The Watermelon Woman (1996)

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In Cheryl Dunyes semi-autobiografischer Mockumentary „The Watermelon Woman“ forscht eine Schwarze, lesbische Filmemacherin – ebenfalls Cheryl – einer vergessenen Schwarzen Schauspielerin aus den 1930er-Jahren hinterher. Während ihrer Recherche reflektiert sie Themen wie Rassismus, lesbische Identität und filmische Repräsentation. Als feministische Antwort auf Mario van Peebles legendäre Blaxploitation-Satire „The Watermelon Man“ ist Dunyes Langfilmdebüt selbst zum Meilenstein des New Queer Cinema geworden. Ein Film, der dazu aufruft, „sich leidenschaftlich dem Zuhören, Erzählen und Fabulieren von Geschichten hinzugeben“, schreibt sissy-Autorin Anne Küper. Dunye erfinde sich selbst – und dabei das, was Kino sein könnte.

Bild: The Criterion Channel

Under construction

von Anne Küper

„Hi, I‘m Cheryl and I’m a filmmaker“, sagt die Schwarze Frau mit Blick in die Kamera, nachdem sie sich selbst das Mikrofon angesteckt hat. Zum Satzende geht ihre Stimme in die Höhe, die Berufsangabe scheint mehr Frage als Aussage zu sein. Na gut, gibt Cheryl (Cheryl Dunye) zu, „not really a filmmaker“, aber eine Videokamera habe sie ja schließlich und den Job in der Videothek, wo sie gemeinsam mit ihrer guten Freundin Tamara (Valarie Walker) arbeitet: „So I’m working on being a filmmaker“.

Die angehende Filmemacherin ist gleichzeitig die Regisseurin, Drehbuchautorin und Cutterin des Films; sie heißt Cheryl Dunye und tritt hier als Version ihrer selbst auf. Sie hatte bereits eine Reihe von Kurzfilmen gedreht, als sie mit ihrem Langfilmdebüt „The Watermelon Woman“ nicht nur aus dezidiert lesbischer, afroamerikanischer Perspektive einen Beitrag zum dem vorgelegt hat, was heute gemeinhin als New Queer Cinema gilt. Der Film feierte 1996 auf der Berlinale seine Premiere – als ein Werk, das ganz grundlegend über Kunstproduktion und die Verantwortung nachdenkt, die mit ihr einhergehen kann: ausgehend von jener jungen Frau aus Philadelphia, die von Dunye selbst gespielt wird und die sich fragt, womit sich denn ein Film beschäftigen würde, wenn sie einen drehte.

Von der Ideenfindung über die Recherche und die Dreharbeiten mitsamt Befragung einzelner Familienmitglieder bis hin zum Schnitt: Nicht nur weil „The Watermelon Woman“ die Prozesse der Herstellung eines solchen Filmes fokussiert, lässt er sich auf gewisse Weise als Making-of beschreiben. Tatsächlich besitzt Dunye ein reges Interesse daran, wie Dinge gemacht sind. Ihr Film begegnet dem, indem er diese Konstruktionen als Konstruktionen vorführt, sich Vereindeutigungen entzieht und mit Konventionen des Schauens bricht, während er sich dennoch voller Geschichtsbewusstsein in bestimmte Traditionen stellt.

Und das geht schon gleich beim Titel los, der sich auf Melvin Van Peebles‘ Satire „Watermelon Man“ (1970) bezieht. Darin wacht ein weißer, rassistischer Versicherungsvertreter an einem Morgen als Schwarzer Mann auf, der nun am eigenen Leib die Benachteiligungen, Demütigungen und Bedrohungen erfährt, an denen er sich vorher selbst rege beteiligt hatte. Als „whiteface performance“ spielt Godfrey Cambridge anfangs diesen Jeff Gerber, obwohl Columbia Pictures noch für den ersten Part auf die Besetzung eines weißen Schauspielers gepocht hatte. Mit der Kombination aus einem Regisseur of Color (Van Peebles) und einem Schauspielstar of Color (Cambridge) innerhalb einer derart großen Studioproduktion sowie dem parodistischen Einsatz der weißen Schminke, der auf die diskriminierende Praxis des Blackfacings Bezug nahm, stand „Watermelon Man“ damals allein auf weiter Flur.

Die Heftigkeit, mit der Van Peebles abseits vorherrschender Repräsentationen Schwarzes Leben erzählte, ist beispielhaft für das Blaxploitation-Genre, das zu dieser Zeit in den Vereinigten Staaten entstand – und das mit seinem Aufkommen zugleich unter Bedrohung stand. Denn die Produktionsfirmen erkannten, wie profitabel es ist, die Geschichten von marginalisierten Personen zu erzählen, ohne für tatsächliche strukturelle Veränderung einstehen zu müssen. Van Peebles‘ nächstes Projekt, „Sweet Sweetback’s Baadasssss Song“ (1971), wurde ohne Studiobeteiligung umgesetzt. Bill Cosby lieh ihm 50.000 Dollar zur Fertigstellung des Films, der für die Black Panther Party zum zentralen Anschauungsobjekt in Sachen „cultural resistance“ wurde.

Um diese Vergangenheiten weiß Dunye, wenn sie über den Titel Verbindungen herstellt und zugleich einen eigenen Platz in der Geschichte beansprucht. Ohne Zweifel kann „The Watermelon Woman“ als Reaktion auf die mitunter problematischen Darstellungen von Geschlecht und Sexualität im Blaxploitation-Kino verstanden werden, dem die Regisseurin sowohl eine ganze Reihe queerer Figuren als auch Komik entgegensetzt. Kulturproduktion zeigt sich bei Dunye als widerständige und politische Praxis, die das Potential zur Selbstkritik besitzt, bestehende Kämpfe notwendigerweise aktualisiert und Grenzziehungen befragt – auch und gerade in Bezug auf das Medium Film.

Bild: The Criterion Channel

Der Film, den die Film-Cheryl drehen möchte, ist ein Dokumentarfilm. Sie habe eine Schauspielerin entdeckt, die in mehreren historischen Hollywood-Produktionen aus den 1930er- und 40er-Jahren das Kindermädchen gebe. „Mammy“ wird diese Rolle auch abwertend genannt, Hattie McDaniel und Louise Beavers zum Beispiel wurden auf diese Weise bekannt. Die Bezeichnung führt in die Kolonialzeit zurück, als Sklavinnen die Erziehung weißer Kinder übernehmen mussten. In den Abspännen der Filme würde die Schauspielerin, auf die Cheryl aufmerksam geworden ist, aber wie viele andere ohne Namen bleiben. Nur als „The Watermelon Woman“ findet sie Erwähnung in den Credits. Cheryl begibt sich auf die Suche nach ihr, befragt Menschen auf der Straße, Freund:innen, Dragqueens, Zeitzeug:innen, Expert:innen aus der Wissenschaft (ein angesichts ihrer heutigen Äußerungen bemerkenswerter Auftritt von Camille Paglia), Familienmitglieder wie Mutter Irene, die sich erstaunlich gut mit den damaligen „places to be“ aus dem Nachtleben der „City of Brotherly Love“ auskennt.

Selbst im „too good to be true“ Center for Lesbian Information and Technology (CLIT) gibt es keine Informationen zu der Gesuchten, so kompetent Act Up-Aktivistin Sarah Schulman auch das Chaos hinter den Dokumentenmassen erklären mag. Fotografien, Filmausschnitte und weitere Hinweise deuten schließlich darauf, dass es sich bei der Unbekannten um Fae Richards handeln müsse, die häufig als Sängerin in Nachtclubs auftrat und möglicherweise eine Beziehung zu Martha Page pflegte – der weißen Regisseurin von einem der Filme, in denen die Gesuchte zu sehen war.

Waren die privaten Verkuppelungsversuche von Freundin Tamara bislang wenig erfolgreich, so entwickelt Cheryl zunehmend ein Interesse für die Videothekskundin Diana (Guinevere Turner), deren Zungenküsse Ablenkung verschaffen. Was zur „hottest dyke sex scene ever recorded on celluloid“ führte, wie Jeannine DeLombard im Philadelphia City Paper die Szene beschrieb. So heiß, dass das US-amerikanische Repräsentantenhaus sich ob der möglichen Förderung von anstößigen und „possibly pornographic“ Filmen durch Steuergelder einschaltete. „The Watermelon Woman“ sorgt für eine Vertiefung der bereits durch die Recherchen aufgeworfenen Fragen nach „race relations“ und inbesondere lesbischen „interracial relationships“. Wie kann eine Liebe auf Augenhöhe möglich sein, wenn sie nicht außerhalb, sondern innerhalb von Machtverhältnissen steht? Wer dient möglicherweise wem als Fetischobjekt? Können wir einander vertrauen, wenn wir uns begehren?

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In der Freund:innenschaft zwischen Cheryl und Tamara kriselt es deswegen, die „white girls“ Diana und Martha drängen in die Szene und drohen, die parallelen filmischen Realitäten zu übernehmen. Dabei soll es doch diesmal gar nicht um sie gehen! In der Konzentration auf die Suche nach Fae „The Watermelon Woman“ Richards muss sich Cheryl folglich immer wieder mit ihrem Schwarz-sein auseinandersetzen – und mit dem, was es bedeutet, als Filmemacherin eine eigene Stimme zu entwickeln. Weil es das eben irgendwie nicht gewesen sein kann, einfach als lesbische Version von Spike Lee zu gelten, wie es Dunye nach der Veröffentlichung ihres Debüts passierte. „I’m gonna be the one who says: I am a Black lesbian filmmaker, who’s just beginning“, stellt Cheryl gegen Ende des Filmes fest, „but I’m going to say a lot more and have a lot more work to do.“ Doch mit dieser Standortbestimmung, die uns zum Anfang zurückführt, diesem Plädoyer zur Unabgeschlossenheit, endet es passenderweise bei Dunye nicht. Stationen eines Lebens will der Abspann erzählen, von diesem einen Leben nämlich der Fae Richards, die wir kennenlernen sollten. Bloß hat es sie in der Form, wie sie uns präsentiert wird, nie gegeben.

„Sometimes you have to create your own history“, ist an einer Stelle in „The Watermelon Woman“ kurz zu lesen. Der Film bringt Elemente aus Spiel- und Dokumentarfilmen zusammen, um sich in letzter Konsequenz ganz überdeutlich als Mockumentary zu offenbaren. Die Filmszenen und eingeblendeten Fotos wurden mit der Schauspielerin Lisa Marie Bronson anhand von Aufnahmen Schwarzer Schauspielerinnen aus dem Library of Congress nachgestellt, für die Lizenzen der Originale fehlte das Geld, sodass sie nicht im Film zu sehen sind. Die entstandenen 82 Bilder, angefertigt von der Fotografin Zoe Leonard, wurden international ausgestellt und als Buch veröffentlicht. Über das Kostüm und das Make-up, die Qualität des Papiers und ihre Beschriftung imitieren sie ein Leben, das es so nicht gab – eine Zeit, von der keine Dokumente zeugen können, weil die Körper, um die es geht, darin ausgespart wurden.

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In Anbetracht solcher Leerstellen der Geschichte entwickelte die Literaturwissenschaftlerin Saidiya Hartman 2008 die Idee der kritischen Fabulation. „Indem ich mit den Grundelementen der Geschichte spielte und sie neu anordnete, indem ich die Abfolge der Ereignisse in unterschiedlichen Geschichten und aus verschiedenen Blickwinkeln neu darstellte, habe ich versucht, den Status des Ereignisses in Frage zu stellen, die überlieferte oder autorisierte Darstellung zu verschieben und mir vorzustellen, was hätte geschehen oder gesagt oder getan werden können“, notiert Hartman in ihrem berühmten Essay „Venus in Two Acts“ zur Sklaverei im Atlantik und der Unmöglichkeit von Wissen.

Denn die Archive bleiben verloren. Nicht ihre Zugänge sind es, die verschüttet daliegen – da gibt es nichts in ihnen, was sich finden ließe und Ruhe verspricht. Die Gespenster ziehen weiter, die Welt, wie wir sie uns wünschen, bleibt „under construction“. „The Watermelon Woman“ hat das 1996 verstanden und ruft dazu auf, sich leidenschaftlich dem Zuhören, Erzählen und Fabulieren von Geschichten hinzugeben. Zwischen einer „Black sapphic genealogy“ und den „plantation memories“ erfindet Dunye sich und das, was Kino sein könnte. Persönlich ist das allemal, intersektional, cheeky, cinephil, bestens informiert und witzig allerdings auch.



The Watermelon Woman
von Cheryl Dunye
US 1996, 84 Minuten, FSK 18,
englische OF mit deutschen & englischen UT

Als DVD und VoD

 

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