Große Freiheit

Trailer Kino

Hans Hoffmann liebt Männer, doch das ist im Deutschland der Nachkriegszeit, in dem noch immer der Paragraph 175 in Kraft ist, verboten. Immer wieder landet Hans im Gefängnis – und trifft dort regelmäßig auf Viktor, einen verurteilten Mörder. Aus der anfänglichen Abneigung wird über die Jahre gegenseitiger Respekt. Oder ist es sogar mehr? „Große Freiheit“ des österreichischen Regisseurs Sebastian Meise wurde in Cannes mit dem Jurypreis der Sektion Un Certain Regard ausgezeichnet, zahlreiche weitere Preise und Nominierungen (unter anderem für vier Europäische Filmpreise) folgten. Für Matthias Frings ist das historische Gefängnisdrama großes Kino, insbesondere dank seiner beiden famosen Hauptdarsteller Franz Rogowski und Georg Friedrich.

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Sieger und Besiegte

von Matthias Frings

Wirklich? Noch ein Film, in dem schwule Männer ins Gefängnis gesteckt werden? Noch einmal die sattsam bekannte Abfolge von Aburteilung, Demütigungen, Übergriffen, Gewalt, Angst und Drangsal, schlimmstenfalls mit schwiemeliger Erotik aufgepimpt? Der österreichische Regisseur und Autor Sebastian Meise hat in der Tat einen Film (mit)geschrieben und inszeniert, der fast ausschließlich im Gefängnis spielt, sämtliche Klischees und Fallen des Genres aber souverän umgeht. So klug gedacht und gebaut hat man lange keinen schwulen Film mehr gesehen, so atemberaubend gut gespielt erst recht nicht.

Zwei Grundsatzentscheidungen geben dieser filmischen Erzählung Halt: Der konsequente Bezug auf den westdeutschen Schwulenparagraphen 175 und der hartnäckige Blick auf eine Hauptfigur, die sowohl unter den Nazis als auch von Seiten der amerikanischen Besatzungsmacht wie der BRD stets nur eines erfährt: Verfolgung, Bestrafung, Knast. 

Im Jahr 1957 tritt ein noch junger Mann namens Hans Hoffmann seine Haftstrafe an. 28 Monate hat er bekommen wegen der „Schwere der Tat“, die darin bestand, dass er nicht nur einen Freund hatte, sondern sich mit diesem auch noch eine Wohnung teilte, also „Unzucht“ trieb. Das übliche entwürdigende Prozedere: nackt ausziehen, Pobacken spreizen, Gefängniskleidung in Empfang nehmen. Dann ein Gang durch einen Irrgarten von Fluren, Treppen, Gittertüren.

Kein Mucks zu alldem von Hans. Ernst und mit aufgerissenen Augen mustert er die Vollzugsbeamten, folgt stoisch ihren Befehlen. Aber von Unterwürfigkeit keine Spur. Im Gegenteil spricht seine gesetzte Körpersprache von großer Selbstsicherheit. Da ist eine Widerständigkeit, die sich als Gehorsam tarnt. Der Mann ist nicht zum ersten Mal hier, folgert man und liegt damit richtig. Nachdem er im Hof einen alten Bekannten, den zu Lebenslang verurteilten Mörder Viktor, entdeckt hat, springt Hans’ Biographie zurück ins Jahr 1946. Damals wurde er schon einmal eingeliefert, abgemagert bis auf die Knochen zwar und mit denselben ernsten Augen. Es ist der Blick eines Mannes, der keine Angst mehr hat, weil er das Schlimmste schon gesehen hat.

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„Die stecken dich direkt vom KZ in den Bau, echt?“, fragt verwundert sein Zellennachbar, besagter Viktor, als er die eintätowierte Nummer auf Hans’ Arm entdeckt. Als Hans schon glaubte, dem Grauen entronnen zu sein, überstellt man ihn mit entsetzlicher Konsequenz in den Regelvollzug, um seine Reststrafe abzusitzen. Dieses Paradebeispiel deutscher Gründlichkeit wird so herz- und nahtlos umgesetzt, dass noch amerikanische Besatzungssoldaten als Gefängniswärter aushelfen müssen.

Es ist einer der großen Schandflecke in der Geschichte der jungen BRD: Nicht nur besteht der §175 unverändert weiter, der Bundesgerichtshof befindet sogar, dass die von den Nazis verschärfte Fassung rechtmäßig zustande kam und somit gültig ist. So kam es zwischen 1950 und 1969 zu etwa 100 000 Verfahren mit 50 000 Verurteilungen. Erst im Jahr 1969 wurde der Paragraph entschärft. Bis 1994 und konnte man sich nicht entschließen ihn vollends zu streichen. Erst die Wiedervereinigung erzwang dieses kleine Wunder. (In der DDR wurde der § 175 schon 1968 außer Kraft gesetzt.)

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In der dritten der dramaturgisch klug verschachtelten Zeitebenen sitzt Hans erneut ein, weil er auf einer öffentlichen Toilette Sex gesucht hatte. Bei der Arbeit in der Näherei des Gefängnisses fällt ihm zufällig ein Cover des SPIEGEL ins Auge: Der §175 wird entschärft, Homosexualität unter erwachsenen Männern ist nicht mehr strafbar. Hans wird freikommen.

Der Schandparagraph verschafft dem Film sein dramaturgisches Rückgrat. Das könnte verdammt dröge werden, aber das Gegenteil ist der Fall. Die klare Struktur schafft viel Raum, den Geschichten und Erlebnissen von Hans nachzugehen. So erfahren wir in Super-8-Filmaufnahmen von der Welt draußen, sehen seinen Freund, erhaschen kurze Momente des Glücks, die jäh enden, als die Beiden sich im Gefängnis wieder begegnen. Hans findet Mittel und Wege, sich auch hier mit ihm zu treffen, aber sein jüngerer Freund zerbricht an der Situation.

Zehn Jahre später dann noch einmal das Aufflackern einer Verliebtheit. Leo, ein junger Musiklehrer mit dem Hans es auf der Klappe getrieben hatte, ist eingeliefert worden. Und wieder zeigt uns ein Filmschnipsel die Außenwelt: Die lüsternen Bilder der Sittenpolizei, gefilmt durch einen blinden Spiegel in der Toilette, was zur Verhaftung der beiden geführt hatte. Der Staat als Spanner, eine Observation, die es so in mehreren Städten tatsächlich gegeben hat.

Unerschrocken gelingt es Hans sogar in dieser Lage, so etwas wie Normalität herzustellen, gestohlene Momente für etwas Nähe, ein wenig Sex. Aber Liebe braucht Freiheit, und so sorgt er in einem selbstlosen Coup dafür, dass der Junge das Gefängnis verlassen kann.

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Die wahre Beziehung von Hans aber, falls man es so nennen will, ist sein Mithäftling, der Mörder Viktor, ein Homohasser anfangs, harte Schale, harter Kern, ein desillusionierter Junkie und die Konstante in Hans’ Knastbiografie. Doch ganz allmählich fordert dieser ungebrochene Homo ihm Respekt ab. Eine hochfragile Zuneigung entsteht, die keine Sprache verträgt und nur äußerst sparsame Gesten.

Um eine solche Annäherung vor Kitsch zu bewahren, braucht es zwei sehr gute Schauspieler, und es ist das Glück dieses Films, dass er Franz Rogowski und Georg Friedrich hat. Friedrich gibt den gewohnt schrägen Typ, dessen brüske Verschlagenheit dennoch immer wieder durchscheinen lässt, dass er notfalls zu großer Empfindsamkeit fähig ist. Ganz fein nuanciert ist das gespielt und intelligent dosiert.

„Große Freiheit“ aber gehört Franz Rogowski, von dem man Brillanz fast schon erwartet, der sich hier aber noch steigern kann. Mit wenig Text ausgestattet, kann man einen Schauspieler beobachten, der mit Augen und Körper, mit jedem Zögern und Schweigen, so beredt erzählt, dass nicht nur eine Filmfigur entsteht, sondern ein Mensch.

Unübersehbar, dass Rogowski sich mit Haut und Haar in diese Rolle geworfen hat. Das ist wörtlich zu nehmen. Mächtig hungern musste er wohl, um der Hauptfigur kurz nach ihrem KZ-Aufenthalt gerecht zu werden, der stramme Hans von zehn Jahren später wäre nicht glaubwürdig gewesen. Doch auch hier keine Effekthascherei. Er spielt das nicht mit großem Ausrufezeichen, sondern lässt ganz uneitel die Körperlichkeit wirken.

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Die Bildgestaltung von Crystel Fournier (u.a. „Tomboy“) wartet ebenfalls mit einem Kunststück auf: An Originalschauplätzen gedreht, vermitteln die Bilder einerseits die Enge und erzwungene Intimität eines Gefängnisaufenthalts, verblüffen andererseits mit subtil abwechslungsreichen Lichtstimmungen, die Eintönigkeit erst gar nicht aufkommen lassen.

Heikel wird es nur in den wenigen Sequenzen, die außerhalb der Gefängnismauern spielen. In den Sechzigern in Westdeutschland hat gewiss niemand davon gesprochen, ein „Date“ zu haben, und Schwulenbars mit elaborierten Darkrooms, wie hier zu sehen, waren zu dieser Zeit unbekannt. Auch das Filmende, das hier nicht erzählt werden soll, wirkt eher wie ein effekthascherischer Schnörkel, der sich als Pointe einer Kurzgeschichte gut machen würde, mehr nicht. Ein merkwürdig feuilletonistischer Dreher in einem Film, der ansonsten so realistisch daherkommt. Davon abgesehen lässt sich „Große Freiheit“ problemlos auf zwei Wörter bringen: Großes Kino.

 



Große Freiheit
von Sebastian Meise
DE/AT 2021, 116 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,
Piffl Medien

Ab 18. November im Kino.

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