Searching Eva

Trailer Kino

In ihrem Langfilmdebüt „Searching Eva“ porträtiert Pia Hellenthal die in Berlin lebende Italienerin Eva Collé, die seit Jahren ihre Follower im Internet und auf Social-Media-Kanälen an ihrem Alltag mit allen Höhen und Tiefen teilhaben lässt – und dabei auch intimste Details nicht ausspart. Eva lebt vielfältige Identitäten, sie ist Katzenbesitzerin, Dichterin, Sexarbeiterin, Bisexuelle, Ex-Junkie, Feministin, Anarchistin, Model. Ihre Realität ist virtuell und das Leben eine subjektive Konstruktion unter eigener Regie. Beatrice Behn über einen hybridartigen Film mit einer höchst queeren und im besten Sinne schamlosen Protagonistin.

Foto: UCM.ONE

Niemand zertrümmert so gut wie Eva Collé

von Beatrice Behn

„Der Film beginnt jetzt!“ Das sind die ersten und unerwarteten Worte, die man als ZuschauerIn von „Searching Eva“ vorgesetzt bekommt. Und schon ist man drin in der herrlichen und nicht mehr enden wollenden Irritation, die dieses Werk in einem verursacht und auch stets in sich selbst trägt. Nicht umsonst muss es sich quasi selbst von seinem Anfang und von seiner Existenz überzeugen, denn was nun folgt, entspricht keiner üblichen medialen oder marktgerechten Form oder Logik.

Auf den ersten Blick ist Pia Hellenthals erster Langfilm das dokumentarische Porträt einer jungen Frau names Eva Collé. So weit, so gut – aber eigentlich ist alles an diesem Satz falsch. Denn so ein „richtiger“ Dokumentarfilm ist er nicht, eher ein Hybrid, ein Ding, für das es keinen Namen, keine Schublade gibt, denn die Grenzen zwischen Dokumentation und Inszenierung verschwimmen sowohl inhaltlich als auch ästhetisch so sehr, dass sie aufgehoben werden.

Ja, Hellenthal folgt Eva über ein paar Jahre hinweg immer wieder an verschiedene Orte. Doch viele Momente sind ein eindeutiges In-Szene-Setzen, welches noch dazu die Erwartungen des Zuschauenden immer wieder untergräbt. „Searching Eva“ zeigt stets Momente, die man entweder nicht hat kommen sehen, oder die durch ihre blanke Ehrlichkeit schon fast erschrecken. Dann wieder tableaux vivants, in denen Eva still starrend ihre Geschichte erzählt. Doch auch diese ändert und entwickelt sich. Klassisch narrativ zusammenbinden lässt sich hier nichts.

Noch dazu schert sich der Film einen Dreck um Kontinuität oder um eine Erzählstruktur. Lieber reiht er Momentaufnahmen an inszenierte Szenen, Blicke an geschriebene Worte, Orte an unverknüpfbare Zeiten und mäandert so durch Evas Leben wie durch einen Traum, der absurd und gleichsam zu real ist. Auch die üblichen filmischen Blickstrukturen werden hier stetig ausgehebelt. So oft hat wohl noch kein Film auf das Publikum selbst rekurriert und seine Hauptfigur kritisch fragend die vierte Wand durchbrechen und auf die ZuschauerInnen zurückblicken lassen.

Foto: UCM.ONE

„Searching Eva“, so viel ist klar, ist nicht hier, um zu unterhalten und um sich Freunde zu machen. Dieser Film ist hier, um konventionelle Zuschreibungen zu (zer)stören. Das tut er allumfassend und nimmt sich selbst dabei gleich mit in den herrlichen Abgrund, der entsteht, wenn alle Schubladen und Bezugssysteme systematisch zertrümmert werden.

Und niemand zertrümmert so gut wie Eva Collé. Sie zu beschreiben ist fast unmöglich. Denn wie soll man auch anders, als sie per Zuschreibung festzuzurren auf eine statische Persönlichkeit mit spezifischen Eigenschaften? Doch all dem entzieht sich dieser Mensch so wirkmächtig, dass nicht einmal die oben angeführte Beschreibung, Eva sei eine junge Frau, korrekt ist. Biologisch gesehen ist sie es wohl, aber was hat das schon zu bedeuten? Evas Sexualität und Genderausdruck sind fließend und können maximal als queer im größtmöglichen Sinne des Wortes beschrieben werden. Kurzum, sie ist nicht greifbar und genau das ist es, was sie will.

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Diese Ambivalenz ist allerdings kein selbstzerstörerischer Akt. Auch keiner, der dem Schutz dient. Im Gegenteil, es geht ihr vor allem um größtmögliche Freiheit außerhalb von Ordnungssystemen. Seien es die patriarchalen, die gesellschaftlichen oder die sprachlichen. Deshalb hat Eva auch beschlossen, keinerlei Privatsphäre mehr zu haben. In ihrem tumblr-Blog zeigt sie sich nackt und schreibt über alles, was sie tut und ihr widerfährt ohne jegliche Filter. Dabei geht es um ihr Leben als queerer Mensch, als Gelegenheitsmodel und Sexworkerin. Sie schreibt in knallharten und gleichsam poetischen Worten übers Vögeln und Drogennehmen, aber auch über ihre dysfunktionale Familie, über gewalttätige Übergriffe und Versuche, ihre Autonomie einzuschränken, ja gar zu bestrafen. Sie schreibt vom Feiern und von Depressionen mit einer Klarheit, die ungemein irritiert.

Evas Grenzenlosigkeit fordert das eigene Denken, die internalisierten Moralvorstellungen, den inhärenten Frauen- und/oder Homohass und vieles andere in ihrem Gegenüber sofort zu Tage. Egal, ob man ihren Blog liest oder „Searching Eva“ sieht. Selbst die Filmemacherin konnte sich dem nicht entziehen. Kein Wunder also, dass die Online-Kommentare, die der Film immer wieder mitinszeniert, ebenfalls stark ambivalent und vor allem hochemotional sind. Die einen lieben ihre Offenheit und sehen das Potential zur Befreiung, die anderen hassen sie dafür und wünschen ihr die Pest. Wie sehr sie provoziert, zeigt sich auch beim Berlinale-Publikum bei der Weltpremiere. Für die einen war „Searching Eva“ eine Offenbarung und ein Werk, auf das sie lange gewartet haben, auch wenn sie das gar nicht wussten. So manch anderer empfand den Film als fürchterlichen Affront. Ein älterer, weißer Herr war so erbost, dass er lautstark seine Meinung kundtun musste. Am meisten störte ihn, dass so ein Film und so eine Person Fördergelder bekamen.

Foto: UCM.ONE

Und da trifft er es ungewollt auf den Punkt, denn letztendlich geht es Collé und dem Film, der sie porträtiert, um das radikale Unterwandern von Machtstrukturen, die eindeutig mit Gender und Sexualität, mit Kapitalismus und der Frage verbunden sind, wer sich eigentlich wie inszenieren darf. Hier geht der Film, wenn auch weitaus radikaler, den Weg, den schon mal ein Film in diesem Jahr eingeschlagen hat: Susanne Heinrichs „Das melancholische Mädchen“ ist weitaus verdaulicher in seiner Entrücktheit, die Strategie ist aber die gleiche. Es sind neue, ambivalente Erzählformen, die dem Film als Kunst, aber auch als Medium, die Kanonisierung, das Denken in Genres und das immer gleiche Erzählen entreißen und zerfetzen.




Searching Eva
von Pia Hellenthal
DE 2019, 85 Minuten, FSK 16,
deutsche OF,

UCM.ONE

Ab 14. November hier im Kino.

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