Booksmart

Trailer Kino

Molly und Amy sind beste Freundinnen und die Streberinnen ihrer Highschool. Am Tag vor der Vergabe der Abschlusszeugnisse stellt Molly mit Entsetzen fest, dass es auch ihre Mitschüler*innen an die besten Unis des Landes geschafft haben, obwohl die zuvor doch eigentlich nur Feiern im Kopf hatten. Die beiden beschließen, in den letzten verbleibenden Stunden ihrer Schülerinnen-Karriere alle verpassten Exzesse nachzuholen uns stürzen sich in eine epische Party-Nacht. Schauspielerin Olivia Wilde („Dr. House“) verpasst mit ihrem rasant inszenierten Regiedebüt der zuletzt etwas angestaubten Highschool-Komödie eine Frischzellenkur, bei der Queersein kein Problemthema mehr ist. Unsere Autorin Beatrice Behn findet das eigentlich ganz smart, hätte sich aber für die nicht-heterosexuellen Figuren etwas mehr Emanzipation gewünscht.

Foto: Weltkino

Theoretisch schlau

von Beatrice Behn

Molly und Amy sind eine geniale Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn. Sie sind Außenseiterinnen, Bücherwürmer und Klassenbeste – eigentlich eine Triple-Kombination des Todes für jeden High Schooler – und haben aus den Nachteil eine Tugend gemacht. Kurzum, sie sind unfassbar überzeugt, per Definition ihrer sozialen Klassenzugehörigkeit alsbald im College so richtig durchzustarten und abzugehen. Denn so ist das doch immer in Highschool-Komödien. Oder?

Genau deshalb heißt Olivia Wildes Regiedebüt auch „Booksmart“. Denn das sind Molly und Amy. Theoretisch schlau. Nur an der Praxis hapert es gewaltig, denn die beiden haben sich nie erlaubt, einfach mal loszulassen, die Kontrolle abzugeben. Ihr geheimes Freundinnen-Codewort ist „Malala“ (nach Malala Yousafzai), morgens meditieren sie zu einer Stimme, die ihnen per aggressivem Mantra Erfolg und Perfektion verspricht. Sie verstärken sich beide mit konstantem, positiven Zureden, das sämtliche Selfcare-Ideen schon wieder ad absurdum führt.

Heute ist ihr letzter Schultag und schon bald werden sie nach Yale und an die Columbia gehen. Doch vorher tun sie noch etwas Gutes für die Welt. Amy will nach Botswana, um dort Frauen zu helfen Tampons selbst zu bauen. Die Feminismus- und Selfcare-Routinen haben sie gefressen. Sie sind bereit für eine Welt, die sie als „starke Frauen“ akzeptieren muss. Doch dann fällt alles zusammen, denn sie sind nicht die einzigen Eliteschülerinnen.

Genauer gesagt, gehen alle irgendwie auf super Schulen, sogar die Klassenkameraden, die nur Party gemacht haben und ständig bekifft sind. Soll heißen: Molly und Amy haben es verkackt. Um doch noch etwas abzukriegen, beschließen sie, die letzte Highschool-Nacht zum Feiern zu nutzen und alles nachzuholen, was sie sich selbst in vier Jahren versagt haben.

Foto: Weltkino

Ein klassisches Highschool-Komödien-Setup also. Man möchte  meinen, dass man weiß, was als nächstes kommt. Aber dieser Film ist smarter und viel mehr daran interessiert, mit klugen Ideen und vielschichtigen Charakteren die Klischees solcher Filme und ihrer perpetuierten Genderstrukturen auszuhebeln. Und deswegen kommt es anders als man denkt. So ist Molly, die Kraft ihrer untersetzten Statur eigentlich verdammt dazu ist, den lustigen Sidekick der schönen Amy zu spielen, die treibende und auch sexuelle Kraft des Filmes, der sich vielmehr um das eigene authentische Finden dreht als um Liebe, Knutschen, Drogen und Sex. Was nicht heißen soll, dass es das nicht gäbe. Aber immer anders als geplant. So stellt sich alsbald und angenehm nonchalant heraus, dass Amy lesbisch ist. Und nein, nicht heimlich, sondern schon seit drei Jahren ganz offiziell. Kein Drama, keine Integrationsprobleme. Außer dem, dass sie trotz allem noch keine Partnerin gefunden hat. Das soll sich jedoch ändern in dieser Nacht.

Foto: Weltkino

„Booksmart“ kennt sein Genre gut und setzt da wieder an, wo die Animal Comedies der 1980er Jahre sich im Gross-Out verloren hat und John Hughes seine Figuren im binären Elend der Geschlechterrollen verrecken ließ. Der Film spielt mit und zersetzt die Bösartigkeit der neueren Filme, angefangen bei „American Pie“ (1999) bis hin zu Seth Rogens Werken wie „Superbad“ (2007) oder „Bad Neighbors“ (2014). Olivia Wilde wählt hier einen anderen Weg, der sich emphatisch und warm mit allen Charakteren auseinandersetzt und versucht, ihnen allen eine Dreidimensionalität zu geben. Es gelingt ihr im Sinne neuer Frauenfiguren und deren Emanzipation.

Foto: Edition Salzgeber

Doch mit den queeren Figuren ist es eher eine bittersüße Sache. Was wirklich auffällt und gut tut, ist der Fakt, dass Homosexualität in diesem Film nicht im typischen Modus des Coming-outs verhandelt wird. Im Gegenteil, es ist und bleibt für alle Figuren ein „non-issue“, eine natürliche Nebensächlichkeit. Wo beispielsweise „Love, Simon“ (2018) sich noch massiv und liebevoll genau an diesem Thema abarbeitet, da geht „Booksmart“ einfach weiter und schlägt das nächste Kapitel auf. Natürlich ist es wunderbar, eine homosexuelle Hauptfigur zu sehen, die im High-School-Umfeld ihren Weg findet, doch leider verhakt sich der Film dann doch in einigen Klischees, die er an vielen anderen Stellen zu umschiffen oder dekonstruieren weiß.

Da ist einerseits Amy, die noch nie ihre lesbische Seite ausprobieren konnte und dann in der letzten Nacht eine Möglichkeit findet. Doch dann, und es ist zwar einerseits lustig, andererseits aber bedauerlich, wird daraus ein komödiantischer Akt, in dem doch wieder die lesbische Lust untergraben wird. Wenigstens die Kameraarbeit an dieser Stelle ist nicht so voyeuristisch wie erwartet. Trotzdem, es dämpft die große Freude ungemein.

Foto: Weltkino

Schlimmer jedoch ergeht es den zwei schwulen Nebenfiguren. Auch sie sind out and about, jedoch in solch absurder Form, dass man mit dem Augen verdrehen kaum hinterherkommt. George ist Präsident des Theaterclubs und natürlich eine dramatisch übertriebene Diva, die alles und jeden kritisiert. Seine co-abhängig toxische Beziehung zu seinem Freund, der ebenfalls Theater macht, ist und bleibt einer der running gags des Films. Immerhin blieb den beiden das Klischee des schwulen besten Freundes erspart. Trotzdem, so recht viel weiter sind sie in ihrer Emanzipation nicht gekommen.

Diese scheint eben letztendlich nicht für jeden in diesem Film da zu sein. Es sind vor allem die heterosexuellen Charaktere, die von ihr nutznießen dürfen. Queer sein ist also nicht mehr „das Problem“. Zu einem ganzen Menschen, der sich sowohl mit als auch trotz seiner sexuellen Ausrichtung zu einer multidimensionalen Figur ausformt, dafür reicht es aber trotzdem noch nicht. Und so ist der Titel des Filmes auch ein bisschen Programm. Theoretisch schlau, in der Ausführung so lala.




Booksmart
von Olivia Wilde
US 2019, 102 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,

Weltkino

Ab 14. November hier im Kino.

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