Wo/Anders

Hamam – Das türkische Bad

Hamam – Das türkische Bad

Bei seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1997 wurde "Hamam - Das türkische Bad" als Meisterwerk gefeiert und ist längst zu einem Klassiker des queeren Kinos avanciert. Regisseur Ferzan Özpetek ("Die Ahnungslosen") nutzt die homoerotische und höchst sinnliche Atmosphäre türkischer Bäder und den Zauber der Metropole am Bosporus, um in verführerischen Bildern von einem sexuellen und kulturellen Erwachen zu erzählen – und vom Eintauchen in eine einzigartige, faszinierende Welt. Jetzt erscheint der Kultfilm in digital restaurierter Fassung. Unser Autor Christian Lütjens hat ihn als zeitloses Märchen über das Suchen und Finden der (Selbst-)Liebe erlebt.
Sócrates

Sócrates

Nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter ist der 15-jährige Sócrates ganz auf sich allein gestellt. Weil ihn sein Vater wegen seiner Homosexualität verstoßen hat, soll er in ein Heim. Doch so schnell gibt Socrates die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht auf. Das Spielfilmdebüt des brasilianisch-amerikanischen Regisseurs Alexandre Moratto, gedreht mit einem Mini-Budget von 20.000 Dollar und mit Jugendlichen aus einem Sozialprojekt, kommt seiner Hauptfigur und deren Lebensumständen am sozialen Rand von São Paulo dabei so nah und wirkt derart authentisch, wie es sonst meist nur im Dokumentarfilm gelingt. Axel Schock hat den neorealistisch anmutenden Film, der vergangenes Jahr mit einem Independent Spirit Award ausgezeichnet wurde, für uns gesehen.
Acid

Acid

Jetzt als DVD und VoD: Sasha ist 20 und hat keinen richtigen Plan für sein Leben. Gerade ist sein Kumpel Vanya einfach so vom Balkon gesprungen. Nach der Beerdigung geht Sasha mit seinem besten Freund Pete und Freundin Karina erst mal in den Club, feiern. Dort lernen die drei den Künstler Vasilisk kennen, der ihnen Zuhause seine Arbeit vorführt: Er löst alte Politiker-Büsten in Säure auf. Am nächsten Morgen trinkt Pete einen Schluck der Flüssigkeit und landet im Krankenhaus. Als er wieder sprechen kann, findet er endlich Worte für das Chaos um sich. Das Regiedebüt des russischen Schauspielers Alexander Gorchilin – bekannt aus seiner Zusammenarbeit mit Kirill Serebrennikov ("Leto", 2018) – ist ein abgründiges Porträt der Jugend im heutigen Russland. Den jungen Männern in "Acid" scheint es ökonomisch an nichts zu mangeln, emotional wirken sie jedoch verwahrlost und orientierungslos. Stefan Hochgesand über einen Not-Coming-of-Age-Film mit ätzender Wirkung, der in seiner teils virtuosen Filmsprache an das Frühwerk Xavier Dolans erinnert.
Liberté

Liberté

Nachdem er sich in seinem Film „Der Tod von Louis XIV“ (2016) dem Sterben des Sonnenkönigs gewidmet hatte, befasste sich Albert Serra in seinem selbstgeschriebenen Stück „Liberté“ mit einer Gruppe von Libertins wenige Jahre vor der Französischen Revolution. Im Frühjahr 2018 feierte es an der Berliner Volksbühne seine Premiere, u.a. mit Helmut Berger und Ingrid Caven. Nun kommt die gleichnamige Verfilmung, die in Cannes uraufgeführt wurde, in die Kinos - montiert aus 300 Stunden Material, das mit drei Kameras aufgenommen wurde. Unser Autor Dennis Vetter hat den Film für uns gesehen und sich auf die Logik des Verspielten eingelassen.
Synonymes

Synonymes

Yoav kommt aus Israel nach Paris und erwischt keinen guten Start: Als er in einer leer stehenden Wohnung ein Bad nimmt, werden ihm erstmal all seine Sachen gestohlen. Caroline und Emile kommen ihm zu Hilfe und werden seine Freunde, doch ihr Interesse ist nicht ganz selbstlos. Yoavs große Sehnsucht ist es, seine alte Herkunft abzulegen und Franzose zu werden. Das soll vor allem über die Sprache gelingen: Kein hebräisches Wort darf ihm mehr über die Lippen kommen auf seinen ziellosen Streifzügen durch die Stadt... Basierend auf eigenen Erfahrungen erzählt Nadav Lapid mit linguistischer Raffinesse von der Schwierigkeit, neue Wurzeln in einem fremden Land zu schlagen. Im Februar wurde sein rauschhafter Trip durch Paris, der zugleich tragikomische Hommage an das Kino der Nouvelle Vague ist, aber auch einen dezidiert queeren Blick in sich trägt, mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Philipp Stadelmaier über ein (film)sprachliches Meisterwerk, das ab heute bundesweit im Kino zu sehen ist.
Something Must Break

Something Must Break

Heute zeigt der rbb den inhaltlich und formal wohl widerständigsten Film seiner Reihe rbb QUEER: Ester Martin Bergsmark erzählt in "Something Must Break" (23h30 im rbb) eine zärtliche, manchmal heftige Liebesgeschichte zwischen einem androgynen Jungen und einem anderen, der nicht schwul ist. Zusammen rebellieren sie gegen die Langeweile der bürgerlichen Ikea-Welt und suchen nach einer Form für ihre Liebe, die in kein hetero- oder homonormatives Schema passt. Der schwedische Film wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2014 mit dem renommierten "Tiger Award" beim Filmfestival Rotterdam. Aileen Pinkert hat ihn für uns gesehen.
Das Mädchen mit den roten Haaren

Das Mädchen mit den roten Haaren

Benny ist 17 und lebt mit ihrem Vater, einem strenggläubigen Religionsgelehrten, in der jüdischen Gemeinde von Silwan, einem vorwiegend von Palästinensern bewohnten Stadtteil Ost-Jerusalems. Ihr Haar ist so rot wie das Fell des gerade zur Welt gekommenen Kalbs, von dem sich ihr Vater und seine Anhänger die lang ersehnte Erlösung versprechen. Benny soll sich um das Jungtier kümmern – dabei fühlt sie sich im religiösen Dogmatismus ihres Vaters, mit dem sie groß geworden ist, schon seit langem nicht mehr zuhause. Als die gleichaltrige Yael in die Gemeinde kommt, um dort ihren Wehrersatzdienst zu leisten, gerät Bennys streng geregeltes Leben gänzlich aus den Fugen: Plötzlich ist da ein körperliches Begehren, das ihren eigenen Glauben in Frage stellt – und noch mehr den des Vaters… Tsivia Barkai Yacov erzählt in ihrem Langfilmdebüt vom sexuellen Erwachen eines Mädchens, das nicht nur einen Familien- sondern auch einen Glaubens- und Ideologiekonflikt überwinden muss, um zu sich selbst zu finden. Auf dem Jerusalem Film Festival wurde "Das Mädchen mit den roten Haaren" mit gleich drei Preisen ausgezeichnet. Tania Witte hat den Film, den es jetzt als DVD und VoD gibt, für uns gesehen.
Border

Border

Die Grenzbeamtin Tina ist die Beste in ihrem Job, denn sie hat eine besondere Fähigkeit: Sie kann bei anderen Menschen Angst, Scham und Wut wittern. Weil diese Begabung sie ihren Mitmenschen gegenüber aber auch fremd sein lässt, lebt Tina zurückgezogen und einsam in einer Hütte im Wald. Doch dann begegnet sie Vore, der ihr nicht nur auffallend ähnlich sieht, sondern bei dem ihre Fähigkeit auch an eine Grenze stößt, selbst wenn sie ahnt, dass er etwas verbirgt. Vores Wildheit, die ihr merkwürdig vertraut vorkommt, zieht sie magisch an. Als er sein Geheimnis preisgibt, hat das auch für Tinas Leben weitreichende Folgen. Nachdem "Border" bereits letztes Jahr in Cannes als eine der großen Entdeckungen des Festivals gefeiert wurde und mit dem Preis der Nebensektion "Un certain regard" ausgezeichnet wurde, ist Ali Abassis abgründiges queeres Märchen jetzt endlich auch in den deutschen Kinos zu sehen. Dennis Vetter über einen fantastischen Film, der seine Zuschauer*innen kühn über Genre- und Identitätsgrenzen hinweg auf einen Pfad ungeahnter Erkenntnisse führt.
Acht Filme des Jahres

Acht Filme des Jahres

Das nicht-heterosexuelle Kinojahr 2018 war so vielfältig wie kaum ein Jahr zuvor – vor allem was die Perspektiven und Lebensentwürfe seiner filmischen Figuren betrifft. Wir haben für Euch unsere acht Highlights der vergangenen Monate zusammengetragen und stellen Sie mit kurzen Spotlights in den Worten unserer Autor*innen noch einmal vor. Eine Rückschau auf ein schwules Arbeiterkind, das aus der französischen Provinz nach Paris flüchtet, um dort eine neue Entfremdung zu erleben. Auf eine schüchterne Studentin in Oslo, die sich mit übernatürlichen Kräften aus der Hetero-Hölle ihrer Kindheit befreit. Auf einen Schriftsteller, der im Paris der frühen 90er nicht mehr lange zu leben hat und sich trotzdem ein letztes Mal verliebt. Auf eine Ballettschülerin in Gent, die einen Penis zu viel hat. Auf einen altklugen Professorensohn, der während eines Sommers in der Lombardei erfährt, was er alles noch nicht weiß. Auf einen US-amerikanischen Teenager, der an seiner High School zwangsgeoutet wird und erst so in ein großes Liebesmärchen schliddert. Auf zwei Frauen, die sich in São Paulo die Mutterschaft für ein Werwolfkind teilen. Und auf einen Stricher, der so frei und so einsam durch Straßburg zieht wie ein wildes Tier.
Die Erbinnen

Die Erbinnen

In "Die Erbinnen" erzählt Regisseur Marcelo Martinessi die Geschichte zweier Frauen um die 60, die als Paar in einem bürgerlichen Viertel der paraguayischen Hauptstadt Asunción leben. Als Chiquita auf Grund der gemeinsam angehäuften Schulden ins Gefängnis muss, beginnt für Chela ein zaghafter Befreiungsprozess. Das private Drama der beiden Frauen spiegelt die gesellschaftliche Entwicklung, die Paraguay nach langen Jahren der Diktatur und der Absetzung der ersten demokratischen Regierung genommen hat, und erzählt zugleich universell von eingespielten Abhängigkeiten und einem späten Neuanfang. Martinessis Film, der auf der Berlinale mit dem Alfred-Bauer-Preis und dem Preis für die Beste Darstellerin (Ana Brun) ausgezeichnet wurde, ist seit gestern deutschlandweit in den Kinos zu sehen. Esther Buss über ein subtil sozialkritisches Frauenporträt, dessen Formsprache sichtbar an den Melodramen Rainer Werner Fassbinders geschult wurde.