Young Hunter

TrailerDVD / VoD

Ezequiel ist 15 und hat einen Monat lang sturmfrei. Die perfekte Gelegenheit, um den etwa älteren Mono vom Skatepark zum „Chillen“ an den elterlichen Swimming-Pool einzuladen. Aber Mono spielt ein doppeltes Spiel – und droht Ezequiel in eine gefährliche Welt hineinzuziehen. Der argentinische Regisseur Marco Berger („Taekwondo“, „Der Blonde“) ist eigentlich spezialisiert auf voyeuristisch anmutende Studien südamerikanischer Männlichkeit. In „Young Hunter“, den es jetzt im Salzgeber Club und auf DVD gibt, bettet er seine Erzählung vom sexuellen Erwachen eines Teenagers nun in eine Thriller-Handlung ein. Stefan Hochgesand über Dates am Pool, werwölfische Begegnungen und einen wendungsreichen Film.

Foto: Salzgeber

Fänger ohne Roggen

von Stefan Hochgesand

Dunkelgrünschwarz ist der Farbton der Eröffnungsszene. Unser Blick: am Erdboden, im Unterholz, an einer Lichtung. Die dissonanten Synthesizer-Sounds kreisen wie heimsuchende Geister. Ein Spinnennetz, es glänzt im Gegenlicht des Mondes. Es ist der Ort, an dem im wahren Wortsinn „jemand ins Netz gehen“ wird. Das Spinnennetz: eine spezielle, weil taktisch und technisch so perfide vorauskalkulierende Form der Jagd. Im besten (oder je nach Perspektive: schlechtesten) Fall sieht die Beute das schier transparente Netz erst, wenn es schon längst zu spät ist. Und mit diesem, der Natur entlehnten foreshadowing sind wir bereits ganz dicht an der titelbildenden Jagd, der hunt, dieses siebten abendfüllenden Spielfilms von Marco Berger. Es soll ein Abend voller ungeahnter, unerhörter Wendungen werden.

Auch der 15-jährige Ezequiel ist in gewisser Weise ein Jäger, wenn auch keiner in Tarnfarben-Waidmannskluft. Das Outfit seiner Wahl scheint eher die nasstriefende Badehose zu sein. Beim Videogames-Zocken legt er die Hand verdächtig nah an die Schulter seines Buddys, als wären die beiden gerade beim Romantik-Date im Kino und nicht bloß an der Spielkonsole zugange. Ezequiel will Nähe – und auch Sex. Wer kann es ihm verdenken? Zumal die Rahmenbedingungen ideal erscheinen: Ezequiel ist allein zu Haus. Die Familie weilt im Urlaub. Also guckt er mit seinem Kumpel (hetero) Pornohefte, um ihn zu verführen. „Mann, ich hab einen Ständer“, strahlt Ezequiel und bewahrt dabei das Antlitz eines Engels. „Holen wir uns einen runter?“ – Doch auf die Erregung hin folgt allzu schnell Ernüchterung: Der andere steht nicht auf Jungs, sagt er. Shit happens. Ezequiel blickt enttäuscht drein, doch lässt sich nicht entmutigen. Auf dem nächstbesten Klo glotzt er einem Typen auf den Schwanz. „Gefällt er dir?“, fragt der. „Nur für Mädchen!“

Foto: Salzgeber

Aus diesem permanenten, vielen Queers wohlbekannten Zurückgewiesensein erklärt sich wohl noch besser, warum Ezequiel bei Mono so rasch anbeißt. Mono ist ein großzügig tätowierter Typ, der gerne mit den Skatern abhängt, ein paar Jahre älter als Ezequiel. Die beiden tauschen neugierige Blicke über die Halfpipe hinweg aus und kommen ins Gespräch. Der erste angedeutete Abschied gerät schon sehr zärtlich, als sie sich umarmen und auch leicht den Nacken des jeweils anderen kraulen. „Hast du nen Ständer, Alter?“, fragt Mono, und es ist keine Frage. Die beiden ziehen gemeinsam weiter zu Ezequiel nach Hause. Unglaublich, wie romantisch Pizza, Bier und Chips sein können! Liebe machen sie auch, tauschen sich aus über Erfahrungen mit Jungs. Und wenn Mono kopfüber ins nasse kalte Blau des Pools im Garten springt, scheinen die beiden vollends beieinander angekommen. Es könnte so schön sein.

Doch dann kommt Ezequiels Familie aus dem Urlaub zurück. Die Jungs brauchen einen Ausweichort. Und Mono weiß auch wo: Sein „Cousin“ (von dem sich rasch herausstellt, dass er mitnichten sein Cousin ist) hat da eine Bude auf dem Land, mit immer genug Bier im Kühlschrank. Schon als dieser „Cousin“, Chino, ankurvt, lässt sich Böses ahnen: Wie ungelenk, ruckartig er den kleinen Fiat lenkt, wirkt ziemlich strange. Bei der Toilettenpause auf der Fahrt starrt Chino, der so um die 40 Jahre alt sein muss und einen 14-Tage-Bart trägt, dem pubertären Ezequiel auf dessen Schwanz.

Foto: Salzgeber

Irgendwann nach der Ankunft der drei hat Ezequiel einen Filmriss, geistert durchs Steinhaus und ist irritiert ob der verschlossenen Türen. Was anfangs wie ein charmanter Coming-of-Age-Film aussah, scheint nun zum Psychothriller zu mutieren. Wer etwa Bergers „Ausente“ gesehen hat, weiß schon, wie verdammt gut es der Regisseur beherrscht, Stimmungen knallhart kippen zu lassen. Die Zeichnung von Ezequiel lädt sogar noch stärker zum Mitfühlen und Mitleiden ein als beim Protagonisten Martín in „Ausente“.

Chino, der „Cousin“, streunt durch sein Haus als wäre er ein Wolf, ein Werwolf. Meist sieht man seine Augen im Film nicht – weil er Sonnenbrillen trägt oder seine Augenhöhlen von sich aus Schatten fallen lassen. Diffus lauert Gefahr. Doch erst mal passiert nichts. Auch damit zu spielen, versteht Marco Berger ausgesprochen gut. Wenn die drei im Sommergarten speisen, wirkt das fast wie ein filmisches Zitat von „Call Me By Your Name“, doch ins Anti-Idyllische pervertiert.

Foto: Salzgeber

Der Wendepunkt im Werwolf-Haus ist, als Chino eines Nachts ausgeht, wozu auch immer. Jedenfalls haben die zwei Jungs dann sturmfrei. Mono schlägt vor, Schokolade beim Kiosk zu holen. Als sie zurückkehren, steckt eine Kippe im Gras vor dem Haus. Chino? Ezequiel wird unwohl im Haus, als die beiden miteinander rummachen. Also schließt Mono die Haustür von innen ab. Pink und Honiggelb und mintgrün leuchten die Lampen im Haus. Die Sixpacks der beiden Jungs scheinen fast so dramatisch wie bei Caravaggio. Nach dem Sex verschwindet Mono – und taucht sehr seltsam wieder auf.

Tage später erhält Ezequiel ein Porno-Noir-Video von jener Nacht: Chino muss dicht bei ihnen gewesen sein – und mitgefilmt haben. Und er unterbreitet Ezequiel ein unmoralisches Angebot: Gegen Cash soll er, wie Mono, jüngere Jungs in die Falle locken. Dann, so verspricht er, macht er Ezequiels Gesicht unkenntlich. Die Videos verkauft Chino im Darknet. Der Dialog der beiden ist gefilmt im klassischen Schuss/Gegenschuss-Muster. Doch man sieht die Gesichter nicht, die Kamera fotografiert von schräg hinten auf die Köpfe. Es ist kein Gespräch, es ist ein Kuhhandel. Und aus  „Young Hunter“, der als sexuelles Erweckungskino begonnen und sich zu einem hyperspannenden Thriller entwickelt hat, wird ein Film über die Täter-Opfer-Spirale und ihre abgründigen Folgen.




Young Hunter
von Marco Berger
AR 2020, 101 Minuten, FSK 16,
spanische OF mit deutschen UT,
Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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