Cats

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Nächste Woche startet endlich „Cats“, Tom Hoopers heiß ersehnte Verfilmung von Andrew Lloyd Webbers Erfolgsmusical – und die internationale Filmkritik zerreißt sie bereits seit Tagen in der Luft. Insbesondere die tricktechnisch gestützten, den Menschen allzu ähnlich wirkenden Katzenfiguren irritieren. Eine beispiellose „Monstrosität“ sei der Film, ja „das Schlimmste, das Katzen seit Hunden passiert ist“. Aus queerer Perspektive kann man das aber auch alles ganz anders sehen. Beatrice Behn hat sich in Hoopers pelziges und bemerkenswert sexualiertes Gruselkabinett gewagt und einen Film entdeckt, der größtes Unbehagen verursacht und zugleich queere Schaulust befriedigt wie kaum ein zweiter der letzten Jahre. „Cats“ ist der jüngste Beweis dafür, dass Camp immer seinen Weg findet, vor allem in den Händen von nichts ahnenden Heteros.

Foto: Universal Pictures

Divine und horny im Tal des Unbehagens

von Beatrice Behn

Jetzt, einen Tag nachdem meine Augen den Wahnsinn von Tom Hoopers „Cats“ erblicken durften, sehe ich seine Karriere in einem ganz neuen Licht. Seit zehn Jahren hat dieser Regisseur nichts anderes getan, als auf dieses grandiose Meisterwerk hinzuarbeiten. Er gab uns einen putzig stotternden König in „The King’s Speech“ (2010), eine Kaskade von Nahaufnahmen auf zahnfäulige und stets singende Münder in „Les Misérables“ (2012) und übte sich in Verwandlungskünsten und Ignoranz von Tatsachen in „The Danish Girl“ (2015), nur um final im Jahr 2019 all dies in der Verfilmung eines Stoffes zusammenzufassen, der schon auf den Theaterbühnen dieser Welt seit mehreren Jahrzehnten wohliges Unwohlsein auslöst. Ein Hoch auf Tom Hooper, denn seine humanoiden Ballett-Katzen haben etwas geschafft, dass in Zeiten, in denen der amerikanische Präsident völlig ernst gemeint das eigene Antlitz auf den Körper von Rocky montiert und verbreitet, keiner mehr vermochte: Er hat hundertprozentig puren Camp produziert, der selbst von der Absurdität der Realität nicht zersetzt werden kann.

Camp, so mahnt uns Susan Sonntag, ist nur dann gut, wenn man ihn nicht absichtlich produzieren wollte. Er geschieht aus einer ehrlichen Haltung heraus, ist theatralisch, naiv, verspielt und leidenschaftlich in seiner Ernsthaftigkeit. Einen Stoff wie „Cats“ kann man nur auf zwei Arten verfilmen: Man nimmt ihn ernst und gibt sich die größte Mühe, der Andrew-Lloyd-Webber-Idee Geltung zu verschaffen, oder man macht daraus gleich etwas albern-trashiges. Während letzteres einfacher, aber langweilig ist, vermag nur der ernsthafte Glaube an die Magie dieses Stoff demselbigen zu einer wahren Größe zu verhelfen, die Voraussetzung ist für den wohl lupenreinsten Camp seit Tommy Wiseaus „The Room“ (2003). Und das ist hier der Fall.

Foto: Universal Pictures

Nicht ganz wie im Original, aber nah genug dran, beginnt „Cats“ mit Victoria (Francesca Haywayrd), einer weißen, jungen Katze, die auf einer Müllhalde ausgesetzt wird. Dort trifft sie auf einen Haufen anderer Katzen, angeführt von Munkustrap (Robbie Fairchild), einem koketten, grauen Kater mit viel zu viel Power-Bottom-Energie für einen Katzenfilm mit Altersfreigabe ab 0 Jahren. Die Katzenbande heißt „The Jellicles“ und sie sind gerade auf dem Weg zu ihrem eigenen Ball, bei dem eine/r von ihnen durch die Katzenälteste Alt-Deuteronimus (Judy Dench) auserwählt wird, um in einer Art christlichen Erlösungsfantasie in den Katzenhimmel aufzusteigen. Victoria ist jung, leicht beeinflussbar und einsam und damit perfekte Kandidatin für diese Katzensekte. Sie folgt den Mitgliedern, die sich nach und nach vorstellen: Mr. Mistoffelees (Laurie Davidson), der Zauberkater, ist der schüchterne Nerd, der, wenn er nicht bald auch mal zum Zug kommt, anfängt in Reddit-Männerkatzengruppen nach Antworten zu suchen. Rum Tum Tugger (Jason Derulo) ist ein aufgemotzter Weiberheld, der bei näherer Betrachtung aber eher einer queeren Glamourqueen ähnelt, Macavity (Idris Elba), der luschigste Antagonist aller Zeiten, dient einfach nur dafür, Idris Elba in Fell anzugucken.

Foto: Universal Pictures

Rebel Wilson darf als Jenny Fleckenfell die lustige Dicke mimen, die in ihrer Freizeit Mäuse und Kakerlaken trainiert. Ihr übergewichtiges Pendant ist James Corden als Bustopher Jones, der einfach nur isst und rülpst und kotzt und wie Jenny für Slapstick sorgt, indem er stolpert und fällt (sind sie nicht putzig-lustig, diese Fetten?). Ah, ist es nicht schön, dass alle dämlichen Kategorien der Menschenwelt bei den Katzen auch vorhanden sind? Wir sind uns so ähnlich! Eine ganze B-Riege anderer Katzen gesellt sich hinzu, unmöglich sich die alle zu merken. Außer vielleicht Grizabella (Jennifer Hudson), die eine ausgestoßene Schwulen-Ikone mimt, oder Gus, der Theater-Kater, gespielt von Ian McKellen, der während seiner Revuenummer Judy Dench einen Blick zuwirft, den man nur als Hilferuf interpretieren kann. Der Rest des Ensembles fungiert eher als ein Haufen miauend-tanzender Katzenmenschen, die von Nummer zu Nummer hüpfen und ansonsten vor allem eins sind: genial verstörend.

Foto: Universal Pictures

Dank Hoopers Wunsch nach Ernsthaftigkeit und der Magie der CGI-Effekte ist „Cats“ so irritierend in seiner Katzen-Mensch-Hybrid-Ästhetik, dass der Film ein perfektes Beispiel für den „Uncanny-Valley-Effekt“ zeigt. Der Anthropomorphismus der Katzen ist genau in jenem Tal des Unbehagens zu verorten, in denen zu viel Menschenähnliches in diesen Katzen dafür sorgt, dass einem ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Vor allem die Hände, Füße und Gesichter, die menschlich bleiben, gepaart mit dem perfekt computergenerierten Fell, den sich stets bewegenden Ohren und dem zuckenden Schwanz machen „Cats“ zu einem absurd befriedigenden Gruselkabinett.

Foto: Universal Pictures

Noch irritierender ist allerdings, wie sehr die menschlichen Körper der SchauspielerInnen in ihrem Katzensein zur Geltung kommen. Das Fell ist direkt auf ihre Silhouetten aufgetragen, was die Figuren ungewollt sexuell daherkommen lässt. Die „Weibchen“ haben alle Brüste, bei den „Männchen“ wurde im Genitalbereich hier und da retuschiert, aber auch nur so ein bisschen. Man weiß gar nicht, wo man hingucken soll, in diesem Film, in den ab Weihnachten ganze Familien gehen werden, um die lustig-tanzenden Miezekatzen anzugucken, nur um sich dann mit diesen anzüglichen Katzenmenschen auseinandersetzen zu müssen. Das wird ein Fest.

Foto: Universal Pictures

Gepaart mit den stets sinnlichen, streunenden Bewegungen, dem Sich-Aneinander-Reiben und miauen und schnurren, ist „Cats“ als Gesamtwerk nämlich erstaunlich horny und dabei ganz versehentlich außerordentlich queer. Man wünschte sich einen John Waters an dieser Stelle, der diese versehentliche Sexualisierung nimmt und bis ans Ende treibt. Doch wir sind hier nicht bei „Cats – Das Pornical“, sondern immer noch bei Hooper, der den queeren Sex Appeal gar nicht bemerkt, so proper englisch ist der Mann. Sogar die Arschlöcher, die nun einmal jedes Tier hat und die bei Katzen durchaus prominent zur Geltung kommen, wurden weggelassen, so sehr wurde initial darauf geachtet, dass der Film sauber und ordentlich daher kommt.

Foto: Universal Pictures

Doch queerer Camp findet immer seinen Weg, vor allem in den Händen von nichts ahnenden Heteros. Was von Hooper naiv als katzenähnlich gedacht war, untergräbt mit jedem Miau, mit jedem Schritt und jedem Fauchen mühelos Genderbinaritäten und heterosexuelle Ideen und setzt an ihre Stelle ordnungszersetzende Irritationen, glitzernde Queerness und anthropomorphische Ambivalenzen. Und spätestens, wenn Judy Dench in Katzenfell mit einem weiteren Fell bedeckt in einem Katzenkörbchen liegt und sich die Pfote leckt, dann weiß man, dass dieser Film genau das ist, was man gebraucht hat und dass wir ihn wahrscheinlich ab 2020 jährlich mit ein paar FreundInnen bekifft, queer und glücklich mitsingen werden.




Cats
von Tom Hooper
US 2019, 111 Minuten, FSK 0,
deutsche SF & englische OF mit deutsche UT

Universal Pictures

Ab 25. Dezember hier im Kino.

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