Schönheit und Vergänglichkeit

Trailer Kino

In ihrem neuen Film „Schönheit und Vergänglichkeit“ porträtiert Annekatrin Hendel den Fotokünstler Sven Marquardt sowie dessen Modelle Dominique Hollenstein und Robert Paris. Alle drei waren im Ost-Berlin der 1980er Jahre ein zentraler Teil der Subkultur und „ineinander verschossen.“ Hendel beobachtet und begleitet das Trio und lässt es über das Gestern und Heute reflektieren. Unsere Autorin Cosima Lutz hat den Dokumentarfilm als barockes Vanitas-Gemälde erlebt, in dem unterschiedliche Welten hart aneinandergrenzen.

Foto: Real Fiction

Wo ist er hin, der Pulsschlag von damals?

von Cosima Lutz

Die Frau ist nackt. Beide Hände hat sie kampfbereit um zwei lange Hörner gelegt, die sie auf ihrer Stirn trägt. Derart ausgerüstet, scheint sie dem Fotografen entgegenspringen zu wollen, die Zähne leicht entblößt, ein Spiel von Schönheit, Schamanismus und Schabernack. Dominique „Dome“ Hollenstein, die Frau, die auf dem Schwarzweiß-Foto zu sehen ist, agiert dabei selbstbewusst als Miterschafferin ihres Bildes, der Zeit enthoben.

„Schönheit und Vergänglichkeit“ heißt Annekatrin Hendels neuer Film, und der Titel ist gut gewählt. Gerade das unauffällige „Und“ darin, denn das Schöne und das Vergängliche sind hier gleichzeitig zu denkende, komplementär aufeinander bezogene Eigenschaften, einander durchdringend, befördernd und in Frage stellend. Sodass es am Ende auch nur logisch ist, dass Sven Marquardt, der Fotograf, und seine alte Freundin Hollenstein, die einst zum Gravitationszentrum des Ost-Berliner Untergrunds gehörten, über den Erhalt ihrer Gesundheit sinnieren, für die man – anders als in der Jugend – heute eben „arbeiten“ müsse.

Mehr als drei Jahrzehnte nach ihrem letzten gemeinsamen Shooting kommen die beiden noch einmal zusammen, in den Hallen des Berghains, wo Marquardt als Berlins weltberühmtester Türsteher weiterhin seinen Dienst am nächtlichen Exzess tut. Fasziniert hätten ihn damals diese „starken, selbstbewussten und trotzdem weiblichen Frauen“ wie eben Dome, die dem „Ost-Alltag ja gar nicht entsprachen“. Sein Lieblingsmodell, immer noch mädchenhaft schön, scherzt über die unterschätzte Fotogenität „weicher Titten“ und hat mal wieder die entscheidende Bildidee, indem sie eine transparente Folie über ein altes Porträt von sich im Hintergrund legt. Unverhüllt, da sind sie sich einig, wäre es zu wenig „svenig“. Auf hochempfindlichem Film, nur mit natürlichem Licht, modelliert Marquardt die im Privaten eher zauselig gestylte Freundin zur glamourösen Göttin. Er mache eben das Innerste sichtbar, wird sie später lächelnd sagen.

Als Dritter im Bunde des alten Freundschafts-Gestirns ist Robert Paris aus Indien angereist. Auch er ist Fotograf, war ebenfalls Marquardts Modell und wanderte kurz nach dem Mauerfall aus. Auf den Bildern aus den Achtzigern, mit Lidschatten und blondierem Haar, blickt er mit unverändertem Ernst in die Kamera. Mal sieht man ihn als eindeutig männlichen Bettgefährten Hollensteins in einem Bild voller Zartheit und Intimität, mal auf einem Friedhof in Seidenstrümpfen als androgynen Engel. „Schönheit“ und „Vergänglichkeit“ verbinden sich in diesen Inszenierungen mit der Gleichzeitigkeit fließender Geschlechtsidentitäten. In Robert seien sie damals beide verknallt gewesen, ach was, alle seien ineinander verschossen gewesen, wie im Film „Cabaret“, schwärmt Hollenstein, während in ihrer leicht morbiden Wohnung voller selbst gebasteltem Blumendekor mehrere Katzen umherstreifen.

Foto: Real Fiction

Hendel lässt ihre Figuren in ihrem natürlichen Umfeld agieren wie auf Bühnen, ab und zu stellt sie Fragen aus dem Off, das Authentische und das Inszenierte gehen dadurch eine schillernde Verbindung ein. Wenn Robert Paris sagt, dass Orte „die eigenen Gewohnheiten prägen“, ist er ganz nah an Hendels eigenem Erzählkonzept des Gleichzeitigen im Ungleichzeitigen. Er selbst richtete damals seinen fotografischen Blick weniger auf die Menschen als auf „die von Menschen angelegten Strukturen“, die majestätischen, maroden Bauwerke Prenzlauer Bergs: Wie die Bögen gotischer Kathedralen stehen die S-Bahn-Viadukte im rauchigen Licht, und die heute verschwundenen Gasometer im späteren Ernst-Thälmann-Park ragen in die Höhe wie antike Arenen.

In der Montage vom Gestern und Heute, vom Dort und Hier (Schnitt: Gudrun Steinbrück) entsteht eine lyrische Verdichtung jenseits der Worte. Da flackert auf einem alten VHS-Film eine „Modenschau“, eher eine Performance, im verfallenden Stadtbad Oderberger Straße. Das Publikum jubelt, in der Menge sieht man die drei Freunde in fantastischen Kostümen, sie umarmen sich, die Schau ist vorbei. Schnitt: Robert Paris steht im selben, heute renovierten Bad. Wo er und seine Freunde einst in selbstgeschneiderten Lederklüften feierten und tanzten, ziehen jetzt Durchtrainierte schnurgerade Bahnen. Wieder Schnitt: ein Wasserfall in Indien, mit langer Belichtung in dunstigem Schwarzweiß fotografiert, Menschen stehen darin, verschwinden fast, küssen sich. Dieser Dreischritt von dionysischem Rausch, Disziplin und nochmal Rausch(en) ist von einer Folgerichtigkeit, als hätte das einstige Verweigern eines linientreuen Lebenswegs zumindest für Robert Paris seine Fortsetzung nicht in Berlin, sondern in Indien gefunden. Dort lebt er mit seiner wasserliebenden indischen Frau, und die Basis ihrer Beziehung, sagt er, seien die Ziele, die sich beide auf Grundlage ihres zwanglos gelebten Glaubens setzten, „und nicht der äußere Schein“.

Foto: Real Fiction

So gleicht der ganze Film eher einem barocken Vanitas-Gemälde als einer sentimentalen Dokumentation mit ihren üblichen Talking Heads. Statt darzulegen und zu werten, ordnet Hendel an und stellt auf, wie sie es zuletzt auch in „Familie Brasch“ getan hat. Stoisch (Kamera: Martin Farkas, Thomas Plenert und Johann Feindt) hält sie auf ein Stillleben aus Gullideckel, Leiter und Europalette eines Hinterhofs, während Marquardt beim Sinnieren aus dem Bild spaziert. Nach einer Weile kommt er wieder, die mit Totenkopfringen schwer beladene Hand nachdenklich ans Kinn gelegt, und blättert durch einen Katalog seiner Werke. Das sei „die schöne Beatrice“, sagt er, sie sitze heute im Rollstuhl, nach „einer Sekunde der Unachtsamkeit“, ein Autounfall. Währenddessen tastet die Kamera an seiner rechten Schläfe das Tattoo „Ewig Dein“ ab.

Mit solchen beiläufig schmerzlichen Nadelstichen vernäht Hendel das Leitthema zu einem Patchwork, in dem die Welten hart aneinandergrenzen, die impressionistische Wohnung Domes an die kühlen Fetisch-Porträts Marquardts, diese an die knallbunten Straßenszenen, die Robert Paris in Indien festgehalten hat. Doch knüpfen Hendels Bilder, und sei es manchmal ganz zufällig, selbst da noch eine Verbindung, wo sie längst vergangen sein mag. Berlin sei für ihn nicht mehr „meine, sondern nur noch eine Stadt“, sagt Robert Paris einmal. Doch die senkrechten Linien auf seinem Hemd und das Eisengeländer neben ihm scheinen heimlich noch demselben alten Rhythmus zu folgen.




Schönheit und Vergänglichkeit
von Annekatrin Hendel
DE 2019, 80 Minuten, FSK 6,
deutsche OF,

Real Fiction

Ab 05. Dezember hier im Kino.

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