Something You Said Last Night

TrailerQueerfilmnacht

Trans Frau Ren ist Mitte 20, angehende Schriftstellerin und hat gerade ihren Job verloren. Ausgerechnet jetzt steht der Strandurlaub mit ihrer liebevollen, aber ziemlich temperamentvollen italo-kanadischen Familie an. Im Wissen, dass sie jetzt wieder mehr auf deren Unterstützung angewiesen sein wird, wartet Ren auf den richtigen Moment, von der Entlassung zu erzählen. Doch zwischen den üblichen Streitereien, der Enge der spießigen Ferienanlage und einem irritierenden Urlaubsflirt ist es gar nicht so einfach, Raum für sich und die eigenen Gefühle zu finden. Vor dem Hintergrund der schwülen Langeweile eines Familienurlaubs erzählt „Something You Said Last Night“ vom widersprüchlichen Wunsch eines Millennials, gleichzeitig unabhängig und umsorgt zu sein. Im März ist Luis De Filippis’ Regiedebüt, das in San Sebastian, Toronto und Rotterdam ausgezeichnet wurde, in der Queerfilmnacht zu sehen. Andreas Köhnemann über ein vielschichtiges Figurenporträt, das mit mehreren Narrativen der Darstellung von trans Menschen im Kino bricht.

Foto: Salzgeber

Familienurlaub und andere Schwierigkeiten

von Andreas Köhnemann

Wenn Familien in Urlaub fahren, kann das rasch zu Freizeitstress führen. In Filmen wird das meist lustig-überdreht dargestellt. Im queeren Kino zählt die französische Komödie „Meeresfrüchte“ (2004) von Olivier Ducastel und Jacques Martineau zu den raren Beiträgen des familiären Ferienfilms. Dass sich darin die Figur des Vaters zu einem Mann hingezogen fühlt und die ahnungslose Mutter wiederum glaubt, der gemeinsame Sohn sei schwul, sorgt für tragikomische Konflikte und jede Menge Chaos. Als schließlich alle Beteiligten ihr Coming-out (oder Coming-in) hinter sich gebracht haben, wird das Happy End mit einem fröhlichen Gruppentanz besiegelt.

Die kanadisch-italienische Drehbuchautorin und Regisseurin Luis De Filippis setzt in ihrem Langfilmdebüt „Something You Said Last Night“ hingegen nicht auf Überspitzungen, sondern zeigt, wie sie selbst sagt, die „großen Dramen der kleinen Probleme“. Sie beobachtet mit einfühlsamem Blick vier Menschen außerhalb des Alltags, die im wenig aufregenden Umfeld einer Ferienanlage in Strandnähe all die drängenden Schwierigkeiten in ihrem Leben vorerst beiseiteschieben wollen. „Diese Woche wird so toll, Liebes!“, ruft Mona erfreut ihrer älteren Tochter Renata, genannt Ren, zu. Schon auf der Autofahrt zum Zielort versuchen Mona und ihr Ehemann Guido, mit dem Italo-Pop-Banger „Sarà perché ti amo“ eine ausgelassene Stimmung zu erzeugen und die zwei Schwestern Ren und Siena auf der Rückbank mitzureißen. Die sind allerdings etwas launiger und zurückhaltender.


„Something You Said Last Night“ entstand innerhalb von gerade mal 19 Tagen mit überschaubarer Crew und hat durch seine genauen Betrachtungen eine dokumentarische Anmutung. Die 35mm-Aufnahmen, in denen De Filippis das Geschehen mit ihrem Kameramann Norm Li einfängt, lassen indes an das Independent-Kino der frühen 1990er Jahre denken. Um die einzelnen Figuren und deren Beziehungen zueinander zu charakterisieren, benötigt die Inszenierung nicht viele etablierende Dialoge; alles fügt sich nach und nach ganz organisch zusammen.

Ren dampft E-Zigaretten, hängt häufig an ihrem Handy und wirkt oft ein bisschen antriebslos. Bei Siena offenbaren sich derweil dynamischere Seiten – sie hat jedoch mehr Lust, die Zeit mit Jugendlichen aus der Gegend als im Kreise der Familie zu verbringen. Guido ist ein sanfter Typ, Matriarchin Mona hat etwas ziemlich Überschwängliches an sich. Auf dem Parkplatz einer Raststätte, bei der Ankunft in der gebuchten Wohnung (leider ohne Seeblick), beim Essen und beim Kartenspielen am Küchentisch, am Strand und bei der Nutzung diverser Beschäftigungsangebote in der Ferienanlage zeichnen De Filippis und ihr Schauspielensemble mit feinen Strichen die Dynamiken innerhalb des Figurenquartetts.

Foto: Salzgeber

Mona, Guido, Ren und Siena (sowie der ältere Bruder Anthony, der nur gelegentlich als Stimme am Telefon präsent ist) sind keine perfekte Familie. Es wird gestritten, unter anderem über Basecaps und Ausgehpläne. Der grüne Smoothie, den Guido mit Mühe zubereitet hat, schmeckt grässlich. Rens miese Laune nervt. Und hätte Siena denn nicht wenigstens eine kurze Nachricht schicken können, wenn sie die Nacht über einfach wegbleibt? Hinzu kommen gravierendere Auseinandersetzungen. Die angehende Buchhalterin Siena hat jüngst die Berufsschule geschmissen und dies bisher verschwiegen. Ren, die Schriftstellerin werden möchte, wurde gerade entlassen und muss nun wohl wieder zu den Eltern ziehen.

Bei einigen Zwisten wird es richtig ungemütlich. Ein Smartphone wird zertrümmert, eine Geburtstagsfeier ruiniert, und es fallen Sätze wie: „Die größte Enttäuschung bist du!“ Dennoch entstehen daraus keine Zerwürfnisse; nie eskaliert es so sehr, dass das enge Band zwischen den Familienmitgliedern reißen könnte. Auf Missstimmung folgt Lachen, auf Ernsthaftigkeit und Gemeinheiten folgen Alberei und liebevolle Gesten, etwa wenn Ren ihre Mutter mit Hingabe frisiert.

Foto: Salzgeber

Bemerkenswert ist, wie der Film damit umgeht, dass Ren trans ist. So wie in Geschichten über lesbische, schwule und bisexuelle Figuren seit ein paar Jahren nicht mehr zwangsläufig deren Coming-outs das narrative Zentrum bilden, liegt auch bei Ren diese Phase bereits in der Vergangenheit. De Filippis präsentiert uns ein positives Bild von einer Familie, die trotz all ihrer Ecken und Kanten im Endeffekt angenehm unterstützend ist. Ren ist im Laufe der Handlung keiner Transphobie ausgesetzt.

In subtilen Andeutungen wird klar, dass die Familie schon etliche Herausforderungen zu bewältigen hatte – daran aber nicht zerbrochen ist. Als Ren einem Kind zu helfen versucht, das vor dem Supermarkt von Gleichaltrigen gemobbt wird, mischt sich Mona energisch ein – was Ren als Übergriff empfindet, da sie meint, die Lage doch selbst im Griff gehabt zu haben. Mona hat vermutlich durch vergangene Erfahrungen das (Über-)Beschützende in Bezug auf Ren derart verinnerlicht, dass sie ihrer inzwischen über 20-jährigen Tochter unbewusst die Möglichkeiten nimmt, aus eigener Kraft für sich und für andere zu kämpfen.

Foto: Salzgeber

Hauptdarstellerin Carmen Madonia verkörpert Ren als Person, die in ihrem Prozess der Selbstfindung zwar nicht mehr ganz am Anfang steht, jedoch auch noch keineswegs das Ziel erreicht hat. Am Strand im Bikini fühlt sie sich noch etwas unsicher; die prüfenden Blicke in den Spiegel wirken zunächst noch leicht verzagt. Die Suche nach sich selbst ist noch nicht abgeschlossen. Ohne in gängige Tropen zu verfallen, lässt De Filippis ihre Protagonistin kleine Schritte unternehmen. Rens Urlaubsflirt muss dabei nicht zur großen Romanze im Stil von „Dirty Dancing“ (1987) werden, und ihre Diskussionen mit ihrer Mutter müssen nicht in einer Auflösung aller Irritationen münden. Wir begleiten Ren auf einem einwöchigen Abschnitt ihres Coming-of-Age-Weges – und haben am Ende das gute Gefühl, dass ihr noch viele schöne und spannende Etappen bevorstehen, die sie teils mit ihrer Familie und teils für sich allein erleben wird.




Something You Said Last Night
von Luis De Filippis
CA/CH 2022, 96 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT

Im März in der Queerfilmnacht