Hamam – Das türkische Bad

TrailerDVD / VoD

Bei seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1997 wurde „Hamam – Das türkische Bad“ als Meisterwerk gefeiert und ist längst zu einem Klassiker des queeren Kinos avanciert. Regisseur Ferzan Özpetek („Die Ahnungslosen“) nutzt die homoerotische und höchst sinnliche Atmosphäre türkischer Bäder und den Zauber der Metropole am Bosporus, um in verführerischen Bildern von einem sexuellen und kulturellen Erwachen zu erzählen – und vom Eintauchen in eine einzigartige, faszinierende Welt. Jetzt erscheint der Kultfilm in digital restaurierter Fassung. Unser Autor Christian Lütjens hat ihn als zeitloses Märchen über das Suchen und Finden der (Selbst-)Liebe erlebt.

Foto: Edition Salzgeber

Schwitzende Leiber im zeitlosen Dampf

von Christian Lütjens

Als Regisseur Ferzan Öztepek in seiner Wahlheimat Italien vor ein paar Wochen mit einem Verdienstorden in den Rang eines „Commendatore“ erhoben wurde, blieb es in der queeren Presse erstaunlich still. Während viele türkische News-Dienste triumphierten, dass der Landsmann es nach seiner Auswanderung in den Stiefelstaat zum Ehrenbürger gebracht hat, und Öztepek selbst feierte, „dass die Italiener mich auf diese Weise als einen von ihnen annehmen“, war von den Verdiensten, die der Filmemacher durch die konsequente Einbindung queerer Plots und Figuren in seine Leinwand- und Operninszenierungen der LGBTIQ*-Szene erweist, kaum die Rede.

Vielleicht weil Öztepek selbst sehr beiläufig mit seinem Schwulsein umgeht (2016 heiratete er ohne viel Tamtam seinen langjährigen Partner Simone Pontesilli) und Homosexualität in seinen Filmen lieber als Selbstverständlichkeit behandelt, statt sie zur Identitätsfrage zu machen. 2010 äußerte er im Männer-Interview mit Patrick Heidmann: „Mich macht es wütend, ständig reduziert zu werden auf die Kategorie des ‚schwulen Regisseurs‘ (…) Ich würde mir wünschen, dass man Begriffe wie homo- und heterosexuell eines Tages gar nicht mehr brauchen wird. Schließlich geht es doch einfach nur um Menschen, sowohl im Leben wie in meinen Filmen.“

Wenn jetzt mit „Hamam – Das türkische Bad“ Öztepeks Debütfilm in digital restaurierter Fassung neu auf DVD erscheint, ist das eine schöne Steilvorlage, das Werk an der „Einfach nur um Menschen“-Aussage zu messen und über 20 Jahre nach der Erstaufführung im Jahr 1997 auf sein queeres Potenzial abzuklopfen. In der Internet Movie Data Base (imdb.com) belegt „Hamam“ auf der inoffiziellen Liste von „30 schwulen Filmen, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt“ Platz Vier – vor „Brokeback Mountain“ und hinter „Moonlight“. Nicht schlecht für einen Film, dessen schwule Lovestory eigentlich nur in einer sechs Sekunden langen Kuss-Szene so richtig offensichtlich wird, sonst aber in der gesamten Handlung genauso wenig direkt thematisiert wird wie die sexuelle Orientierung der beiden Protagonisten, die sich im heißen Dampf des titelgebenden Bades abknutschen.

Erzählt wird die Geschichte des italienischen Yuppies Francesco, der seinen stressigen Alltag zwischen Verpflichtungen als Innenarchitekt und ewigen Streitereien mit Ehefrau und Kollegin Marta hinter sich lässt, um nach Istanbul zu reisen. In der Stadt am Bosporus will er ein Haus verscherbeln, das er nach dem Tod seiner Tante Anita geerbt hat. Eigentlich hat er für den Trip nur zwei Tage eingeplant, doch die Gastfreundschaft von Perran und ihrer Familie, mit der „Madame Anita“ ihr Anwesen im historischen Ayakapı-Viertel geteilt hat, verlängert den Aufenthalt. Unverhofft erfährt Francesco eine Menge Details über das Leben der Tante, u.a. dass sie als „erste Abendländerin, die Domäne der allmächtigen Familienväter“ aufbrach und ein türkisches Badehaus betrieb, das jetzt geschlossen ist und in einem Nebengelass des geerbten Hauses vor sich hinrottet. Francesco ist fasziniert von dem Gebäude. Auch weil ihn sein neuer Freund Mehmet in die Genüsse der Hamam-Kultur einführt. Francesco lässt den Hausverkauf platzen und beschließt, Anitas Badehaus wiederherzurichten. Ein Aufbruch in die Unbeschwertheit beginnt – bis auf einmal Ehefrau Marta auf der Matte steht und das schwerelose Gleichgewicht des Istanbuler Neuanfangs ins Wanken bringt.

Foto: Edition Salzgeber

Wenn man von ein paar Neunziger-Jahre-spezifischen Eigenheiten wie monströsen (aber damals hochmodernen) Klapp-Handys und unablässiger Raucherei absieht, könnte die Geschichte von „Hamam“ genauso gut heute spielen. Es geht um Gentrifizierung, kulturelle Unterschiede zwischen Orient und Okzident, die Rückbesinnung auf die Lebenslust in einem gehetzten Business-Alltag und um weibliche Emanzipation in der männerdominierten türkischen Gesellschaft. Dass der Film auch nach über 20 Jahren nicht altmodisch wirkt, liegt aber vor allem daran, dass die Geschichte als nostalgisches Märchen angelegt ist. Die Welt der Istanbuler Yali-Holzhäuser, der traditionellen Riten und der Badehaus-Kultur, von der „Hamam“ erzählt, war schon Ende der Neunziger ein nostalgisches Auslaufmodell. Zudem blendet Öztepeks Drehbuch politische Schattenseiten der türkischen Gesellschaft (Unterdrückung von Frauen, Homosexuellen und Andersdenkenden) weitgehend aus. Der Film liefert also eine mittels Fokussierung auf idyllische Refugien entschlackte Version der Wirklichkeit, die in ihrer Romantisierung zeitlos ist.

Foto: Edition Salzgeber

Bezeichnend für diese Herangehensweise ist der Umgang mit dem schwulen Plot. Francescos Affäre mit Mehmet wird nur durch Marta problematisiert, die die beiden in der erwähnten Szene aus Versehen beim Knutschen beobachtet. Die Männer selbst geben sich nach außen unbefangen als platonische Kumpels und verbannen ihre körperliche Beziehung in die Sphäre des Privaten. Zu leiden scheinen die beiden unter dem Versteckspiel nicht. Vielleicht, weil keiner von ihnen vorhat, schwulen Sex in einen schwulen Lebensentwurf zu überführen, also das patriarchale Gesellschaftsmodell der Türkei durch eine öffentliche Beziehung zu konterkarieren. Schwule Helden sind Francesco und Mehmet also nicht.

Der Film hat sowieso keine Helden. Er hat nur Heldinnen. Da ist Tante Anita, die als Stimme aus dem Off poetisierte Weisheiten à la „Hier muss eine Frau doppelt so viel arbeiten, um die Hälfte zu erreichen“ zum Besten gibt, da ist die liebevoll resolute Perran, die nicht nur bei ihren Gästen, sondern auch bei ihrem Mann keinen Zweifel daran lässt, wer in ihrem Haus die Hosen anhat, da ist Marta, die im Angesicht der tragischen Entwicklungen der letzten Filmminuten ihre Zickigkeit gegen menschliche Größe eintauscht und in Anitas Fußstapfen tritt. Und dann ist da noch die größte Heldin von allen – jene Schönheit, deren kühle, schmeichelnde Brise jeden Neuanfang erleichtert, und an die der Film eine unverhohlene Liebeserklärung ist: Istanbul.

Foto: Edition Salzgeber

Warum also Platz Vier auf einer Best-of-Liste mit „schwulen“ Filmen? Erstens, weil „Hamam“ als erster türkischer Film überhaupt gilt, der auch einen homosexuellen Plot hatte, zweitens, weil allein der Blick des Regisseurs das Ganze dezidiert schwul macht. Schwitzende Männerleiber und starke Frauen – mit diesen Zutaten hat auch Almodóvar die Hälfte seiner Karriere bestritten. Und zeitlose Märchen über das Suchen und Finden der (Selbst-)Liebe haben queere Seelen seit jeher beflügelt. Vor allem, wenn sie mit so federleichter Poesie daherkamen wie dieses meisterhaft leichtfüßige Debüt.

Der digital restaurierten Fassung ist hoch anzurechnen, dass sie die Zeitlosigkeit des Films nicht durch übertriebene HD-Optik und übersteuerte Bonbonfarben kaputtmacht. Es wurden lediglich Krissel und Unschärfen entfernt, sodass die epischen Aufnahmen von Istanbul stärker leuchten und die jungen Versionen von Alessandro Gassman (Franceso) und Mehmet Günsür (Mehmet) sowie der Heldinnen Serif Sezer (Perran) und Francesca d’Aloja (Marta) noch mehr strahlen, als sie es in den Neunzigern auf der Leinwand taten. Auch die Tonspur kommt rauschfrei daher, sowohl in der italienisch-türkischen Originalfassung als auch in der gelungenen deutschen Synchronisation. Also auch ohne schwules Happy End oder sonstige queere Eindeutigkeiten: Ein schöner Film. Immer noch. Und immer wieder.




Hamam – Das türkische Bad
von Ferzan Öztepek
IT/TR/ES 1997, 94 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & italienisch-türkische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche SF): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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