The Rocky Horror Picture Show (1975)
DVD/VoD
50 Jahre queerer Kult: 1975 kam „The Rocky Horror Picture Show“ in die Kinos dieser Welt – und kaum jemand wollte das sehen. Über die Jahre wurde der Film zum Kult, zum Klassiker, zur Legende. Was als wilde Hommage an B-Movies gedacht war, wurde zu einem Symbol der Freiheit, des Andersseins und der queeren Selbstermächtigung. Mit Netzstrümpfen, Lippenstift und mitreißender Rock-’n‘-Roll-Attitüde sprengte der Film Genregrenzen und gesellschaftliche Normen. Und ermutigte Generationen dazu, Träume Wirklichkeit werden zu lassen: „Don’t dream it – be it“. Maximiliam Breckwoldt über einen „geradezu körperlich gewordenen Film, der die klassische Anordnung des Kinos aufbricht und es einem erlaubt, Teil des Geschehens zu werden“.

Bild: Thalia
From Transsexual, Transylvania, with Love
„The Rocky Horror Picture Show“ beginnt mit roten Lippen und gefletschten Zähnen auf schwarzem Grund. Wir hören eine geschlechtslose Stimme, die von der queeren Liebe fürs Kino singt: „And Flash Gordon was there in silver underwear (…) I really got hot when I saw Janette Scott fight a Triffid that spits poison and kills“. Während der Liedtext einerseits mittels Referenzen auf ikonische B-Movies wie „Flash Gordon“ (1936) und „Die Blumen des Schreckens“ (1963) die fantastische Stimmung der nun folgenden Horror Show etabliert, nimmt er anderseits auch die Handlung vorweg: Da ist ein:e mysteriöse:r Dr. X und eine Kreatur, der Leben geschenkt wird. Da sind die Protagonist:innen Brad und Janet, die gegen übermächtige Wesen kämpfen müssen – zunächst noch gegen Androiden, später haben sie es dann mit ungehörigen Aliens vom Planeten Transsexual zu tun. Bereits die erste Szene stimmt uns also auf eine sinnliche Reise ein, die versteckte Begierden aus dem Verborgenen in den Schein der Projektorlampe befördert.
Doch bevor es in die angekündigte nächtliche Welt kultiger Transgressionen geht, nimmt der Film zuerst eine Bestandsaufnahme des gutbürgerlichen Konservatismus der 1950er Jahre vor: Brad und Janet sind das perfekte All-American-Liebespaar. Brad ist hochgewachsen, schlaksig und trägt Brille – definitiv kein Jock, aber auch zu selbstbewusst für einen Nerd. Janet ist pretty in Pink. Beide sind jung, gebildet, enthaltsam und nutzen die romantische Kulisse der Hochzeit eines befreundeten Paars dazu, sich auch endlich zu verloben. Das einzige, was ihnen zu der Vollendung ihres Glücks noch fehlt, ist der Segen ihres früheren Professors, in dessen Seminar sie sich einst kennengelernt haben, genauso wie das befreundete Brautpaar. Also machen sich Brad und Janet in der verregneten Nacht auf den Weg, um Dr. Everett Scott auf der anderen Seite des Waldes zu besuchen. Dr. Scotts wissenschaftliches Fachgebiet bleibt zwar unerwähnt, er scheint aber recht erfolgreich darin zu sein, vermeintlich glückliche Hetero-Couplings zu stiften.
Die Handlung von „The Rocky Horror Picture Show“ ist angelehnt an James Whales Horrorfilm „The Old Dark House“ (1932), dessen filmhistorische Relevanz im Gegensatz zu Whales „Frankenstein“ (1931) und dessen Fortsetzung „Frankensteins Braut“ (1935) wohl aufgrund seiner recht vordergründigen Camp-Attitüde erst relativ spät entdeckt wurde. In „The Old Dark House“ erzählt der offen schwule Regisseur Whale von einem unglücklichen Hetero-Pärchen, dass in einer verregneten Nacht von der Straße abkommt und Zuflucht im Schloss der isoliert lebenden Femm-Familie sucht. Ganz im Stil klassischer Gothic-Erzählungen sind die Gastgeber:innen mehr als nur aus der Zeit gefallene schrullige Adlige. Sie sind vielmehr derart weit dem Bereich gesellschaftlich akzeptierbarer Normen entrückt, dass sie zur Gefahr für ihre Gäste werden.
„Rocky Horror“ greift diese narrative Grundstruktur nun auf und kehrt den queeren Subtext nach außen, der sich in Whales Film insbesondere in der sanften Zuneigung des stummen Butlers Morgan zu dem auf dem Dachboden eingesperrten Pyromanen Saul Femm ausdrückt. Nachdem Brad und Janet im nächtlichen Regensturm auf der Straße stecken bleiben und sich zu Fuß auf die Suche nach einem Ort machen, wo sie die Nacht über bleiben können, finden sie sich plötzlich vor einem neugotischen Schloss wieder. In ihr nun folgendes Duett „There’s a Light (Over at the Frankenstein Place)“ stimmt, als sie durch das schmiedeeiserne Tor mit der Aufschrift „Beware“ treten, eine dritte Stimme ein. Die Stimme gehört zu den roten Lippen des Anfangsbildes – und zu einer Person im schwarzen Frack mit blassem Gesicht und ausgedünnten blonden Haaren, die Riff Raff heißt und der Butler des Hauses ist. Riff Raff wird vom Schöpfer des Musicals „The Rocky Horror Show“ (1973), der Vorlage des Films, gespielt: Richard O’Brien. Seine androgyne Stimme singt melancholisch:
The darkness must go down the river of night’s dreaming
Flow morphia slow, let the sun and light come streaming
Into my life, into my life

Bild: Thalia
Im Schutz der Nacht, abseits der Blicke der Menschen, kann Riff Raff zu seinem Begehren stehen. Es ist auch eine Prophezeiung: das Versprechen, verändert zu werden und zu sich selbst zu finden, wie Brad und Janet bald an den eigenen Leibern erfahren werden.
Nachdem das Paar von Riff Raff und dessen Schwester Magenta ins Schloss gelassen worden sind, wird ihnen klar, dass es sich hierbei nicht einfach um die Jagdhütte von ein paar reichen Weirdos handelt. Im Ballsaal tummelt sich eine Gruppe höchst diverser Gäste. Alles ist festlich geschmückt, man füttert sich gegenseitig mit feinsten Häppchen und tanzt bis zum Umfallen den „Time Warp“! Das (vermeintlich) heterosexuelle Liebespaar befindet sich in der Gesellschaft jener merkwürdigen Weltraumreisenden aus dem Prolog des Films, die im Schloss zusammengekommen sind, um einen großen Erfolg des Hausherrn zu feiern.
Und gerade als Brad und Janet sich höflich verabschieden wollen, weil es ihnen in dem Schloss dann doch etwas zu queer ist, werden sie von eben diesem daran gehindert. Dr. Frank N. Furter erscheint im Dracula-Mantel, nur um darunter zugleich ein Outfit bestehend aus einem glitzernden Korsett, Netzstrümpfen und einer Perlenkette zu offenbaren – mutmaßlich eine Referenz auf Helmut Bergers Drag-Auftritt in Viscontis „Die Verdammten“ (1969), der sich wiederum an Marlene Dietrich in „Der blaue Engel“ (1930) orientiert. Das Make-up für Frank-N.-Furter-Darsteller Tim Curry stammt von Pierre La Roche, der vorher bereits David Bowie als Ziggy Stardust und Aladdin Sane stylte. Glamrock pur also – und eine eindeutige queere Codierung! An anderer Stelle trägt Frank dann einen Laborkittel, auf dem äußerst prominent ein nach oben ausgerichtetes pinkes Dreieck prangt – also das Symbol der schwulen Befreiungsbewegungen der 1970er Jahre, das sich wiederum auf den nach unten ausgerichteten Rosa Winkel bezieht, mit dem die Nazis homosexuelle Häftlinge in den Konzentrationslagern kennzeichneten. Neben dieser unmissverständlichen Symbolsprache in der Ausstattung macht auch Tim Currys exaltiertes, lustvolles und sexuell aufgeladenes Spiel Frank zu einer der ikonischsten Figuren der queeren Filmgeschichte.
Don’t get strung out by the way I look
Don’t judge a book by its cover
I’m not much of a man by the light of day
But by night I’m one hell of a lover
I’m just a sweet transvestite
From Transexual, Transylvania, ha ha

Bild: Thalia
Im weiteren Verlauf des Films werden wir Zeug:innen, wie Frank seinen Traum erfüllt und sich mit dem blonden, einfältigen Hunk Rocky den perfekten, stummen Lover erschafft; wie er zuerst Janet und dann Brad verführt; und wie Janet, im Aufblühen ihrer sexuellen Lust, Rocky ihm streitig macht.
Bei alldem zieht uns Frank immer wieder verschwörerisch in das Geschehen hinein, indem er die filmische Illusion bricht. Als Brad und Janet ihm erzählen, dass sie im Wald stecken geblieben sind, fährt die Kamera auf das Gesicht von Frank, der uns wissend zuzwinkert. Seine selbstbewusste Freude an der Grenzüberschreitung und dem offenbaren Wissen, dass das Publikum an ihr Teil haben kann, lässt auch die abgründigen Elemente des Films amüsant werden. So tut es auch Franks Anziehungskraft keinen Abbruch, dass er dem von Rocklegende Meat Loaf gespielten Rockabilly-Biker Eddy, der zuvor sein Lover war, einen Teil des Gehirns entnimmt und dann Rocky einpflanzt – nur um Eddy daraufhin zu ermorden und sein Fleisch auf Rockys Geburtstagsparty als Braten anzubieten.
What a guy
Makes you cry
Und I did
Als selbstbewusste Monsterfigur, die ihre Selbsterfüllung in der Grenzüberschreitung findet, steht Frank neben Babs Johnson aus John Waters „Pink Flamingos“ (1972), ihrer Schwester im Geiste, im krassen Kontrast zu den queer codierten Bösewichten der Zeit des Hays-Codes in den USA. Durch diesen restriktiven, moralistischen Kodex, den staatliche Behörden der Filmindustrie vorgeschrieben hatten und der offiziell von 1934 bis 1968 in Kraft war, wurde die direkte Darstellung von homosexuellen Figuren untersagt. Nicht-heteronormatives Begehren konnte in Filmen dieser Zeit oft nur über die Figur eines Monsters erzählt werden, das am Ende von den heterosexuellen „Guten“ besiegt werden musste. In „The Old Dark House“ beispielsweise wird der latent queer-codierte Pyromane Saul getötet, als er versucht, das Haus der Femm-Familie anzuzünden und sich damit auch von deren christlichen Moralvorstellungen zu befreien.
Schließlich wird auch Frank N. Furter ermordet. Von Riff Raff, dem so treuen Diener, der mit seiner Schwester und – um die Bingokarte schockierender Amoralitäten vollzukriegen – Geliebten Magenta endlich in die Heimatwelt, auf den Planeten Transsexual im System Transylvania, zurückzukehren will. Nachdem Brad und insbesondere Janet ihr queeres Verlangen erst realisiert, dann akzeptiert und schließlich verinnerlicht haben, kann Frank, der Verführer, nicht weiterleben.

Bild: Thalia
Somit kehren zum Schluss von „Rocky Horror“ die transgressiven Elemente ganz wie im klassischen Horrorfilm dahin zurück, wo sie vermeintlich hingehören: ins unsichtbare Außerhalb mit einem sicheren Abstand zur „normalen“ Gesellschaft. Die Aliens verschwinden; nur Brad, Janet und Dr. Scott bleiben zurück. Doch anders als im klassischen Horrorfilm bedeutet der Sieg über das Monster keine Rückkehr zur altbekannten Normalität. Während „The Old Dark House“ mit einem Heiratsantrag im Sonnenschein endet, das heteronormative Versprechen in Folge der Krise also erfüllt wird, sehen wir Brad, Janet und Dr. Scott in „Rocky Horror“ stattdessen ziellos durch dichten Nebel kriechen. Ihre Geschichte endet mit den Worten: „And crawling on the planet’s face, some insects called the human race. Lost in time, and lost in space. And meaning.“
Die Sicherheit des Normalzustands ist in Schieflage geraten. Frank stirbt, sein Erbe jedoch lebt weiter. Und das nicht nur in Brad und Janet, sondern auch im Publikum, das dem Film seit nunmehr 50 Jahren liebt und ihm so anhaltende Relevanz verleiht. „Rocky Horror“ ist ein geradezu körperlich gewordener Film, der die klassische Anordnung des Kinos aufbricht und es einem erlaubt, Teil des Geschehens zu werden. Die Anziehungskraft und der Kultcharakter des Films drücken sich auch dadurch aus, dass „Rocky Horror“-Screenings noch heute zu Happenings werden: Es wird laut gelacht, mitgesungen und -getanzt, es wird Reis geschmissen und es werden Wasserpistolen abgefeuert. Der Saal wird zum Safe Space, in dem man für eine Dauer von 100 Minuten ein Transylvanian unter Gleichgesinnten ist. In diesem Fortwirken ist „Rocky Horror“ vielleicht auch eines der letzten lebendigen Relikte des queeren Glam Rock der Siebziger, in dem Genderbending groß geschrieben wurde. Und spätestens, wenn man nach dem Screening an die frische Luft tritt und das Klingen dieses sinnlichen Tagtraums noch in den Ohren hat, wird einem bewusst: Man ist vielleicht doch nicht so alleine damit, sich auf diesem heteronormativen Planeten Erde fremd zu fühlen.
The Rocky Horror Picture Show
von Jim Sharman
US/GB 1975, 100 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT
Auf DVD und VoD