Endstation Sehnsucht

Tod in Venedig (1971)

Tod in Venedig (1971)

Luchino Viscontis „Tod in Venedig“, die filmische Adaption von Thomas Manns gleichnamiger Novelle, gilt als eine der schönsten und tiefgründigsten Verfilmungen des europäischen Kinos. Die Geschichte um den alternden Schriftsteller Gustav von Aschenbach, der sich auf einer Reise in die Lagunenstadt in einen Teenager verliebt, ist ein meditatives Werk über Schönheit, Sterblichkeit und die verführerische Kraft der Kunst, so pathetisch wie opulent-melancholisch. Cosima Lutz über „eine der wahrscheinlich wortkargsten Literaturverfilmungen überhaupt“.
Ein Liebeslied (1950)

Ein Liebeslied (1950)

Männer, die in ihren Gefängniszellen tanzen, träumen und masturbieren; ein Wärter, der sie beobachtet. In einem Wald in der Nähe von Paris drehte der berühmte schwule Schriftsteller Jean Genet im Jahr 1950 seinen einzigen Film „Ein Liebeslied“ – keine 30 Minuten lang, aber skandalös genug, dass er nach einem ersten öffentlichen Screening im Jahr 1954 jahrzehntelang nicht gezeigt wurde. Philipp Stadelmaier über einen Film, „dem man sich am besten vorsichtig nähert, von außen, weil er sich selbst im Schutz der Anonymität bewegt und sich eine unzugängliche Intimität bewahrt.“
Aimée & Jaguar (1999)

Aimée & Jaguar (1999)

Im faschistischen Deutschland von 1943 finden zwei Frauen zueinander: die jüdische Widerstandskämpferin Felice und die angepasste Mutterkreuzträgerin Lilly. Eine Liebesbeziehung, die kaum vorstellbar scheint und doch historisch belegt ist. Max Färberböcks Verfilmung von Erica Fischers dokumentarisch-literarischer Vorlage „Aimée & Jaguar“ eröffnete 1999 die Berlinale und wurde danach schnell zum Sensationserfolg. Und hat auch heute nichts von ihrer Kraft verloren. Der Film habe „eine Zärtlichkeit von jener Sorte, die das Kino zwischen zwei Frauen selten zeigt“, schreibt Arabella Wintermayr: „warm und lustvoll zugleich, tastend und gleichzeitig voller Dringlichkeit“.
Drama Queens

Drama Queens

Liebe! Ruhm! Klassenkampf! So ließe sich „Drama Queens“ von Alexis Langlois in drei Worten zusammenfassen. Doch dieses Langfilmdebüt ist mehr: ein Glitterpop-Märchen mit Sommerhit-Soundtrack; ein bisslustiges Musical; eine Feier aller missverstandenen Popdiven. Ziemlich wild und kompromisslos queer geht es hier zu. Oder, wie sissy-Autor Andreas Köhnemann es ausdrückt: „laut und romantisch, kinky und süß, over the top und voller Wahrhaftigkeit“. Stimmt alles. Und ist im Juli im Rahmen der Queerfilmnacht in mehr als 40 Städten in Deutschland und in Österreich zu sehen. Danach startet der Film offiziell in ausgewählten Kinos.
Dem Himmel so fern (2002)

Dem Himmel so fern (2002)

Die Lügen und Geheimnisse hinter der perfekten Fassade einer Vorstadt-Ehe in den USA der Fünfziger Jahre: In „Dem Himmel so fern“ aus dem Jahr 2002 lässt Todd Haynes sein Schauspieler:innen-Paar aus Julianne Moore und Dennis Quaid an ihren Sehnsüchten fast zerbrechen – und beschwört den Geist des großen Melodramatikers Douglas Sirk herauf. Sissy-Autor Philipp Stadelmeier hat sich in dieser „Bilderbuchwelt aus Rot-, Gelb- und Kastanientönen“ noch einmal für uns umgesehen.
Westler (1985)

Westler (1985)

Berlin, Mitte der 1980er Jahre. Felix aus dem Westen und Thomas aus Ostberlin leben nur wenige Kilometer voneinander entfernt – und doch in unterschiedlichen Welten. Zwischen ihnen liegt die Berliner Mauer, pro Woche können sie sich nur einen Tag für wenige Stunden sehen. Irgendwann weiß Thomas nur einen Ausweg: die Flucht aus der DDR, zu Felix. Regisseur Wieland Speck und sein Team mussten 1985 im Ostteil Berlins zum Teil mit versteckter Kamera drehen. 40 Jahre später zählt sein Debütfilm „Westler“ zu den unbestreitbaren Klassikern des queeren Kinos. Andreas Wilink über einen grenzenüberschreitenden Liebesfilm der „wie aus dem Underground aufs Leben schaut“.
Ich kann nicht schlafen (1993)

Ich kann nicht schlafen (1993)

Hochsommer in Paris. Im 18. Arrondissement, zwischen Montmartre und Pigalle, kreuzen sich in den Tagen und Nächten die Wege dreier Menschen: Théo, dessen Familie aus Martinique kommt, schlägt sich als Handwerker durch. Sein jüngerer Bruder Camille ist der Star der Nacht in einer schwulen Bar. Und die junge Litauerin Daiga hat die ganze Strecke aus Vilnius mit dem Auto zurückgelegt, weil ein Theaterregisseur ihr falsche Hoffnungen gemacht hat. Im Netz der Stadt verfangen sich die Sehnsüchte der drei Außenseiter. Doch unter ihnen ist ein Mörder. „Ich kann nicht schlafen“, der dritte Spielfilm von Claire Denis („Beau Travail“, „Trouble Every Day“) aus dem Jahr 1993, ist ein Klassiker des queeren Kinos aus Frankreich: ein sinnliches Meisterwerk, in dem die einzelnen Geschichten die Erotik flüchtiger Fremdheit und die Sehnsucht nach einem anderen Leben umkreisen, ohne jemals die erzählerische Leichtigkeit zu verlieren. Eine Liebeserklärung von Jan Künemund.
Die Konsequenz (1977)

Die Konsequenz (1977)

Wolfgang Petersens kontroverse Verfilmung des autobiografischen Romans von Alexander Ziegler mit Jürgen Prochnow und Ernst Hannawald in den Hauptrollen wurde 1978 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Im Jahr zuvor hatte der Bayerische Rundfunk die Ausstrahlung in der ARD noch boykottiert. „Die Konsequenz“ erzählt die Geschichte des Schauspielers Martin, der sich im Gefängnis in Thomas, den Sohn eines Aufsehers verliebt. Nach Martins Entlassung ziehen die beiden zusammen, Thomas Eltern erzwingen daraufhin dessen Einweisung in eine Erziehungsanstalt. Martin muss miterleben, wie der sensible junge Mann dort mehr und mehr zerbricht. Andreas Wilink über einen Film, der die düstere gesellschaftliche Realität für schwule Männer Ende der 70er nachbildet – und teilweise noch immer aktuell ist.
Ludwig II. (1973)

Ludwig II. (1973)

Mit nur 18 Jahren besteigt Ludwig II. im Jahr 1864 den bayrischen Thron. Sein Interesse gilt weniger der Diplomatie als den schönen Künsten. Er wird zum großzügigen Förderer von Künstlern und Musikern, allen voran Richard Wagners. Ludwig wird von weiten Teilen seines Volks innig geliebt, ist aber vielen Politikern ein Dorn im Auge, weil er sich kaum um Regierungsgeschäfte kümmert und stattdessen riesige Prachtbauten beauftragt, die Unsummen verschlingen. Bei seiner Cousine Elisabeth „Sissi“ von Österreich findet er eine Seelenverwandte, die seine Liebe jedoch zurückweist. Sissi erkennt das Unheil, auf das ihr Cousin zusteuert, und drängt auf eine Verlobung mit ihrer Schwester Sophie. Aufgrund seiner „Verschwendungssucht“ wird Ludwig schließlich für geisteskrank erklärt und entmachtet. Er stirbt 1886 vereinsamt und unter mysteriösen Umständen am Starnberger See. Mit „Ludwig II.“ hat Luchino Visconti 1973 seine Deutschland-Trilogie abgeschlossen – und dem bayrischen Märchenkönig ein abgründiges filmisches Denkmal gesetzt. Viscontis Partner Helmut Berger glänzt als Regent, der sich zunehmend seinem homosexuellen Begehren hingibt und allmählich verfällt. Bergers Ludwig geht an einen Ort, an den ihn keiner mehr versteht, und der doch zugänglich erscheint, weil Visconti ihm nicht nur bereitwillig, sondern leidenschaftlich folgt. Carolin Weidner über ein filmisches Meisterwerk des Aufbegehren in der durchlebten Agonie.
Im Schatten der Träume

Im Schatten der Träume

Komponist Michael Jary und Texter Bruno Balz waren über 40 Jahre lang das erfolgreichste Duo des deutschsprachigen Schlagers und Kinos. Ihre Lieder wie „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ oder „Davon geht die Welt nicht unter“ machten Zarah Leander musikalisch zum Weltstar. Die 250 Kinofilme, zu denen sie die Musik beisteuerten, reichen von eleganten Komödien der Weimarer Zeit über ambivalente Melodramen im Dritten Reich bis zu Filmen in den Wirtschaftswunderjahren. „Im Schatten der Träume“ erzählt das bewegte Leben der beiden Künstlerfreunde – zwei Biographien, die selbst das Drehbuch für ein Melodram liefern könnten. Balz war als schwuler Mann ein Verfolgter des NS-Regimes und entging dem Konzentrationslager nur durch die Intervention von Jary, der angab, ohne seinen Texter die vom Propagandaministerium geforderten Lieder für den Film „Die große Liebe“ (1942) nicht liefern zu können. Regisseur Martin Witz kombiniert Szenen aus bekannten Spielfilmen mit privaten Fotografien, seltenen Interviews und Erinnerungen von Zeitzeugen. Experten wie der Musikhistoriker und Unterhaltungskünstler Götz Alsmann erklären die Entstehungsgeschichten der weltberühmten Lieder und Filme – und denken dabei auch kritisch über „Unterhaltung“ und Ideologie nach. Andreas Wilink über eine auf vielen Ebenen erhellende und klug kommentierende Zeitreise, der sich ab Donnerstag im Kino folgen lässt.