David M. Halperin: Was ist schwule Kultur?

David M. Halperin: Was ist schwule Kultur?

Für Susan Sontag entsteht Kultur, „sooft Sprache, Bewegung, Verhalten oder Gegenstände eine gewisse Abweichung von der direktesten, nützlichsten, unengagiertesten Weise des Ausdrucks und des In-der-Welt-Seins zeigen“. Homosexuelle, denen in einer heterosexuellen Umwelt ein solcher „direkter“ Ausdruck verwehrt bleibt, sind deshalb darauf angewiesen, Kultur zu erschaffen, und sei es in Form der subkulturellen Umdeutung der heterosexuellen Mehrheitskultur. Ob Trash, Divenkult oder ernsthafte Identitätskunst: Schwule sind die Kulturschaffenden schlechthin. Doch der Sexualwissenschaftler David M. Halperin schreibt, Homosexualität ist an die Schwulen verschwendet, weil die ihr Heil vielmehr in einer farblosen Homonormativität suchen. In seinem Essay „Was ist schwule Kultur?“, der jetzt in deutscher Übersetzung bei Männerschwarm erschienen ist, analysiert er Entwicklungslinien und hält ein Plädoyer für offen gelebte Diversität. Egbert Hörmann hat sich mit den Zündstoffen in Halperins Gepäck befasst.
Paragraph 175

Paragraph 175

Zwei Filme, ein Thema: Anlässlich des Kinostarts von „Große Freiheit“ kommt im Salzgeber Club der preisgekrönte Dokumentarfilm „Paragraph 175“ von Rob Epstein und Jeffrey Friedman („The Celluloid Closet“) neu als VoD heraus. Das Regie-Duo zeichnet darin das Schicksal der Homosexuellen im Dritten Reich nach – einer lange Zeit vergessenen Opfergruppe. Für Christian Lütjens funktioniert der Film sowohl als Ergänzungs- wie als Gegenprogramm zum Kinobesuch.
Große Freiheit

Große Freiheit

Hans Hoffmann liebt Männer, doch das ist im Deutschland der Nachkriegszeit, in dem noch immer der Paragraph 175 in Kraft ist, verboten. Immer wieder landet Hans im Gefängnis – und trifft dort regelmäßig auf Viktor, einen verurteilten Mörder. Aus der anfänglichen Abneigung wird über die Jahre gegenseitiger Respekt. Oder ist es sogar mehr? „Große Freiheit“ des österreichischen Regisseurs Sebastian Meise wurde in Cannes mit dem Jurypreis der Sektion Un Certain Regard ausgezeichnet, zahlreiche weitere Preise und Nominierungen (unter anderem für vier Europäische Filmpreise) folgten. Für Matthias Frings ist das historische Gefängnisdrama großes Kino, insbesondere dank seiner beiden famosen Hauptdarsteller Franz Rogowski und Georg Friedrich.
Wolfram Setz (Hg.): Edel-Uranier erzählen

Wolfram Setz (Hg.): Edel-Uranier erzählen

Der Band „Edel-Uranier erzählen“ aus der Bibliothek rosa Winkel versammelt drei Texte aus der Frühzeit der Homosexuellen-Emanzipationsbewegung. Hans Waldau schildert die Geschichte der gemeinsamen Reise zweier junger Männer, die dann aus der Ferne Freunde bleiben, Konradin die eines Studenten, der im jungen Grafensohn Lorenzo „glühende Liebe“ weckt, mit der er nicht umzugehen weiß, und Tempesta erzählt vom Seelenkampf eines „edelgearteten Uraniers, der seiner Neigung nicht nachgeben will“ und aufs Land flieht, um vor jeder Versuchung sicher zu sein. Die wahre Identität der Autoren ist nicht bekannt. Tilman Krause über eine „sehr deutsche Weise“, schwul zu sein.
Bare

Bare

Für sein neues Stück sucht der belgische Star-Choreograf Thierry Smits elf nackte Tänzer. Nach einem intensiven Casting ist die Besetzung gefunden. Mit präzisem, aber nie voyeuristischem Blick beobachtet Regisseur Aleksandr M. Vinogradov den leidenschaftlichen Probenprozess. Atemberaubende Tanzsequenzen wechseln sich mit persönlichen Momenten jenseits der Bühne ab, in denen die Tänzer offen über sich erzählen. Axel Schock über einen intimen Film, der den nackten Körper als letzte Bastion der Freiheit bloßlegt – und den es jetzt im Salzgeber Club zu sehen gibt.
Ammonite

Ammonite

Nachdem der Kinostart mehrfach verschoben werden musste, hat das Warten nun ein Ende: Ab 4. November ist das historische Liebesdrama „Ammonite“ mit Kate Winslet und Saoirse Ronan regulär auf der großen Leinwand zu sehen. Im Nachfolger seines rauen schwulen Liebesfilms „God’s Own Country“ erzählt Francis Lee von einer leidenschaftlichen lesbischen Beziehung im England Mitte des 19. Jahrhunderts: zwischen der Fossiliensammlerin Mary (Winslet) und der jungen Ehefrau Charlotte (Ronan). Der Film wirft damit ein neues Licht auf die bekannte britische Paläontologin Mary Anning und lässt sie ein Begehren ausleben, das ihr die offizielle Geschichtsschreibung nie zugestand. Beatrice Behn über das spannende Unterfangen, sich aus einer historischen Versteinerung zu lösen.
Svealena Kutschke: Gewittertiere

Svealena Kutschke: Gewittertiere

Als nach dem Mauerfall die Angst vor Zuwanderung aus dem Osten geschürt wird, beginnt der Vater von Colin und Hannes damit, einen Bunker im Garten zu graben. Fortan suchen die Geschwister in einem Land, in dem rechte Gewalt zum Alltag gehört, ihren Platz jenseits privater und gesellschaftlicher Machgefüge. Colin geht es in ihrer Liebe zu Eda auch um eine Art Erlösung und Hannes erhält in seinem Beruf als Gerichtsvollzieher eine Macht, der er sich kaum entziehen kann. In ihrem neuen Roman „Gewittertiere“ erzählt Svealena Kutschke vom Aufwachsen in einer norddeutschen Reihenhaussiedlung und dessen Folgen. Anja Kümmel über eine komplexe Geschichte voller guter Unebenheiten.
Tiny Tim

Tiny Tim

Genie, Freak, Superstar. Tiny Tim (1932–1996) ist eine der skurrilsten Figuren der Musikgeschichte. Mit Ukulele und Falsetto-Gesang erobert er die Konzertbühnen der USA. Seine schräge Cover-Version von „Tip Toe Through the Tulips“ wird ein Megahit – und doch von vielen nur verlacht. Er spielt in der Royal Albert Hall, seine Hochzeit sehen über 45 Millionen Zuschauer:innen im Fernsehen, unter Musikern wird Tiny Tim verehrt, er arbeitet mit Jimi Hendrix und den Beatles – und Bob Dylan ist bis heute Fan. Liebevoll zeichnet Regisseur Johan von Sydow in „Tiny Tim“ das Leben eines wunderbar-campen Künstlers nach, der Frauen und Männer liebte und mit seiner queeren Persona zwischen allen Polen changierte. Christian Horn über ein faszinierendes Porträt voller Melancholie, das es jetzt im Salzgeber Club und auf DVD zu sehen gibt.
John Boyne: Die Geschichte eines Lügners

John Boyne: Die Geschichte eines Lügners

Der Schriftsteller Maurice Swift ist ein brillanter Erzähler, aber ihm fehlen die Geschichten. In Westberlin trifft er sein großes Idol Erich Ackermann, und der preisgekrönte Autor verfällt tatsächlich seinem Charme. Als Swift ihm auf Lesereise durch Europa begleitet, weiht ihn Ackermann sogar in sein Geheimnis ein. Die Geschichte, die Maurice daraus entwickelt, lässt ihn zum Star der Literaturszene werden – und führt zu Ackermanns Karriereende. „Die Geschichte eines Lügners“ von John Boyne ist erst Komödie, dann Drama und schließlich komödiantischer Krimi. Matthias Frings hat sich von der Verve des Schelmenromans mitreißen lassen.
Young Hunter

Young Hunter

Ezequiel ist 15 und hat einen Monat lang sturmfrei. Die perfekte Gelegenheit, um den etwa älteren Mono vom Skatepark zum „Chillen“ an den elterlichen Swimming-Pool einzuladen. Aber Mono spielt ein doppeltes Spiel – und droht Ezequiel in eine gefährliche Welt hineinzuziehen. Der argentinische Regisseur Marco Berger („Taekwondo“, „Der Blonde“) ist eigentlich spezialisiert auf voyeuristisch anmutende Studien südamerikanischer Männlichkeit. In „Young Hunter“, den es jetzt im Salzgeber Club und auf DVD gibt, bettet er seine Erzählung vom sexuellen Erwachen eines Teenagers nun in eine Thriller-Handlung ein. Stefan Hochgesand über Dates am Pool, werwölfische Begegnungen und einen wendungsreichen Film.