Der Blonde

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Ein Vorort in Buenos Aires. Der blonde Gabriel ist gerade bei seinem Arbeitskollegen Juan eingezogen. Offiziell sind beide hetero: Der stille Gabriel hat eine kleine Tochter, Draufgänger Juan bringt eine weibliche Eroberung nach der anderen nach Hause. Trotzdem gibt es zwischen ihnen eine intensive körperliche Anziehung. Irgendwann folgen auf Blicke Berührungen und ein loses sexuelles Arrangement. Als aus den „flatmates with benefits“ ein richtiges Liebespaar werden könnte, gerät Juan in einen Identitätskonflikt. Mit gewohnt voyeuristischem Blick schaltet der argentinische Regisseur Marco Berger die homoerotische Stimmung schrittweise nach oben. „Der Blonde“ ist bereits der sechste Film von Teddy-Gewinner Berger („Plan B“). Unser Autor Christian Lütjens hat sich angesehen, wie er abermals die Grenzen der Intimsphäre gesprengt hat.

Foto: Edition Salzgeber

Hasen statt Helden

von Christian Lütjens

„Sammelst du Hasen?“ / „Ja.“ – Schon enorm, wie viel erotische Spannung in einem banalen Dialog wie diesem drinstecken kann. Obwohl… Wenn man bedenkt, dass wir uns hier in einem Film von Marco Berger befinden, ist es nur noch halb so überraschend. Der argentinische Regisseur hat sich spätestens seit seinem 2011 mit dem Teddy als Bester Spielfilm ausgezeichneten Stalker-Drama „Ausente“ als Meister der sexuellen Aufladung von Alltagssituationen bewährt. Lange Blicke, beiläufige Gesten, unausgesprochene Botschaften zwischen den Zeilen – das sind die Zutaten aus denen Berger seine spröden, aber stets hinreißend elegant fotografierten Filmgeschichten über unausgesprochene Sehnsüchte und geheime (meist schwule) Begierden strickt. Die Drehbücher schreibt er dabei konsequent selbst.

An oben zitiertem Dialog aus Bergers neuen Film „Der Blonde“ lässt sich das Prinzip der Alltagserotik gut veranschaulichen. Die banalen Worte werden auf der Schwelle zum Zimmer des titelgebenden „Blonden“ (einem stillen, jungen Mann namens Gabriel, gespielt von Gaston Re) gesprochen. Mitbewohner Juan (Alfonso Barón) steht mal wieder spontan im Türrahmen und will Gabriel zum Biertrinken abholen. Eigentlich sind die beiden auf dem Sprung nach draußen. Doch als der „Blonde“ sich an seinem Mitbewohner vorbei in den Flur schieben und losgehen will, bleibt Juan wie angewurzelt stehen und stellt mit einem melancholischen Blick zu einer kleinen Gruppe aus Porzellan- und Keramikhasen auf Gabriels Bücherregal die anfangs zitierte Frage: „Sammelst du Hasen?“ Nach der knappen Antwort „Ja“ stehen sich die jungen Männer eine Weile im Türrahmen gegenüber und blicken stumm auf die Hasenfiguren.

Während Marco Berger einen Schnitt auf ihre einander zugewandten Unterleiber macht. Und dabei einfängt, wie Gabriel zögerlich und sehr langsam wie alles in diesem Film seinen Zeigefinger über die Schwanzbeule in Juans Trainingshose fahren lässt. Der Zuschauer hat zu diesem Zeitpunkt schon eine halbe Stunde auf so eine Berührung gewartet. Sie wurde vom Regisseur mit einer Vielzahl von langen Blicken und beiläufigen Gesten angekündigt. Denn von der Beziehung, die Juan und der „Blonde“ nach der ersten Intimität auf der Türschwelle einen argentinischen Winter lang aufzubauen versuchen, erzählt der Film.

Foto: Edition Salzgeber

Nachdem Marco Berger bei seinem letzten, ungewöhnlich ausgelassenen Film „Taekwondo“ gemeinsam mit seinem jüngeren Kollegen Martin Farína Regie geführt hat, macht er bei „Der Blonde“ wieder sein eigenes Ding. Und ist dabei ganz bei sich selbst. Der 42-Jährige erzählt die Geschichte von Juan und Gabriel schnörkellos und unaufgeregt als Milieustudie einer Welt, in der für schwule Liebe eigentlich kein Platz ist. Schauplatz ist eine Männer-WG in einem Außenbezirk von Buenos Aires. Bei den Bewohnern sind Political-Correctness- und Gender-Debatten noch nicht wirklich angekommen. Man hängt fernsehguckend auf dem Sofa oder biertrinkend auf der Dachterrasse herum, quasselt über Paintball, Fußball und nackte Frauen, zwischendurch kommt der ältere Nachbar Leandro vorbei, der sich „lieber die Eier abschneiden“ würde als eine lesbische Tochter zu haben.

Intimsphäre ist in diesem Umfeld rar und hat eigentlich nur dann ihre Berechtigung, wenn einer der Bewohner eine Freundin mit nach Hause bringt. Was Casanova Juan regelmäßig tut. Auch Gabriel hat eine Freundin, und überdies eine Tochter aus einer früheren Beziehung. Die kleine Ornella lebt nach dem unerwarteten Tod ihrer Mutter allerdings bei den Großeltern, wo Papa Gabriel sie nur mittwochs und am Wochenende besucht.

Foto: Edition Salzgeber

Aus dieser Grundkonstellation könnte man vieles machen: ein aufklärerisches Feel-Good-Movie über erwachendes Diversitätsbewusstsein in einer heteronormativen Männer-WG wäre ebenso möglich wie eine emanzipative Patchwork-Lovestory, in der die schwulen Protagonisten lernen, zu ihrer Liebe zu stehen. Doch Marco Berger hat kein Interesse an einer optimistischen Überhöhung der Wirklichkeit. Statt Juan und Gabriel zu queeren Helden zu stilisieren, lässt er sie bleiben, was sie sind: zwei junge Männer aus der Arbeiterklasse, die ihrer körperlichen Anziehung nachgeben und im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine Beziehung zu führen versuchen.

Doch der Rahmen ist in diesem Fall zu eng gesteckt, als dass das Ganze Zukunft hätte. Sex und Austausch von Zärtlichkeiten gehen nur im Geheimen. Während Gabriel durchaus bereit wäre, das Verhältnis öffentlich zu machen (was seinen Status als blonder Exot unter lauter Dunkelhaarigen unterstreicht), weigert sich Juan, sein Leben zu ändern. In einer der brutalsten Szenen des Films erklärt er dem heimlichen Lover: „Wir können kein besseres Leben haben (…) Ich will weiter mit den Jungs Fußball spielen, ohne dass es beim Duschen komisch wird (…) Ich möchte meine eigene Familie. Ich möchte ein normales Leben.“

Foto: Edition Salzgeber

Diese Worte sind nicht nur deshalb so traurig, weil sie Gabriel das Herz brechen, sie sind es auch darum, weil sie auf den Punkt bringen, dass Menschen in einem nicht aufgeklärten Umfeld noch immer mit der Aufgabe ihres bisherigen Lebens für ein Coming-out bezahlen müssen. Dieser Preis ist dem vermutlich bisexuellen Juan zumindest in diesem Moment noch zu hoch. Dass man ihn deshalb trotzdem nicht als Arschloch empfindet, sondern ihn verstehen kann, ist das Verdienst der exakten und hochsensiblen Figurenzeichnung, die Berger in diesem Film gelingt.

„Der Blonde“ ist somit nicht nur wegen der freizügigen Sexszenen und Bergers stilistischem Markenzeichen – einer voyeuristischen Kameraführung, die durch suggestive Einstellungen wie den Schnitt auf die Unterleiber in der Türschwellen-Szene oder das gezielte Einfangen von Momenten, in denen sich die Protagonisten unbeobachtet fühlen, förmlich in die Intimsphäre der Figuren hineinkriecht – sehenswert, sondern vor allem wegen der glaubwürdig entworfenen Charaktere samt Umfeld. Toll gespielt ist das Ganze auch. Stellvertretend für die generell hervorragenden Schauspieler sei an dieser Stelle die Leistung von Titeldarsteller Gaston Re erwähnt, der sich nach seinem Auftritt als forscher Surferboy in „Taekwondo“ von einer komplett gegensätzlichen Seite zeigt und spektakulär zurückgenommen die Unsicherheit, Gehemmtheit und das stille Begehren des „Blonden“ herausspielt. Dass Bergers Drehbuch der Figur des Gabriel nach einer hübschen dramaturgischen Alles-auf-Anfang-Schleife am Schluss einen kleinen, aber bedeutsamen Befreiungsschlag zugesteht, ist eine gute Entschädigung für das ausbleibende Happy End mit Juan – aber nur einer von zahlreichen Momenten, die diesen Film in ihrer ungekünstelten Menschlichkeit so anrührend machen.




Der Blonde
von Marco Berger
AR 2019, 108 Minuten, FSK 16,
spanische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (spanische OF mit deutschen UT): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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