Du sollst nicht lieben

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„Kann Gott eine Liebe von solcher Klarheit verurteilen?“, fragte die französische Libération in ihrer hymnischen Rezension von „Du sollst nicht lieben“. In seinem Debütfilm erzählt Regisseur Haim Tabakman die Liebesgeschichte zwischen zwei orthodoxen Juden, die vor allem einen der beiden, einen verheirateten Familienvater, in eine tiefe Lebenskrise stürzt. Tabakmans aufwühlendes, vielfach preisgekröntes Drama wirft einen vieldeutigen Blick in die Welt des ultra-orthodoxen Judentums und nimmt sowohl das sexuelle Begehren als auch den Glauben als menschliche Bedürfnisse ernst. Der Film steht als Stream zum Ausleihen und Kaufen im Salzgeber Club zur Verfügung. Paul Schulz hat sich zum damaligen deutschen Filmstart mit Haim Tabakman zum Gespräch getroffen und „Du sollst nicht lieben“ für uns besprochen.

Foto: Salzgeber

„Mit Gott ist nicht zu spaßen“

von Paul Schulz

Israel ist keine große Filmnation. Das Land produziert kaum zwei Dutzend Kinofilme im Jahr. Umso interessanter ist es, dass dabei alle paar Jahre wirklich spannende Filme mit schwuler Thematik herauskommen, die auf Festivals große Erfolge feiern, von der Kritik zu Recht gelobt und vom Publikum geliebt werden.

Die künstlerische Auseinandersetzung mit Homosexualität spiegelt eine im Vergleich mit Mitteleuropa oder Nordamerika relativ junge gesellschaftliche Debatte wider, die in etwas mehr als zehn Jahren dazu geführt hat, dass Israel das homofreundlichste Land im gesamten Nahen Osten geworden ist und Tel Aviv zu einer der spannendsten queeren Szenen weltweit wurde. Stammvater des israelischen Queer Cinema ist Eytan Fox, der mit „Yossi & Jagger“, „Walk on Water“ und „The Bubble“ viel beachtete Homohits gedreht hat und so zum vielleicht bekanntesten Filmemacher seines Heimatlandes wurde. Auch international verkaufen sich Fox’ Melodramen aus der Tel Aviver Szene blendend, obwohl (oder gerade weil?) er und sein Partner Gal Uchovsky in ihren Scripts neben Homosexualität auch so heiße Eisen wie den Mossad, Kriegsverbrecher und den Konflikt mit Palästina anpacken.

Haim Tabakman ist ein Neuling im israelischen Filmgeschäft, aber sein Debüt „Einayim Pkuhot“, hat auch ihn 2009 in seinem Heimatland schlagartig bekannt werden lassen. Denn „Du sollst nicht lieben“, wie der Film nun auf Deutsch heißt, erzählt eine schwule Liebesgeschichte zwischen zwei orthodoxen Juden in Jerusalem und sticht damit kräftig und beabsichtigt mitten in ein gesellschaftspolitisches Wespennest. In den immer noch starken orthodoxen Strömungen im israelischen Judentum ist Homosexualität aus denselben Gründen verboten wie bei den Evangelikalen in den USA oder im Islam – die Religion schreibt es vor und die absolute und somit bequeme Sicherheit, die man aus Verboten auch beziehen kann, zementiert sie als gesellschaftliche Praxis.

Tabakman illustriert das so: Der Fleischer Aaron, verheiratet und Vater von drei Kindern, verliebt sich in Ezri, einen 22-jährigen Jeshiva-Schüler, den er als Lehrling in seinem Geschäft anstellt und in seine Familie aufnimmt, nachdem der Regen ihn ihm vor die Füße gespült hat. Ezri flirtet sacht, Aaron erschaudert und weicht zurück, Ezri wartet und Aaron kommt. Sie erleben eine kurze Periode des bald nicht mehr so geheimen Glücks, bis die Pashkavils (Poster, die in orthodoxen Gemeinden für öffentliche Bekanntmachungen genutzt werden) verkünden: „Es lebt ein schlechter Mensch mitten unter uns“. „Ich brauche ihn. Ich war tot. Jetzt lebe ich“, gesteht Aaron seinem Rabbi, der ihn daraufhin ohrfeigt. Am Ende trifft Aaron eine folgenschwere Entscheidung.

Tabakman schafft es mit für einen Debütanten traumhafter Sicherheit, weder Aarons Liebe zu Ezri, noch die zu seiner Familie und zu seinem Gott zu denunzieren, sondern zeigt, unterstützt von einem wunderbaren Ensemble, wo die Schwierigkeiten liegen, wenn das Herz größer wird als der Verstand erlaubt. Sein Hauptdarsteller Zohar Strauss ist für seine Bravourleistung mit dem Darstellerpreis des Jerusalemer Filmfestivals bedacht worden und der israelische Popstar Ran Danker liefert als Ezri eine nicht nur den Augen schmeichelnde Vorstellung ab. Der stilistisch vielleicht am ehesten mit Rosselini und dem Cinéma Verité vergleichbare Film lässt seine Darsteller in Ruhe und überfrachtet seine Bilder nicht. Tabakman weiß um das Potential seiner Geschichte und tut gut daran, ihm zu vertrauen.

Foto: Salzgeber

Wir haben uns mit Haim Tabakman über die Sicherheiten des orthodoxen Glauben, den Zweifel und das Begehren gesprochen.

Haim, warum wollten Sie „Du sollst nicht lieben“ drehen?

Ich habe das Drehbuch in die Hand gedrückt bekommen und fand es großartig. Weil es den Konflikt zwischen orthodoxem Leben und Homosexualität so wunderbar veranschaulicht, ohne die eine oder andere Seite zu verurteilen. Sie müssen wissen: Für jeden Juden in Israel besitzt die Idee eines orthodoxen Lebens eine große Kraft. Man kann sich davon sehr abgestoßen fühlen, aber es ist auch ein Faszinosum, selbst – oder vielleicht gerade – wenn man schwul ist. Orthodox zu sein bedeutet, dass das Leben einfach ist, denn man weiß genau, wie man leben soll. Es gibt für Alles und Jedes eine Regel. Und wenn man zweifelt oder in Bedrängnis ist, gibt es eine festgefügte Gemeinschaft, die einen hält, einen auffängt und einen trägt. Und einen tieferen Sinn hat das Ganze auch noch: Man ist auf dem Weg zu Gott. Man kann sich unendlich sicher und geborgen fühlen. Wenn man so lebt wie alle anderen.

Und wenn nicht?

Dann kann man nicht orthodox leben. So ist das nun mal. Die Orthodoxie ist ja Teil unseres Alltags. Man begegnet ihr jeden Tag. Und etwas, mit dem man jeden Tag konfrontiert wird, zieht man auch in Erwägung oder denkt zu mindestens darüber nach. Würde ich mich entscheiden, so zu leben, könnte ich mich an eine orthodoxe Gemeinschaft wenden und hätte innerhalb einer Woche ein Zuhause, eine Frau und einen Job. Aber möchte ich das? In Israel sind Religion und Gemeinschaft die Grundlage unserer Geschichte. Daran kommt man nicht vorbei.

Haim Tabakman – Foto: Salzgeber

Glauben Sie an Gott?

Nicht wirklich, aber ich fürchte ihn.

Wie das?

Ich fürchte mich davor, dass es ihn vielleicht doch gibt. Denn gäbe es ihn, sollte man nicht sein ganzes Leben damit verbringen, ihn zu ehren, für ihn zu arbeiten, seine Werke zu tun?

Sollte man?

Das ist die Grundfrage, die der Film stellt: Sollte man, auch in der eventuellen Abwesenheit von Gott, versuchen, ein gottgeweihtes Leben zu führen? Sollte man die eigenen Bedürfnisse, Nöte, Gelüste hintanstellen und sich voll und ganz einer anderen Macht unterordnen, weil man darauf vertraut, dass das richtig ist? Sollte man die Tora und die Bibel ernst nehmen? Ist der Text wichtiger als der Autor? Kommt es darauf an, ob es Gottes Wort ist, wenn es auch ohne ihn richtig ist?

Schwierig.

(lacht) Ja. Mit Gott ist nicht zu spaßen. Jeder muss für sich selbst beantworten, ob er ihn in seinem Leben braucht oder nicht. Mein Film erzählt von zwei Menschen, die Gott in ihrem Leben brauchen, sich ein nicht religiöses Leben nicht vorstellen können …

Foto: Salzgeber

Und ihre Freiheit dafür aufgeben.

Ach ja. Freiheit. Natürlich. Ist ein unfreies Leben weniger schön als ein freies, wenn man als freier Mensch unglücklicher ist?

Das kann ich nicht ad hoc beantworten.

Sehen Sie, ich auch nicht. Die Tora sagt, man kann nicht gleichzeitig ein spiritueller Mensch und homosexuell sein. Und doch versuchen Menschen täglich, diese beiden Dinge in Einklang zu bringen. Fast immer erfolglos.

Warum?

Weil es eben diesen Grundwiderspruch gibt: Homosexualität ist laut der Tora eine Todsünde, es steht sogar geschrieben, dass Homosexuelle auf keinen Fall Söhne Israels, also Juden, sein können. Und trotzdem sind natürlich auch Homosexuelle Kinder Gottes. Die Frage ist, wie man damit umgeht.

Ist es das, was Sie an der Geschichte so gereizt hat?

Mich hat sowohl der menschlich-philosophische Aspekt wie natürlich auch der rein filmische Ansatz gereizt. Die Dichotomie, diesen Zweifel und das Spannungsfeld zwischen dem Begehren, das man für einen anderen Menschen verspürt, und dem Begehren, Gott zu gefallen, darzustellen, ist natürlich sehr reizvoll. Dazu kommt aber auch: Es gibt so gut wie keine Filme über orthodoxe Juden, weil sich diese Gemeinschaften nicht gern abbilden lassen. Die Orthodoxie braucht die Versicherung durch Selbstdarstellung nicht, die Film ihr anzubieten hat. Sie ist ohnehin überzeugt von dem was sie tut und es ist ihr eigentlich egal, was andere über sie denken. Deswegen war es reizvoll für mich, dieses filmisch relativ unbearbeitete Terrain zu betreten und zu schauen, welche Bilder sich dort finden lassen.

Foto: Salzgeber

Israel ist tief gespalten, wenn es um Schwule und Lesben geht. Auf der einen Seite gibt es Jerusalem, diese tief in religiöse Praxis eingehüllte Stadt, in der die Szene klein und verschwiegen ist, dort spielt ihr Film. Und auf der anderen Seite gibt es Tel Aviv, das so schwulenfreundlich ist wie New York oder Paris, wo viele Filme von Eytan Fox spielen. Wo befindet sich Israel gerade zwischen diesen beiden Polen?

Die Gesamtgesellschaft ist weder ganz auf der einen, noch auf der anderen Seite. Auch in Jerusalem gibt es ja schwules Leben, es ist nur viel angepasster als in Tel Aviv. Und in Tel Aviv gibt es zwar diese totale Offenheit, aber eben auch Mordanschläge gegen schwule Organisationen. Der Entwicklungsprozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Wir wollen eine moderne Gesellschaft sein und gestalten unsere Gesetze entsprechend, wollen dabei aber gleichzeitig unsere religiösen Wurzeln schützen.

Die Tora brandmarkt Homosexualität einerseits als Todsünde, leugnet aber auf der anderen Seite, dass es Homosexuelle überhaupt gibt. Können Sie mir das erklären?

Was die Schriften meinen ist wohl Folgendes: Homosexualität existiert nach jüdischem Glauben nicht. Außer als Verirrung und Versuchung, der man wiederstehen muss, um zu Gott zu finden.

Foto: Salzgeber

Hätte sich Gott nichts Besseres einfallen lassen können?

(lacht) Oh, es gibt ja eine Mannigfaltigkeit sogenannter Todsünden. Die alle dafür geschaffen sind, damit der Mensch ihnen widersteht und so sein göttliches Wesen erkennt, so steht es jedenfalls geschrieben. Und in diesem Zustand befinden wir uns doch auch permanent, egal ob es Gott gibt oder nicht. Jeder sucht ständig nach dem richtigen Lebensweg, weil wir uns nicht sicher sind, ob es richtig ist, was wir tun oder nicht.

Kann Ihr Film dabei helfen?

Ich fälle keine Urteile und gebe keine Ratschläge. Ich stelle Fragen und zeige zwei Aspekte menschlichen Lebens, die ich beide für wichtig und sehr schön halte. Der Rest liegt beim Zuschauer. Wenn sie Lebenshilfe wollen, gehen sie in die Kirche, nicht ins Kino.

Hilft es Ihnen, dass der Film eine schwule Thematik hat, um damit auch international wahrgenommen zu werden?

Ich habe keinen schwulen Film gedreht, um berühmt zu werden, wenn Sie das meinen sollten. Wenn der Film auch im Ausland Erfolg hat, freut mich das natürlich. Mir ist der Sensationsaspekt von „schwule orthodoxe Juden“ schon bewusst, ich glaube aber, dass der Film dieses sensationslüsterne Moment nicht bedient. Ich mache meine Figuren nicht zu Abziehbildern, sondern versuche, jeder von ihnen ihre Seele zu lassen.




Du sollst nicht lieben
von Haim Tabakman
IL/FR/DE 2009, 90 Minuten, FSK 12,

deutsche Synchronfassung,
Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche SF): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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