Drama Queens
Trailer • Queerfilmnacht
Liebe! Ruhm! Klassenkampf! So ließe sich „Drama Queens“ von Alexis Langlois in drei Worten zusammenfassen. Doch dieses Langfilmdebüt ist mehr: ein Glitterpop-Märchen mit Sommerhit-Soundtrack; ein bisslustiges Musical; eine Feier aller missverstandenen Popdiven. Ziemlich wild und kompromisslos queer geht es hier zu. Oder, wie sissy-Autor Andreas Köhnemann es ausdrückt: „laut und romantisch, kinky und süß, over the top und voller Wahrhaftigkeit“. Stimmt alles. Und ist im Juli im Rahmen der Queerfilmnacht in mehr als 40 Städten in Deutschland und in Österreich zu sehen. Danach startet der Film offiziell in ausgewählten Kinos.

Bild: Salzgeber
Bis ins Herz gefistet
„In einem Musical ist alles möglich“, sagt Alexis Langlois in einem Interview über das eigene Langfildebüt „Drama Queens“ – und die Kinohistorie stimmt zweifellos zu. Die goldene Ära des Genres in Hollywood brachte Filme mit unvergesslichen Szenen voller Kreativität hervor, die zumindest in ihrer Ästhetik auch aus dem Kanon des Queer Cinema nicht wegzudenken sind – von „Der Zauberer von Oz“ (1939) über „Meet Me in St. Louis“ (1944) bis zu „Blondinen bevorzugt“ (1953).
In späteren Phasen erlaubten sich einige Musicals noch mehr Subversion und Experimentierfreude. Der Franzose Jacques Demy vereinte etwa in Filmen wie „Die Regenschirme von Cherbourg“ (1964) die hochartifizielle Form mit realitätsnahen Themen. Mit dem Midnight-Movie-Hit „The Rocky Horror Picture Show“ (1975) gelangte die Underground-Kultur in das Genre, während andere moderne Filmmusicals wie „Cabaret“ (1972) oder „Grease“ (1978) die Stile vergangener Epochen originell zitierten. Künstler:innen wie Brian De Palma („Das Phantom im Paradies“, 1974) oder Chantal Akerman („Golden Eighties“, 1986) nutzten die Mittel des Musicals wiederum, um jeweils ihre ganz eigene Vision zu verfolgen.
„Drama Queens“ greift viele dieser audiovisuellen Traditionen und Strategien auf. Der Hauptplot des Films ist in der Musikbranche der frühen 2000er Jahre angesiedelt. Die Inszenierung übernimmt den bunt-überdrehten Plastik-Look der damaligen Dekade, verliert sich aber nie in der Verklärung dieser Zeit, sondern entwickelt bei aller Lust am wilden Exzess einen kritischen Blick auf einstige Hypes, Trends, Denk- und Verhaltensmuster. Als queere Zuschauer:innen müssen wir nicht mehr, wie in der Classical-Hollywood-Ära (und zum Teil noch weit darüber hinaus), im Subtext auf Spurensuche gehen, sondern finden uns nun im Text der Erzählung repräsentiert.
„Drama Queens“ schildert eine lesbische Liebesgeschichte mit etlichen Höhen und Tiefen. Inhaltlich lässt die tragisch-turbulente Beziehung zwischen den beiden jungen Protagonistinnen Mimi Madamour und Billie Kohler an Bradley Coopers Melodram „A Star is Born“ (2018) mit Lady Gaga und an dessen filmische Vorgänger denken. Die Figurenzeichnung und die Bildsprache erinnern indes an den satirischen Ton und an den überbordenden Gestaltungswillen, den die Autorin und Regisseurin Jamie Babbit in Filmen wie „But I’m a Cheerleader – Weil ich ein Mädchen bin“ (1999) und „Itty Bitty Titty Committee“ (2007) an den Tag legt – mit widerständigen Heldinnen, die mit ihrer leidenschaftlichen Liebe füreinander gegen die Regeln ihres restriktiven Umfeldes rebellieren.

Bild: Salzgeber
Alexis Langlois wurde im Jahr 1989 geboren. Dass Alexis die Zeit, von der „Drama Queens“ im zentralen Strang erzählt, selbst im Teenageralter erlebt hat, ist nicht nur in der Handlung und in deren Personal, sondern auch im Szenenbild, im Kostümdesign, im Maskenbild und im Soundtrack zu spüren. Die von den Künstler:innen Rebeka Warrior, Yelle, Pierre Desprats, Mona Soyoc und Louise Bsx geschriebenen Songs erfassen präzise die musikalische Bandbreite der frühen Nullerjahre. Bewusst provokant-krawalliger Punk-Rock trifft auf radiotauglichen Teen-Pop und auf kantigere, erotisch angehauchte Emo-Klänge. Auch die Optik von TV-Castingshows, die zu Beginn der Dekade eine Hochphase hatten, wird eingefangen – ebenso wie die fragwürdigen Methoden, mit denen unerfahrene adoleszente Talente ausgebeutet und vor der Kamera für ein Millionenpublikum vorgeführt wurden.
Die Geschichte beginnt 2005. Die 18-jährige Mimi hofft, durch eine Fernsehshow entdeckt zu werden. Während sich ihre renitente Mitbewerberin Billie gegen die einengenden Vorgaben der Sendung sträubt und rausgeworfen wird, lässt sich Mimi zur massenkompatiblen Pop-Prinzessin umformen – und wird durch den Show-Sieg zum Star. Die aufkeimende Liebe zwischen den zwei Frauen zerbricht jedoch, da Mimi nicht bereit ist, öffentlich zu ihrer Beziehung zu stehen. Billie verarbeitet den Schmerz nach der Trennung in einem Song – und erlangt damit ebenfalls Ruhm. Als herauskommt, dass Mimi die Verflossene ist, von der Billie singt, wird das Ganze zum Skandal.

Bild: Salzgeber
Das Skript von Langlois, Carlotta Coco und Thomas Colineau thematisiert die Doppelmoral innerhalb der Musikindustrie und zeigt die Übergriffigkeit extremer Fans, die ihr Idol einerseits als „ikonische Diva“ feiern und verehren, andererseits aber auch absurde Ansprüche an „ihren“ Star stellen und dadurch zu einer Belastung oder gar zu einer ernsthaften Bedrohung werden können. Die damalige Berichterstattung über Promis wie Britney Spears oder Ashlee Simpson auf Websites wie TMZ und speziell durch den Blogger Perez Hilton kommen einem dabei in den Sinn: In einer verlogenen Mischung aus Voyeurismus und angeblichem Mitgefühl wird jedes intime Detail ins Rampenlicht gezerrt. Wenn Mimi an einer Stelle in einer Talkshow von den vermeintlich an der Wahrheit interessierten Hosts bloßgestellt wird, ruft dies Erinnerungen an ähnliche Vorfälle im US-TV mit Spears oder mit Lindsay Lohan wach.
Neben dem Leidensweg, den Mimi und Billie über Jahre hinweg durchmachen müssen, findet „Drama Queens“ weiterhin auch zahlreiche Gelegenheiten, sich dem Schönen, dem Sinnlichen und dem im besten Sinne Aufregenden zu widmen. „Ich habe dich bis ins Herz gefistet“ – mit freimütigen und einfallsreichen Lyrics wie diesen drücken die beiden immer wieder ihre unbändigen Gefühle füreinander aus, wenn sie heimlich in Mimis Jugendzimmer knutschen, im Club tanzen oder nach der Trennung in ihrer jeweiligen Einsamkeit sehnsüchtig auf die gemeinsam verbrachte Zeit zurückblicken. Louiza Aura und Gio Ventura verkörpern das in den Hauptrollen mit absoluter Hingabe. „Drama Queens“ ist zugleich laut und romantisch, kinky und süß, over the top und voller Wahrhaftigkeit. Ein Film, der die unbegrenzten Möglichkeiten des Musicalgenres genüsslich auszukosten versteht.
Drama Queens
von Alexis Langlois
FR/BE 2024, 115 Minuten, FSK 16
französische OF mit deutschen UT
Im Juli in der Queerfilmnacht, ab 7. August im Kino