Peter Rehberg: Hipster Porn

Buch

Queertheoretische Denker gehen über die Frage, ob Pornografie zu verdammen sei oder nicht, hinaus und fragen stattdessen nach dem subversiven Potenzial pornografischer Inszenierungen. Im Interview mit Verlegerin Claudia Gehrke haben wir bereits die Möglichkeiten nicht-exploitativer Erotik und Pornografie am Beispiel des Jahrbuchs „Mein heimliches Auge“ erörtert. In „Hipster Porn“ unterzieht nun Peter Rehberg das Porno-Fanzine „Butt“ einer hochabstrakten queertheoretischen Analyse. Mike Laufenberg gibt einen Überblick über diese komplexe Studie.

Ästhetik des Schwulwerdens

von Mike Laufenberg

Mit seiner Anverwandlung von Arbeitermännlichkeiten wurde der neue Hipster in den 1990er Jahren zum Inbegriff einer spätkapitalistischen Kultur, die zunehmend surrealer zu werden schien. Weiße Akademiker und Künstler in ihren 20ern und 30ern hörten auf, sich zu rasieren, und begannen, sich die Ästhetik der Working & Poverty Class anzueignen. Mit einem Gefühl kultureller Überlegenheit, das auf seine kleinbürgerliche Herkunft verweist, inszeniert der Hipster das Imitierte mit Gesten künstlerischer Reflexivität und ironischer Distinguiertheit. Manche behaupten, die Hipster-Kultur beruhe allein auf Trittbrettfahrertum, ohne dass sie jemals etwas Eigenes hervorgebracht hätte, das von Belang wäre.

Es mag daher zunächst verwundern, dass der Queer- und Medientheoretiker Peter Rehberg ausgerechnet zur Hipsterästhetik der frühen 2000er Jahre zurückkehrt, um in ihr nach der Entstehung von etwas Subversivem und geradezu Hoffnungsvollem zu suchen. In „Hipster Porn“ geht der Autor dem queeren Potenzial der Hipsterisierung von Männlichkeit und Sexualität im legendären Fanzine Butt nach. Mit seinem Markenzeichen der Schwarz-Weiß-Fotografien auf rosa Papier prägte das von 2001 bis 2011 in Druckfassung erschienene Zine laut Rehberg einen neuen schwulen Männertypus: „Weniger genormt als die Körperideale der 1990er, lässiger, behaart, mit Bart“.

Rehberg interessiert sich zunächst weniger für den Hipster an sich als für die medien- und schwulenhistorischen Veränderungen, die ihn ermöglichten und zu einem kulturellen Ereignis machten. Butt habe diese Veränderungsprozesse seiner Zeit erkannt, medial verarbeitet und verstärkt. Schwule Männlichkeit und Sexualität wurden dabei anders erfahrbar gemacht als in den Mainstreammedien schwuler Pornografie und Subkultur. Für Rehbergs theoretischen Rahmen ist zentral, dass diese Erfahrung, anders schwul zu sein, ästhetisch vermittelt ist. Der Autor ist hier u.a. von Foucaults Konzept einer Ästhetik der Existenz inspiriert, mit dem sich die Geschichte der Subjektivität als Geschichte von Techniken und Künsten der Selbstführung aufschlüsseln lässt. Dies schließt den Gebrauch der Lüste und die Stilisierung der eigenen körperlichen Existenz genauso mit ein wie die Ästhetik der Beziehungen, die ein Subjekt zu anderen und zu seiner Umwelt unterhält. Hiervon ausgehend erinnert Rehberg an die existenz-ästhetische Krise, in die schwule Männlichkeit in den 1990er Jahren geraten war. Anhaltender Schwulenhass, Aids-Phobie und die simultane Entstehung einer neuen Homo-Bürgerlichkeit manövrierten schwules Begehren in eine repräsentationspolitische Sackgasse, in der es zwischen zwei dominanten Bildern zerrieben wurde: Hier die hypermaskuline pornographische Norm des gesunden Muskelmanns, der das stigmatisierte und angstbesetzte Bild vom kranken Körper mit Aids verdrängen sollte. Dort das Ideal der Verbürgerlichung schwuler Männlichkeit durch Domestizierung und Entsexualisierung (Stichwort gay marriage).

Peter Rehberg – Foto: privat

Um 2000 entsteht nun mit dem Homo-Hipster eine Fluchtlinie, die dem Begehren einen Ausweg aus dieser existenz-ästhetischen Trostlosigkeit des schwulen Mainstreams eröffnet. Die Desidentifizierung mit der dominanten schwulen Kultur vollzieht sich hierbei nicht bloß symbolisch. Im Unterschied zur einleitend genannten Mainstream-Variante des Hipsters geht es nicht lediglich um kleinbürgerlichen Distinktionsgewinn und die Fetischisierung von Differenz. Durch das Recycling schwuler subkultureller Codes der 1970er und 80er wird Rehberg zufolge das subversiv-queere Potenzial des Hipsters als Gegenfigur aktiviert. Das Ästhetische wird an eine Politik und Ethik der Lebenskunst rückgebunden. Rehberg denkt materialistisch genug, um die Geburt dieser Gegenfigur nicht lediglich auf Verschiebungen auf der Repräsentationsebene zurückzuführen. Mit der Entwicklung von antiretroviralen Therapien und neuen digitalen Technologien haben sich vielmehr signifikante Veränderungen in den sozio-materiellen Infrastrukturen schwuler Sexualität ergeben. Erstere ermöglichen seit Ende der 1990er Jahre ein Leben mit HIV und leiten damit zumindest im globalen Norden eine Entdramatisierung von HIV/Aids ein. Letztere öffnen die Welt der Pornographie für die Do-It-Yourself- und Amateurproduktion und ermöglichen damit eine postpornographische Wende, die vorherrschende pornographische Darstellungs- und Erzählkonventionen überwindet, ohne die politische Relevanz einer öffentlich zugänglichen, ästhetischen Verhandlung von Sexualität über Bord zu werfen. Dies alles flankierte die Entstehung des Homo-Hipsters in Butt.

Die Butt-Boys bieten schwulem Begehren zweifelsohne eine ästhetische Alternative zu den dominanten Repräsentationen der 1990er. Der cleanen Ikonografie des weißen Schwulenpornos setzen sie mit ihren amateurhaft inszenierten Körpern, die mal dünn, mal dick, und fast immer behaart sind, eine „Ästhetik des Nichtperfekten“ entgegen. Aber handelt es sich bei den schwulen Hipstern dadurch bereits um „queere Männlichkeiten“, wie  Rehberg im Untertitel des Buches behauptet?

Um dieser Frage nachzugehen, entfaltet „Hipster Porn“ eine anspruchsvolle und originelle Analyse, die Debatten der Gender & Queer Studies mit Affekt- und Medientheorien zusammenführt. Wer sich von dem Buch einfache Antworten erhofft, wird allerdings enttäuscht sein. Rehbergs Erörterung des queeren Potenzials von Butt bleibt ambivalent, und genau das macht die Stärke seiner Untersuchung aus. Denn der Autor verweigert sich durchweg der falschen Alternative, die Hipster-Kultur entweder zu zelebrieren oder aber in den Chor des allgemeinen Hipster-Bashing einzustimmen. Das eröffnet ihm einen nuancierteren Zugang zu seinem Gegenstand. Nicht nur wegen ihrer normativen Weißheit und der Abwesenheit von Weiblichkeiten und Transgeschlechtlichkeit bleibt das queere Potenzial der Ästhetisierung schwuler Männlichkeiten im Butt-Zine ambivalent. Auch die nostalgische Rückfaltung schwulen Begehrens auf Konstruktionen von ‚authentischer’ und ‚natürlicher’ Männlichkeit, die mediengeschichtlich, wie Rehberg überzeugend zeigt, mit der Etablierung eines neuen dokumentarischen Realismus korrespondiert, klingt zunächst nicht besonders queerverdächtig.

Die queere Qualität von Butt verortet Rehberg dort, wo Männlichkeit und Sexualität als etwas erfahrbar werden, das veränderbar bleibt und im Werden ist. Diese Veränderbarkeit (hier ist die Nähe zu Foucault und Hocquenghem spürbar) fordert uns zugleich heraus, Schwul-Werden als unabgeschlossenen Prozess anzunehmen, der einer aktiven Gestaltung und kollektiven Bearbeitung bedarf. Rehberg erkennt in der Intimisierung ein hervorstechendes Merkmal des Anderswerdens von schwuler Sexualität in Butt. Sexualität wird hierbei weder dethematisiert, noch von den restlichen Lebensbezügen abgekoppelt. Stattdessen werden Sexualität und Männlichkeit als gegenkulturelle Ressourcen und Transformatoren schwuler Subjektivität und Kollektivität wiederentdeckt. Im Unterschied zur immer gleichen pornographischen Dramaturgie von „Vorspiel/Action/Cum-Shot“ stellt Butt Sexualität in einen „Erzählkontext, der nicht die sexuelle Leistungsfähigkeit – Alter, Maße, Aktivität – in den Mittelpunkt rückt.“ Sexualität ist ein prägender Teil von Butt, aber – hierin liegt die postpornographische Verschiebung – sie ist es auf eine nicht-phallozentrische, undramatische und liebevolle Weise. Die Sexualität der Butt-Boys wird als etwas hoch Affektives inszeniert, das die pornographische Reduktion von Sex auf Fantasie, Genitalität, Exzess und Entladung übersteigt. Sexualität schafft Verbindungen und transportiert Emotionen, ohne dabei weniger sexy oder kinky zu sein; sie wird zu etwas ‚Realem’, das die Beziehungen der Beteiligten zu sich, zu ihrer Umgebung und zu den profansten Alltagsgegenständen intensiviert. Diese Dezentrierung und Affektsteigerung der Sexualität ist für Rehberg Teil einer größeren utopischen Kraft, die sich in der Butt-Ästhetik manifestiert. Schwule Sexualität werde in der Welt von Butt ohne Scham und Angst erlebbar: ohne Angst vor Aids und Homohass; ohne Schamempfinden angesichts der eigenen körperlichen Unvollkommenheit und Verletzlichkeit.

„Hipster Porn“ ist mehr als der Liebesbrief eines Butt-Fans und mehr als eine Kulturtheorie des schwulen Hipsters, dessen utopisches Potenzial als queere Gegenfigur heute ohnehin längst verblasst ist. Das Buch ist eine Reflexion über schwule Männlichkeiten und Sexualitäten in Zeiten von Digitalisierung, biomedizinischer HIV-Prävention und Global Gay Gym; von anhaltender Stigmatisierung und neuer Homonormativität. Es ist ein Plädoyer, uns diesen Zeiten nicht einfach auszusetzen, sondern ihre Probleme und Möglichkeiten als gemeinsame Probleme und Möglichkeiten zu erkennen und zu ergreifen. Rehberg fasst das Veränderungspotenzial, das Schwulsein als Kultur und kollektiver Existenzweise inhärent ist, hierbei nicht als Bedrohung, sondern als konkrete Utopie, die es zu entfalten gilt. Damit erweist sich „Hipster Porn“ als Glücksfall gerade auch für den hiesigen Diskurs, in dem queere und andere Kritik an dominanten Ausprägungen schwuler Sozialität und Sexualität oft mit einer restaurativen Rhetorik der Abwehr begegnet wird (so als ginge es in dieser Kritik um die Auslöschung schwuler Kultur und Identität). Rehbergs Buch weist uns einen anderen Weg, auf dem das Queerwerden schwuler Männlichkeiten und Sexualitäten nicht als bedrohlicher Verlust erfahren werden muss, sondern etwas Begehrenswertes sein kann. Aus politischen und ethischen Gründen. Aber auch aus ästhetischen.




Hipster Porn
Queere Männlichkeiten und affektive Sexualitäten im Fanzine „Butt“

von Peter Rehberg
Kartoniert, 430 Seiten, 22 €,
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