Passages

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Filmemacher Tomas (Franz Rogowski) und Grafikdesigner Martin (Ben Whishaw) leben in Paris und sind seit Jahren glücklich verheiratet. Bei der Abschlussparty zu den Dreharbeiten seines neuen Films lernt Tomas die junge Grundschullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos) kennen, mit der er sich ohne Rücksicht auf seinen Mann in eine wilde Affäre stürzt. Ira Sachs („The Delta“, „Keep the Lights On“, „Little Men“) entwirft in seinem neuen Film mit der Schauspielkunst gleich dreier Stars des europäischen Arthouse-Kinos ein scharfkantiges Liebesdreieck, an dessen Spitze ein narzisstischer Regisseur steht, der nicht nur von weitem an Rainer Werner Fassbinder erinnert. Andreas Köhnemann über ein Drama, dessen ungemeine Intimität sich ganz unmittelbar über die Körperlichkeit seiner Figuren, ihrer Bewegungen und Gesten vermittelt.

Bild: MUBI

…, dass Ihr mich liebt

von Andreas Köhnemann

Der deutsche Filmemacher Tomas und der britische Grafikdesigner Martin leben als Ehepaar in Paris. In einem schicken Appartement mit vollen Bücherregalen führen die beiden ein Bohemian-Dasein zwischen künstlerischen Projekten, abendlichen Bar-Gesprächen und erregenden Nächten. Letztere geschehen meist miteinander – doch manchmal vergnügt sich Tomas auch außerhalb der Zweierbeziehung, insbesondere nach Abschluss nervenaufreibender Dreharbeiten.

Deshalb reagiert Martin verhältnismäßig stoisch, als sein Partner ihm eines Tages ganz unverblümt verkündet, in der letzten Nacht Sex mit einer Frau gehabt zu haben. Keine große Sache, kein Grund zum (Liebes-)Drama. Aber es bleibt diesmal nicht bei einem One-Night-Stand. Tomas fühlt sich so sehr zu der französischen Grundschullehrerin Agathe hingezogen, dass er bald seine Kisten packt, um fortan bei Agathe zu wohnen. Bis er sich dann plötzlich wieder nach dem Leben mit Martin zurücksehnt und eine weitere Runde auf dem Gefühlskarussell dreht.

In Ira Sachs’ Filmen aus dem vorherigen Jahrzehnt, von „Keep the Lights On“ (2012) bis „Frankie“ (2019), hatten die Figuren und deren Umfeld neben emotionalen Konflikten auch mit gesundheitlichen und/oder finanziellen Problemen zu kämpfen: Drogensucht, Gentrifizierung, Krebserkrankung. In „Passages“ scheint das zentrale Trio von solchen Sorgen völlig befreit zu sein. Die Miete ist bezahlbar, die Körper sind jung und gesund. Existenziell und bedrohlich mutet der geschilderte Schmerz dennoch an.

Einen Film über Intimität habe er machen wollen, meint Sachs. Und tatsächlich gelingt es dem Regisseur, uns die Figuren in den freizügigen Liebesszenen sehr nahezubringen. Während Nacktheit und Sex auf der Leinwand oft nur dazu dienen, die gezeigten Personen in Schauobjekte zu verwandeln, setzt Sachs ganz wörtlich auf Körpersprache: Die nackten Körper sind selbst Teile wortloser Dialogsequenzen, in denen die zentralen Konflikte zum Ausdruck kommen.

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Etwa wenn zu Beginn ein Tanz zwischen Tomas und Agathe in die erste gemeinsame Nacht übergeht. Agathe, die soeben genervt einen Typen abserviert hat, und Tomas, den gerade mal wieder die Abenteuerlust packt, tauschen weder Floskeln aus, um sich kennenzulernen, noch führen sie lange, tiefsinnige Gespräche. Sachs schafft es, auch dank der feinsinnigen Kameraführung der Bildgestalterin Josée Deshaies und des innigen Spiels von Franz Rogowski und Adèle Exarchopoulos, uns das Gefühl zu vermitteln, dass die beiden sich in dieser Situation der Zweisamkeit gegenseitig viel voneinander preisgeben – und uns als Publikum mitnehmen. Der (Film-)Sex ist keine künstliche Show, sondern wahrlich intim.

Ähnlich verhält es sich, wenn Tomas und Martin Sex miteinander haben – wie zwei Menschen, die schon alles übereinander wissen und trotzdem niemals genug voneinander bekommen können. Rogowski und Ben Whishaw lassen dabei die Vertrautheit eines langjährigen Paares entstehen, ohne uns eine ausführliche Beziehungsgeschichte darlegen zu müssen.

Foto: MUBI

Wenn das Figurentrio vorübergehend den Weg einer Ménage-à-trois wagt und Agathe hellwach im Bett sitzt, während Tomas und Martin es im Nebenzimmer wild miteinander treiben, ist eine erschöpfende Diskussion über die akute Verletzungsgefahr bei einem scharfkantigen Liebesdreieck gar nicht mehr vonnöten. In rund 90 Filmminuten erzählt „Passages“, vor allem durch seine Momente der körperlichen Nähe, mehr über gebrochene Herzen und das heftige Scheitern romantischer Ideen an der Realität, als mehrstündige Kino-Epen, Endlos-Serien oder dicke Wälzer.

Dabei ist es gewiss nicht immer leicht, diesen drei Personen zuzusehen. Martin und Agathe werden zu Leidensfiguren, die etliche Demütigungen erdulden, weil sie zunächst nicht bereit sind, ihr jeweiliges (vermeintliches) Glück mit dem wankelmütigen Tomas aufzugeben. Dieser wird wiederum in der Eröffnungssequenz am Set seines eigenen Films als ziemlich angespannt und rasch reizbar eingeführt. Er erinnert in seinem Verhalten an den cholerischen Regisseur Jeff in Rainer Werner Fassbinders „Warnung vor einer heiligen Nutte“ (1971). Um das umfassende Psychogramm eines Narzissten oder um die klare moralische Verurteilung seines Protagonisten scheint es Sachs indes nicht zu gehen.

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Die unberechenbare Abruptheit, mit der Tomas Entscheidungen trifft und wiederholt das Leben und das seelische Befinden von Martin und Agathe durcheinanderwirbelt, zeugt fraglos von extremer Rücksichtslosigkeit. Tomas wirkt jedoch nicht wie ein diabolischer Strippenzieher, dem es Freude bereitet, Martin und Agathe gezielt zu zerstören. Er verheddert sich stattdessen selbst stets mit Haut und Haaren in seinen impulsiv gesponnenen Netzen des Begehrens, ist gegenüber sich selbst ebenso rücksichtslos wie gegenüber den zwei Menschen, die er liebt. Tomas ist ein queerer, polyamoröser Anti-Held in einer bittersüßen modernen Sittenkomödie, dem sich wirklich vieles vorwerfen lässt, aber immerhin nicht, dass es seinen geäußerten Gefühlen jemals an Intensität mangeln würde.

Als Mann in seinen Dreißigern hat Tomas eher etwas von einem Teenager in der Charakterisierung durch Marcel Proust in „Im Schatten junger Mädchenblüte“ (1919): Er ist eine Person, die „den Verstand nicht befragt“ und die in ihrer Spontaneität „beinahe keine Geste aus[führt], die man nicht nachher gern zurücknehmen möchte“. So obliegt es irgendwann Martin und Agathe, das schmerzende Spiel zu beenden. Gesten, zu denen sich Tomas im Gefühlsüberschwang hinreißen lässt und die in kitschigen RomComs meist zur finalen Eroberung führen, etwa eine dramatische Liebesbekundung an einem öffentlichen Ort, müssen von ihnen hart zurückgewiesen werden. Martin und Agathe müssen die Erwachsenen, die Vernunftmenschen sein und ihre Träume begraben, da Tomas vermutlich niemals aufhören wird, erbarmungslos zu träumen und rabiat zu lieben.




Passages
von Ira Sachs
FR 2023, 92 Minuten,
deutsche SF & englisch-französische OF mit deutschen UT,
Salzgeber

Ab 31. August im Kino

 


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