Endstation Sehnsucht

Boys Don’t Cry (1999)

Boys Don’t Cry (1999)

Die brutale Ermordung des jungen Transmannes Brandon Teena erschütterte 1993 Amerika. Über fünf Jahre recherchierte die junge Regisseurin Kimberly Peirce die Hintergründe und schrieb ein Drehbuch. Mit ihrem Debüt „Boys Don’t Cry“ setzte sie nicht nur Brandon Teena ein Denkmal, sondern auch allen anderen Opfern von transfeindlichen Hassverbrechen. Das Drama, das Hilary Swank zum Star machte und ihr einen Oscar bescherte, erzählt aber viel mehr als eine Tragödie. Es geht auch um die berührende Liebesgeschichte zwischen Brandon und seiner ersten Freundin Lana, empathisch dargestellt von Chloë Sevigny. Annabelle Georgen über ein Schlüsselwerk des Trans* Kinos und seine wechselvolle Rezeptionsgeschichte.
Queer

Queer

Das Kinojahr ist erst wenige Tage alt und schon um ein erstes Juwel reicher: „Queer“, der neue Film von Luca Guadagnino („Challengers“, „Call Me by Your Name“), ist eine bildgewaltige und sinnliche Adaption des gleichnamigen, stark autobiographisch geprägten Romans von William S. Burroughs. Daniel Craig spielt darin einen amerikanischen Schriftsteller und Junkie, der sich als Expat in Mexiko-Stadt 1950 in einen ehemaligen Soldaten verliebt und nach einer Sprache für sein unbändiges Begehren sucht. Für Esther Buss ist „Queer“ das mitreißende Porträt einer wahrscheinlich unmöglichen Beziehung – und eine virtuose filmische Operation an einem offen gelegten Herzen.
Alles über meine Mutter (1999)

Alles über meine Mutter (1999)

Feliz cumpleaños, Pedro! Am 25. September feiert Pedro Almodóvar seinen 75. Geburtstag. Kurz vor der Veröffentlichung seines neuen Film „The Room Next Door“ gratulieren wir dem seit Jahrzehnten wichtigsten Regisseur des spanischen Kinos mit einem Rückblick auf sein Meisterwerk „Alles über meine Mutter“ (1999), das Almodóvar nicht nur seinen ersten Oscar einbrachte, sondern auch eine Schlüsselposition in seinem Œuvre einnimmt. Andreas Wilink schreibt, was an dem Drama über eine Mutter, die sich nach dem Unfalltod ihres Sohnes auf die Suche nach dessen Vater macht, queer, was camp und was spanische Volkskunst ist. Und er dringt zum rotleuchtenden Zentrum des Almodóvarschen Labyrinth der Leidenschaften vor: der Selbstwerdung inmitten einer neuen Heiligen Familie.
Hustler White (1996)

Hustler White (1996)

Inspiriert von „Sunset Boulevard“, „Tod in Venedig“ und den Sexfilmen Andy Warhols erzählt „Hustler White“ selbstreflexiv und verspielt von einem blasierten Schriftsteller, der sich auf „Recherchereise“ in die Stricherszene von Los Angeles begibt und sich on location prompt verliebt. Mit festem Blick auf Authentizität haben Bruce LaBruce und Rick Castro ihre romantisch Sex-Komödie an Originalschauplätzen auf dem Santa Monica Boulevard gedreht. Philipp Stadelmaier über einen Klassiker des schwulen Stricherkinos, dessen queerer Referenzenreigen auch knapp 30 Jahren nach seiner Uraufführung noch herrlich explizit funkelt.
Lola und Bilidikid (1999)

Lola und Bilidikid (1999)

Kreuzberg Mitte der 1990er. Murak ist 17 und schwul, aber das dürfen seine aus der Türkei stammenden Eltern nicht wissen. Auf einem seiner Streifzüge durch die verbotenen Parks und Schwulenbars lernt er die Dragqueen Lola kennen und freundet sich mit ihr an – ohne zunächst zu wissen, dass sie sein von der Familie verstoßener älterer Bruder ist. Als Lola eines Nachts ermordet wird, macht sich Murat mit ihrem Geliebtem Bilikid auf die Suche nach den Tätern. Kutluğ Atamans „Lola und Bilidikid“ ist eine funkelnde Perle des queeren Kinos aus Deutschland, die es unbedingt wiederzuentdecken gilt. Toby Ashraf hat sich auf die Spuren ihrer Entstehung gemacht, alte Drehorte besucht und mit Regisseur Ataman, Produzent Martin Hagemann und Darsteller Mesut Özdemir über den Film und das Leben danach gesprochen. Eine Liebeserklärung als Rekonstruktion.
Patagonia

Patagonia

Yuri ist 20 und lebt bei seiner Tante in einem kleinen Dorf in den Abruzzen. Als er bei einem Kindergeburtstag dem Animateur Agostino begegnet, ist er sofort elektrisiert. Agostino ist älter, selbstbewusst und auf wilde Weise unabhängig. Yuri heuert als Agostinos Assistent an und fährt im Wohnmobil mit ihm fort. Ihr großes Ziel ist Patagonien, das Land des Feuers. Mit brennenden Bildern erzählt der italienische Regisseur Simone Bozzelli in seinem Debütfilm von einer vergessenen Jugend, für die nur ein Leben am Rand der Gesellschaft und in ständiger Bewegung in Frage kommt, um den unbändigen Hunger nach Aufrichtigkeit und Freiheit zu stillen. Getragen von einer kompromisslosen filmischen Vision, von Respekt gegenüber den Figuren und zwei überwältigenden Hauptdarstellern zeigt „Patagonia“ eine ambivalente Liebe als verzehrendes Machtspiel zwischen Zärtlichkeit und Destruktion. Philipp Stadelmaier über ein raues Roadmovie, das im August ist „Patagonia“ in der Queerfilmnacht zu sehen ist und am 22. August auch regulär im Kino startet.
Der Diener (1963)

Der Diener (1963)

Joseph Loseys „Der Diener“ aus dem Jahr 1963 gilt als meisterhaftes Kammerspiel der homoerotischen Subtexte und kühner Klassiker des queeren Kinos. Dirk Bogarde brilliert darin als  höchst kultivierter Diener Barrett, der den Haushalt des Playboys Tony leitet. Barretts zunächst ehrfürchtig-devotes Verhalten gerät dabei immer weiter in Schieflage, bis die Rollen von Herr und Diener gänzlich zu kippen drohen. Fritz Göttler über die vielen Ebenen der sehr britischen Studie über Macht, Männlichkeiten und Homosexualität.
Mann im Bad (2010)

Mann im Bad (2010)

Für „Mann im Bad“, ein Drama über das Ende der Liebe zwischen einem Regisseur und einem Sexworker, besetzte Christophe Honoré („Chanson der liebe“, „Sorry Angel“, „Der Gymnasiast“) den französischen Porno-Superstar François Sagat für eine der Hauptrollen. Sagat definiere für ihn den Begriff der Männlichkeit völlig neu, sagte Honoré später in einem Interview. Aus der beeindruckender Physis seines Schauspielers entwickelt der Regisseur eine explizite Studie über Lust, Begehren und tiefe Melancholie. Auch für Jan Künemund ist Sagats nackter Körper ein purer Kino-Akt. Zu einem Filmvergnügen wird „Mann im Bad“ aber nicht nur durch diese explizite Attraktion, sondern auch durch die freie und mühelos selbstreflexive Kombination wilder Dinge.
Le Paradis

Le Paradis

In einer Jugendstrafanstalt bereitet sich der 17-Jährige Joe auf seine Rückkehr in die Gesellschaft vor, unsicher, welches Leben ihn jenseits der Mauern erwartet. Doch als Neuzugang William die Nachbarzelle bezieht, wird Joes Sehnsucht nach Freiheit durch ein anderes Begehren abgelöst. Einander mit wachsender Begierde und Verzweiflung umkreisend, begeben sich Joe und William auf eine Reise der emotionalen Emanzipation. Der Debütfilm des belgischen Regisseurs Zeno Graton verfolgt die Irrungen und Wirrungen einer Leidenschaft zwischen zwei jungen Männern, die für ihre Liebe im wahrsten Sinne des Wortes Mauern sprengen müssen. Andreas Wilink über einen Ausbruch der Gefühle, den man im Februar in der Queerfilmnacht und ab 29. Februar regulär im Kino miterleben kann.
All of Us Strangers

All of Us Strangers

Drehbuchautor Adam lebt in einem fast leeren Hochhaus am Rande von London. Eines Nachts steht sein mysteriöser Nachbar Harry vor der Tür, flirtet mit ihm und bittet um Einlass. In den nächsten Tagen und Wochen entwickelt sich zwischen den beiden eine Beziehung von höchster Intimität. Währenddessen schreibt Adam an seinem neuen Drehbuch, das ihn zum Ort seiner Kindheit führt. In dem alten Haus der Familie trifft er auf seine Eltern, die noch immer genauso alt sind wie an dem Tag, an dem sie 30 Jahre zuvor tödlich verunglückten. Wie kaum ein anderer Regisseur kann der Brite Andrew Haigh („Weekend“, „Looking“) schwule Erfahrungen und Gefühle in die Sprache des Kinos übersetzen. „All of Us Strangers“ mit dem Leinwandtraumpaar Andrew Scott und Paul Mescal ist sein bisher schönstes und tiefgreifendstes Werk – und einer der berührendsten Filme der letzten Jahre. Andreas Köhnemann über eine bittersüße Kinoerfahrung.