch so viel zu tun hatte, wurde nur vom Tod gebremst. Seine Erkrankung hatte er, aufrichtig und aufrüttelnd, in einem Interview in Rolling Stone publik gemacht hat. Emphatisch und passioniert endete seine „party of life“.




The Universe von Keith Haring
von Christina Clausen
IT/FR 2007, 91 Minuten, FSK 0,
deutsche Sprachfassung

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