Lichtes Meer

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Das Meer eignet sich seit Ewigkeiten als Kulisse für schwules Seemansgarn. Nicht selten ist früher einer aufs Schiff, um der heimatlichen Sexualkontrolle zu entfliehen. Doch wie lässt sich mannmännliche Romantik heute erzählen, in Zeiten der modernen Frachtschifffahrt? Stefan Butzmühlen ist das Wagnis eingegangen. „Lichtes Meer“ erzählt von einer Matrosenliebe zwischen Vorpommern und Martinique, mit schluchzendem Soundtrack und wilden Meeresbildern, aber auch mit Blick für heutige Realitäten und beiden Beinen auf leicht schaukelndem Boden. Unser Autor Nikolaus Perneczky über einen Film, in dem Nähe und Distanz, Intimität und Autonomie einander nicht ausschließen.

Foto: Salzgeber

Öler, Schweißer und Wischer

von Nikolaus Perneczky

Von Billy Budd bis Querelle: die schwulen Matrosen von „Lichtes Meer“ können auf eine illustre Ahnengalerie zurückblicken, um die sie sich jedoch wenig scheren. Anhalt findet der Film anderswo: bei traditionellen Seemannsliedern (und von Fabrizio Tentoni eigens arrangierten Pastiches derselben) oder bei Puccinis Madama Butterfly, den Blick erwartungsvoll aufs Meer gerichtet. Ein eingängiger, eklektischer Soundtrack, der Weite, Ferne und Sehnsucht trianguliert, den Bildern dabei aber irgendwie äußerlich bleibt als mal ironisch distanzierter, mal gemütvoll überblasener Paralleltext, nie ganz sich deckend mit der Wirklichkeit an Deck. An Bord eines Containerschiffs kommen sich der Möchtegernmatrose Marek und der versierte Schiffsmechaniker Jean allmählich näher. Und bleiben sich doch fern, gefangen in der kognitiven Dissonanz zwischen den Songs, die sich aus Sicht der Daheimgebliebenen nach dem ausgezogenen Matrosen sehnen, und jenen, die, schwankenden Schritts, das Lob des offenen Horizonts und der neuer Ufer singen.

Die Geschichte ihrer Begegnung ist doppelt gerahmt – doppelt entfernt – als Erinnerung in Rückblende, die ihrerseits angeregt wird durch einen Briefwechsel. Nähe und Distanz, Intimität und Autonomie schließen einander nicht aus in diesem Film, sondern stehen in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis, auch wenn Marek das erst noch am eigenen Leib erlernen muss. Vom pommerschen Bauernhof seiner Mutter, wo er vorübergehend arbeitet, versetzt er sich zurück auf das Containerschiff, auf dem er zuvor angeheuert hatte auf der Suche nach – ja, wonach eigentlich? Mareks Zukunft, soviel steht zu Beginn von Lichtes Meer fest, die liegt in Deutschland – der Studienplatz in Berlin wartet bereits –, aber der Film weiß es besser und wird uns am Ende der langen Rückblende nicht in die rahmende Erzählgegenwart zurückholen, sondern entlässt uns, ohne festen Boden unter den Füßen, in eine Vergangenheit am offenen Fenster, als alles noch Möglichkeit war.

Das erste Zusammentreffen mit Jean in einem Hotel, wo Marek der Ankunft seines Frachters harrt, der nie kommen wird. Durch einen Türspalt erspäht er einen Ringkampf, ein Wirbel nackter Oberkörper. Einer davon gehört Jean, der ihn tags darauf informiert, dass die Frachttour, auf die Marek wartet, abgesagt wurde aufgrund eines Motorschadens: die Schifffahrt ist eine kapriziöse Geliebte. Zusammen machen sich die beiden auf nach Saint-Nazaire, um von dort ein anderes Schiff zu nehmen. Zu Fuß, per Anhalter: wer Fernweh hat, dem ist jedes Mittel recht. Am Hafen richtet Jean ein Fernrohr auf Marek, als ob er ihn von ganz weit her zu sich heranholen müsste. Jean ist nicht zum ersten Mal auf großer Fahrt, kein Decksbauer wie der zum Toilettenputzen abkommandierte Marek, sondern in verantwortlicher Position an den Schiffseingeweiden zugange.

Foto: Salzgeber

In seiner Bewegung von Pommern an die französische Atlantikküste und von dort nach Martinique funktioniert „Lichtes Meer“ ein wenig wie ein nautisches Road Movie, nur dass die Route, anstatt uns durch einen sozialen Raum zu führen, den rein logistisch bestimmten Koordinaten des internationalen Handels folgt. Ein Containerschiff ist kein Personenkraftwagen, aber eben auch keine Bounty und keine Pequod – kein Ort, der (homosoziale) Gemeinschaftsbildung oder den Verfolg von Privatobsessionen anregt – sondern eine aus lauter identischen Modulen zusammengesetzte schwimmende Abstraktion, die nur ein Ziel kennt, dem alles andere unterstellt ist: den Warenverkehr. Es ist darum auch nie die Rede davon, dass Mareks und Jeans Liebelei Anstoß erregen könnte unter der restlichen Crew, die durchweg schemenhaft bleibt und nur im Verbund mit dem Schiff, als Teil der Gesamtmaschinerie, in Erscheinung tritt.

Ein monströses Setting, das man auch in Richtung „Leviathan“ oder „Dead Slow Ahead“ hätte ausdeuten können; dennoch hat es Hand und Fuß, wenn Regisseur Stefan Butzmühlen das Monster mit eigentlich anachronistischer Seemannsromantik anstreicht. Liebe zwischen Containern und Sex, übertönt von Maschinenlärm: eröffnet die totale Abstraktion zuletzt eigene Formen von Freiheit? Zumindest gesellschaftliche Repression, so scheint es, muss hier niemand fürchten. Außer der, die man selbst mitgebracht hat. Wie nebenbei erstellt „Lichtes Meer“ ein Inventar des Containerschiffs – seiner Länge, Breite, maximalen Ladekapazität (2462 TEU) und der sonderbar anzüglichen Nomenklatur seiner Belegschaft, vor allem im Maschinenraum, wo sich “Öler”, “Schweißer” und “Wischer” tummeln. (Ein für die Kühlanlagen an Bord zuständiger Schmierer, so weiß Wikipedia, heißt im Seemannsargot “Eisbär”, aber den hat sich der Film entgehen lassen.) Nie lässt „Lichtes Meer“ vergessen, dass seine Erzählung ein Anhängsel transatlantischer supply chains ist, Schmuggelware gewissermaßen, die sich auf der regulären Handelsroute Nischen sucht; kleine Freiheiten inmitten des gleichförmigen und gegen seine Fiktionalisierung völlig gleichgültigen Schiffsbetriebs.

Foto: Salzgeber

Etwas Improvisatorisches haftet den Liebeshändeln von Marek und Jean deshalb an, sie proben und probieren. Dass Marek Deutscher ist und Jean Franzose, hilft dabei: “Wie sagt man Penis auf französisch?” Die Differenz zwischen den beiden, was sie zugleich entfernt und anzieht, wird nicht nur sprachlich ausgetragen, sondern steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Und wie schon im Fall des schwelgerischen Soundtracks kann man sich auch im Hinblick auf das deutsch-französische Typecasting nie ganz sicher sein, wie ernst es dem Film ist mit seinen gesuchten Klischees. Der Kamerablick ist stets von Begehren durchwirkt, Bild und Ton scheinen teilzuhaben an Mareks Projektionen und Besetzungen. Dazwischen lange Einstellungen in realistischer, ja dokumentarischer Auflösung, aber auch sie können jeden Moment seemannsromantisch überlaufen: Containerstapel schieben sich durch die elektrische Nacht, sentimentalisch unterspült vom „Humming Chorus“ aus „Madama Butterfly“.

Foto: Salzgeber

Vielleicht hat es mit Mareks unübersehbarem Deutschsein zu tun, wenn er auf halber Strecke klare Verhältnisse und somit eine Form von Stabilität fordert, die dem Seemannsdasein – nicht nur als romantischem Ideal, sondern auch und gerade in seiner handfesten Wirklichkeit, als Handels- und Wetterkonjunkturen unterworfene Saisonarbeit – in gerader Linie zuwiderläuft. Jean, der seit Jugendtagen keinen festen Freund mehr hatte, weiß dieser Forderung erst gar nicht zu begegnen. Der Landgang auf Martinique, auf der anderen Seite des Atlantiks, verspricht eine andere Bewegungsart, in einem anderen Element; Zeit für Abdrift und Verirrung. Aber Marek ist eifersüchtig, nervt herum, bis Jean sich nicht mehr anders zu helfen weiß und ihn – genau! – einen Faschisten nennt. Das ist der Tiefpunkt, wenn nicht des Films, so doch ihrer Beziehung. Dann jedoch, wie von magischer Hand, verschiebt sich etwas zwischen den beiden für einen kurzen, glücklichen Moment. Mag sein, dass die Glühwürmchen ihnen heimgeleuchtet haben. Marek schält eine Orange und sieht aus wie in einem Film; Johnny’s gone to Hilo.


Lichtes Meer
von Stefan Butzmühlen
DE 2015, 79 Minuten, FSK 12,
deutsch-französisch-englische OF mit deutschen UT,
Salzgeber
www.lichtesmeer.de

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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