Beatrice Behn (Autorin)

Zehn Filme des Jahres

Zehn Filme des Jahres

Eine verbotene Liebe in Kenia. Fünf wilde Jungs auf einer verwunschenen Insel. Zwei fremde Schwestern, die sich gleichen. Französisches Wortgewichse in neuer Haut. Emily Dickinsons Ehrenrettung. Erinnerungen an das Begehren früherer Tage. Phantome aus Blut und Sperma. Die Befreiung des weiblichen Blicks. Genderrevolten in Genf. Und eine sagenhafte Grenzüberschreitung. Zu Silvester wagt sissy wieder einen Blick zurück – und freut sich über ein großartiges, vielgestaltiges queeres Kino-Jahr, das uns vor allem mit vielen starken weiblichen Perspektiven begeistert hat. Eine kleine Passage entlang zehn nicht-heterosexueller Filmhighlights der letzten zwölf Monate – wie gewohnt in Form kurzer Auszügen aus den Originalrezensionen unserer Autor*innen.
Cats

Cats

Nächste Woche startet endlich "Cats", Tom Hoopers heiß ersehnte Verfilmung von Andrew Lloyd Webbers Erfolgsmusical – und die internationale Filmkritik zerreißt sie bereits seit Tagen in der Luft. Insbesondere die tricktechnisch gestützten, den Menschen allzu ähnlich wirkenden Katzenfiguren irritieren. Eine beispiellose "Monstrosität" sei der Film, ja "das Schlimmste, das Katzen seit Hunden passiert ist". Aus queerer Perspektive kann man das aber auch alles ganz anders sehen. Beatrice Behn hat sich in Hoopers pelziges und bemerkenswert sexualiertes Gruselkabinett gewagt und einen Film entdeckt, der größtes Unbehagen verursacht und zugleich queere Schaulust befriedigt wie kaum ein zweiter der letzten Jahre. "Cats" ist der jüngste Beweis dafür, dass Camp immer seinen Weg findet, vor allem in den Händen von nichts ahnenden Heteros.
Booksmart

Booksmart

Molly und Amy sind beste Freundinnen und die Streberinnen ihrer Highschool. Am Tag vor der Vergabe der Abschlusszeugnisse stellt Molly mit Entsetzen fest, dass es auch ihre Mitschüler*innen an die besten Unis des Landes geschafft haben, obwohl die zuvor doch eigentlich nur Feiern im Kopf hatten. Die beiden beschließen, in den letzten verbleibenden Stunden ihrer Schülerinnen-Karriere alle verpassten Exzesse nachzuholen uns stürzen sich in eine epische Party-Nacht. Schauspielerin Olivia Wilde ("Dr. House") verpasst mit ihrem rasant inszenierten Regiedebüt der zuletzt etwas angestaubten Highschool-Komödie eine Frischzellenkur, bei der Queersein kein Problemthema mehr ist. Unsere Autorin Beatrice Behn findet das eigentlich ganz smart, hätte sich aber für die nicht-heterosexuellen Figuren etwas mehr Emanzipation gewünscht.
Searching Eva

Searching Eva

In ihrem Langfilmdebüt "Searching Eva" porträtiert Pia Hellenthal die in Berlin lebende Italienerin Eva Collé, die seit Jahren ihre Follower im Internet und auf Social-Media-Kanälen an ihrem Alltag mit allen Höhen und Tiefen teilhaben lässt – und dabei auch intimste Details nicht ausspart. Eva lebt vielfältige Identitäten, sie ist Katzenbesitzerin, Dichterin, Sexarbeiterin, Bisexuelle, Ex-Junkie, Feministin, Anarchistin, Model. Ihre Realität ist virtuell und das Leben eine subjektive Konstruktion unter eigener Regie. Beatrice Behn über einen hybridartigen Film mit einer höchst queeren und im besten Sinne schamlosen Protagonistin.
Normal

Normal

Jetzt im Kino: In ihrer dokumentarischen Betrachtung „Normal“ befasst sich die italienische Filmemacherin Adele Tulli mit dem Thema Gender - ohne das Gezeigte jemals zu kommentieren. Was mit dem ersten Blick auf das Geschlechtsteil bereits vor der Geburt seinen Anfang nimmt, setzt sich mit Ritualen im Kindes- und schließlich im Erwachsenenalter fort: Wie sich „Mann“ und „Frau“ zu geben haben, muss immer wieder eingeübt werden. Unsere Autorin Beatrice Behn hat „Normal“ für uns gesehen - und darin das Potenzial für eine persönliche Revolution entdeckt.
Acht Filme des Jahres

Acht Filme des Jahres

Das nicht-heterosexuelle Kinojahr 2018 war so vielfältig wie kaum ein Jahr zuvor – vor allem was die Perspektiven und Lebensentwürfe seiner filmischen Figuren betrifft. Wir haben für Euch unsere acht Highlights der vergangenen Monate zusammengetragen und stellen Sie mit kurzen Spotlights in den Worten unserer Autor*innen noch einmal vor. Eine Rückschau auf ein schwules Arbeiterkind, das aus der französischen Provinz nach Paris flüchtet, um dort eine neue Entfremdung zu erleben. Auf eine schüchterne Studentin in Oslo, die sich mit übernatürlichen Kräften aus der Hetero-Hölle ihrer Kindheit befreit. Auf einen Schriftsteller, der im Paris der frühen 90er nicht mehr lange zu leben hat und sich trotzdem ein letztes Mal verliebt. Auf eine Ballettschülerin in Gent, die einen Penis zu viel hat. Auf einen altklugen Professorensohn, der während eines Sommers in der Lombardei erfährt, was er alles noch nicht weiß. Auf einen US-amerikanischen Teenager, der an seiner High School zwangsgeoutet wird und erst so in ein großes Liebesmärchen schliddert. Auf zwei Frauen, die sich in São Paulo die Mutterschaft für ein Werwolfkind teilen. Und auf einen Stricher, der so frei und so einsam durch Straßburg zieht wie ein wildes Tier.
Gute Manieren

Gute Manieren

Neu auf DVD und VoD: Die mysteriöse Ana engagiert die alleinstehende Krankenschwester Clara, damit die sich um ihr schickes Apartment in São Paulo und später um ihr noch ungeborenes Kind kümmert. Die beiden Frauen werden ein Liebespaar, doch mit dem Voranschreiten der Schwangerschaft verhält sich Ana immer merkwürdiger: Sie hat ständig Lust auf Fleisch und schlafwandelt bei Vollmond blutdurstig durch die Stadt. Nach der schaurigen "Geburt" ist Clara alleine mit Anas besonderem Sohn, der halb Mensch, halb Werwolf ist. Sie zieht Joel voller Liebe und Fürsorge auf, doch je älter er wird, desto stärker wird auch für ihn der Ruf des Mondes ... Mit betörend stilisierten Sets und einem traumhaften Lichtkonzept entwickeln die Filmemacher_innen Juliana Rojas und Marco Dutra aus der lesbischen Mütter-Kind-Geschichte ein gruseliges Großstadt-Märchen, das sozialkritisch von der Unterdrückung unerwünschten Begehrens erzählt. Beatrice Behn über einen herzzerreißenden queeren Ruf zu den Waffen, der gleich zwei folkloristische Figurenarchetypen von ihren heteronormativen Schranken befreit.
Ocean’s 8

Ocean’s 8

In Steven Soderberghs kommerziell höchst erfolgreicher "Ocean's-Trilogie" (2001-07) gaunerte sich eine Truppe sprücheklopfenden Meisterdiebe, gespielt von einer All-Star-Besetzung um George Clooney, Brad Pitt und Matt Damon, durch die Casinos der Welt. Elf Jahre nach dem letzten Teil dürfen nun auch mal die Frauen ran. Gary Ross' Spin-Off "Ocean's 8" ist mit weiblichen Superstars aus Hollywood gespickt und verspricht emanzipierte Frauenfiguren, vielleicht sogar eine clevere Dekonstruktion des männlich dominierten Heist-Film-Genres. Doch kann der Gender-Swap mit Sandra Bullock, Cate Blanchett und Anne Hathaway dem Stoff wirklich den tiefsitzenden Chauvinismus austreiben? Macht ein Film mit und über Frauen schon einen feministischen Film? Eine Feldversuch von Beatrice Behn.
Thelma

Thelma

Die schüchterne Thelma verlässt ihr konservatives Elternhaus in den norwegischen Wäldern, um in Oslo zu studieren. Als sie auf dem Campus Anja kennenlernt, entwickelt sich zwischen den beiden jungen Frauen eine starke Anziehungskraft. Doch plötzlich bekommt Thelma epilepsieartige Anfälle. Und es beschleicht sie das Gefühl, dass sie übernatürliche Fähigkeiten haben könnte... In seinem neuen Film erzählt Joachim Trier ("Oslo, 31. August", "Louder Than Bombs") das sexuelle Erwachen einer jungen Frau als doppelbödigen Mystery-Thriller und findet für ihre Unterdrückung und das immer stärker werdende Begehren sinnlich-unheimliche Bilder. Für sissy haben sich gleich zwei Autorinnen von "Thelma" betören lassen: Esther Buss liest den Film als feministische Wirkungsgeschichte, Beatrice Behn als lesbisches Quasi-Remake des Horrorfilmklassikers "Carrie" (1976). Ein gar nicht so geisterhafter Film über die Befreiung aus der Hetero-Hölle.
Axolotl Overkill

Axolotl Overkill

Als im Juni Helene Hegemanns Verfilmung ihres eigenen, heftig umstrittenen Not-Coming-of-Age-Romans "Axolotl Overkill" (2010) um die Irrfahrten der 16-jährigen Mifti in die Kinos kam, wurde er von der Filmkritik mit einem "morbiden, großbürgerlichen Heroinflug" verglichen und als herrlich sinnfreies Porträt eines wohlstandsverwahrlosten Teenagers gefeiert. Dass Hegemanns Film zugleich einer der wenigen deutschen Filme in diesem Jahr war, in dessen Zentrum eine lesbische Liebesgeschichte steht, fand derweil bestensfalls am Rande Erwähnung. Anlässlich des DVD- und Blu-ray-Starts hat sich Beatrice Behn "Axolotl Overkill" noch einmal angesehen – und schält aus der zunächst progressiv klingenden Figurenanordnung die reaktionäre Kehrseite heraus.