Die Konsequenz (1977)

Die Konsequenz (1977)

Wolfgang Petersens kontroverse Verfilmung des autobiografischen Romans von Alexander Ziegler mit Jürgen Prochnow und Ernst Hannawald in den Hauptrollen wurde 1978 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Im Jahr zuvor hatte der Bayerische Rundfunk die Ausstrahlung in der ARD noch boykottiert. „Die Konsequenz“ erzählt die Geschichte des Schauspielers Martin, der sich im Gefängnis in Thomas, den Sohn eines Aufsehers verliebt. Nach Martins Entlassung ziehen die beiden zusammen, Thomas Eltern erzwingen daraufhin dessen Einweisung in eine Erziehungsanstalt. Martin muss miterleben, wie der sensible junge Mann dort mehr und mehr zerbricht. Andreas Wilink über einen Film, der die düstere gesellschaftliche Realität für schwule Männer Ende der 70er nachbildet – und teilweise noch immer aktuell ist.
Misericordia

Misericordia

Nach zehn Jahren kehrt Jérémie in seinen südfranzösischen Heimatort zurück, um an der Beerdigung des Dorfbäckers Jean-Pierre teilzunehmen. Als Teenager war Jérémie dessen Lehrling – und vielleicht noch mehr. Von Vincent, dem Sohn des Verstorbenen, wird Jérémie mit Argwohn und unterschwelligem Begehren empfangen. Die Bäckerswitwe Martine bietet ihm einen Schlafplatz an und sucht seine körperliche Nähe. Ambivalente sexuelle Spannungen erzeugt der Rückkehrer auch bei Bauer Walter und dem neugierigen Pfarrer Grisolles. Als Vincent spurlos verschwindet, fällt der Verdacht schnell auf Jérémie. Auch in seinem neuen Film „Misericordia“ spinnt Alain Guiraudie („Der Fremde am See“), der Meister der sinnlich-abgründigen Provinzerzählung, ein subtiles Netz aus gehemmter Lust und erotischen Manipulationen – und entwirrt es wieder mit skurrilen Wendungen und absurdem Humor. Fabian Schäfer über eine mythisch-spirituell aufgeladene Thriller-Komödie, die sich nicht für Genregrenzen interessiert und voll auf das Lustprinzip fokussiert.
Ludwig II. (1973)

Ludwig II. (1973)

Mit nur 18 Jahren besteigt Ludwig II. im Jahr 1864 den bayrischen Thron. Sein Interesse gilt weniger der Diplomatie als den schönen Künsten. Er wird zum großzügigen Förderer von Künstlern und Musikern, allen voran Richard Wagners. Ludwig wird von weiten Teilen seines Volks innig geliebt, ist aber vielen Politikern ein Dorn im Auge, weil er sich kaum um Regierungsgeschäfte kümmert und stattdessen riesige Prachtbauten beauftragt, die Unsummen verschlingen. Bei seiner Cousine Elisabeth „Sissi“ von Österreich findet er eine Seelenverwandte, die seine Liebe jedoch zurückweist. Sissi erkennt das Unheil, auf das ihr Cousin zusteuert, und drängt auf eine Verlobung mit ihrer Schwester Sophie. Aufgrund seiner „Verschwendungssucht“ wird Ludwig schließlich für geisteskrank erklärt und entmachtet. Er stirbt 1886 vereinsamt und unter mysteriösen Umständen am Starnberger See. Mit „Ludwig II.“ hat Luchino Visconti 1973 seine Deutschland-Trilogie abgeschlossen – und dem bayrischen Märchenkönig ein abgründiges filmisches Denkmal gesetzt. Viscontis Partner Helmut Berger glänzt als Regent, der sich zunehmend seinem homosexuellen Begehren hingibt und allmählich verfällt. Bergers Ludwig geht an einen Ort, an den ihn keiner mehr versteht, und der doch zugänglich erscheint, weil Visconti ihm nicht nur bereitwillig, sondern leidenschaftlich folgt. Carolin Weidner über ein filmisches Meisterwerk des Aufbegehren in der durchlebten Agonie.
Layla

Layla

London im Pride-Monat. Drag-Performer:in Layla tritt bei einem tristen Unternehmensevent auf, das sich Queerfreundlichkeit auf die Werbefahne geschrieben hat. Ausgerechnet hier wird Layla von dem jungen Marketing-Experten Max angeflirtet. Obwohl die beiden aus unterschiedlichen Welten kommen – Layla ist non-binär, hat palästinensische Wurzeln und lebt in einer aufregenden queeren Künstler:innen-Community; Max ist schwul, stammt aus einem konservativen britischen Elternhaus und hat vor allem Yuppie-Freunde – entwickelt sich zwischen ihnen ein regelrechter Liebesrausch. Doch als Layla versucht, sich der Lebenswelt von Max anzupassen, um für ihn „kompatibler“ zu sein, kommt es zu Konflikten. Was bedeutet es, jemanden zu lieben – und sollten wir dafür mitunter etwas von der eigenen Identität preisgeben? In „Layla“ erzählt Regisseur:in Amrou Al-Kadhi – selbst non-binär und Dragperformer:in in London mit irakischen Wurzeln – eine moderne Geschichte von zwei Menschen, die gerade wegen ihrer kulturellen, sozialen und sexuellen Differenzen zueinanderfinden und etwas Neues über sich selbst herausfinden. Anja Kümmel über ein mitreißendes Plädoyer dafür, zu sich selbst und füreinander einzustehen – allen (vermeintlichen) Erwartungen zum Trotz!
Cruising (1980)

Cruising (1980)

New York Ende der 70er Jahre: Eine brutale Mordserie erschüttert die schwule Leder- und SM-Szene, und der Täter kommt scheinbar aus den eigenen Reihen. Um die Verbrechen aufzuklären, wird der heterosexuelle Polizist Steve Burns als Lockvogel eingeschleust, da er optisch dem Typus der bisherigen Mordopfer entspricht. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Zurecht wurde William Friedkins berüchtigtem Crimethriller „Cruising“ Homophobie vorgeworfen – hassen sich darin die Schwulen doch so sehr, dass sie sich auf sadistische Weise gleich selbst umbringen. Doch für Peter Rehberg ist diese homofeindliche Botschaft so offensichtlich und lächerlich, dass eine Distanzierung nicht schwerfällt. Absolut sehenswert ist „Cruising“ noch heute, weil er ein faszinierendes Porträt der schwulen New Yorker Subkultur um 1980 zeichnet und mit einer Story voller Uneindeutigkeiten verwirrt. Über einen ambivalenten Klassiker des queeren Kinos.
Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte

Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte

In welcher Welt lebe ich? Wer bin ich? Wie möchte ich leben? Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 stellt sich die junge Fotografin Libuše Jarcovjáková genau diese Frage und versucht mit ihren Bildern den Zwängen des repressiven tschechoslowakischen Regimes zu entkommen. Sie geht auf die Straßen von Prag, in verstaubte Kneipen, zur Nachtschicht in eine Druckerei, in die Communities der Roma und vietnamesischen Migrant:innen. Schnappschüsse von Nacktheit, Sex und Alkohol wechseln sich ab mit Bildern von Lethargie und Restriktionen. Aus einem Werk von zehntausenden Negativen und dutzenden Tagebüchern hat Klára Tasovská einen poetischen Filmessay montiert. „Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“ erzählt von einem besonderen Künstlerinnenleben und einer bewegenden Reise in die Freiheit, die sich über sechs Jahrzehnte spannt und von der sowjetisch „normalisierten“ ČSSR der späten 1960er und frühen 70er über das Ost-Berlin der 80er bis ins Prag nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und von heute führt. Ab heute ist der Film im Kino zu sehen. Alexandra Seitz über die tiefschürfende (Selbst-)Beobachtung einer großen Fotografin.
Milk (2008)

Milk (2008)

Harvey und sein Partner Scott haben vom Leben in New York die Nase voll und ziehen 1972 nach San Francisco. Dort entdeckt Harvey seinen Hang zur Politik: Sein Anliegen sind die Interessen der kleinen Leute seines Viertels – und die der schwulen Community. 1977 schafft Harvey bei der Wahl schließlich den Einzug in den Stadtrat. Kaum im Amt, stößt er eine Vielzahl von politischen Initiativen an, womit er sich nicht nur Freunde macht. Sein Stadtratkollege Dan White entpuppt sich schließlich als erbitterter Todfeind. Mit dem Biopic „Milk“ setzte Gus Van Sant dem Politiker Harvey Milk, der 1977 als erster offen schwuler Mann in ein wichtiges Amt gewählt wurde, ein filmisches Denkmal. Wenige Tage vor der Bundestagswahl erinnert Stefan Hochgesand an einen schwulen Wahlkämpfer, dessen politische Botschaft auch über 45 Jahre nach seiner Ermordung nichts an Relevanz verloren hat – und an einen queeren Meilenstein des Hollywoodkinos.
Baby

Baby

In der Tradition von komplexen Szenefilmen wie „My Private Idaho“ und „Sauvage“ erzählt „Baby“ die mitreißende Geschichte eines queeren Erwachsenwerdens auf den Straßen von São Paulo: Nach seiner Entlassung aus dem Jugendknast lernt der 18-jährige Wellington den 42-jährigen Sexworker Ronaldo kennen. Der erfahrene Escort nimmt den jungen Mann unter seine Fittiche und zeigt ihm das Rotlichtmilieu, in dem auch Wellington unter dem Namen „Baby“ zu arbeiten beginnt. Regisseur Marcelo Caetano („Body Electric“) nähert sich den Figuren und Schauplätzen seines Films ohne Vorurteile und mit großer Empathie an und feiert die Solidarität zwischen Außenseitern, ohne die Schattenseiten des Milieus zu kaschieren. Im Februar ist „Baby“ in der Queerfilmnacht auf der großen Leinwand zu sehen. Christian Lütjens über eine packende Coming-of-Age-Reise zwischen Glück und Abgrund, Halt-Finden und Abstürzen.
O Fantasma (2000)

O Fantasma (2000)

Sérgio gehört zu den Unsichtbaren, die nachts in Lissabon den Müll aufsammeln. Tagsüber lebt er vor allem in seinen erotischen Fantasien. Er hat schnellen Sex mit Fremden, von Dominanz und Auslieferungsspielen geprägt. Er lebt wie ein Hund, redet nicht, handelt instinktiv und nimmt sich, was er will. Eines Nachts trifft er auf einen jungen Motorradfahrer – und richtet all seine Fantasien und Begierden auf ihn. Es folgt Sérgios vollständige Verwandlung in ein Fantom: asozial, gefährlich, tierhaft. Die innere Veränderung geht mit dem Äußeren einher: ein von schwarzem Latex umhüllter, durch und durch sexualisierter Körper geht auf Streifzüge durch die Stadt. Der Debütfilm von João Pedro Rodrigues („Der Ornithologe“, „Irrlicht“) folgt konsequent dem fiebrigen Trip seiner Hauptfigur durch die Randgebiete der menschlichen Existenz und kümmert sich dabei wenig um Psychologie oder Erklärungen: Die Welt des Fantoms ist durch und durch physisch, unmoralisch und wild. Janick Nolting über ein filmisches Meisterwerk, das einen Einblick in die grenzenlosen Möglichkeiten des queeren Kinos bietet. und wild. Yannick Nolting über ein filmisches Meisterwerk, das einen Einblick in die beinah grenzenlosen Möglichkeiten des queeren Kinos bietet.
Michael (1924)

Michael (1924)

Carl Theodor Dreyers und Thea von Harbous Drehbuch zum Stummfilm „Michael“ (1924) geht auf den gleichnamigen Roman des schwulen dänischen Autors Herman Bang (1857-1912) aus dem Jahr 1904 zurück. Dreyers Film verbindet psychologische und soziale Aspekte, indem er über den Generationenkonflikt zwischen einem alternden Künstler und seinem Ziehsohn vom Niedergang der aristokratischen Lebensweise erzählt. Über vielsagende Blicke und Gesten sowie extravagante Kunstobjekte und Dekors zeigt der Film aber auch die unerfüllte Liebe eines Mannes zu einem anderen. Damit gilt „Michael“ als einer der wenigen Stummfilme, die relativ offen homosexuelles Begehren behandelt haben. Der Film galt lange als verschollen, erst in den 1950er Jahren wurde eine Kopie im Staatlichen Filmarchiv der DDR aufgefunden. Maximilian Breckwoldt über einen frühen Klassiker des queeren Kinos, der sich jetzt in restaurierter Fassung als DVD und VoD wiederentdecken lässt.