Mutt

TrailerQueerfilmnacht

An einem Sommertag in New York scheint für den jungen trans Latino Feña alles auf einmal zu passieren: Papa Pablo kommt aus Chile zu Besuch und sucht plötzlich Kontakt, er begegnet nach monatelanger Funkstille seinem Exfreund John wieder und dann steht auch noch seine 13-jährige Halbschwester Zoe vor der Tür. Doch seit Feñas Transition haben sich die Dynamiken verändert. Wie viel Nähe zu den Menschen des alten Lebens fühlt sich noch richtig an? Authentisch und mitreißend schildert Vuk Lungulov-Klotz in seinem Debütfilm „Mutt“, der im Juni der Queerfilmnacht zu sehen ist, 24 Stunden im Leben eines jungen trans Mannes. Lío Mehiel verkörpert Feñas vielschichtiges Dazwischensein facettenreich und ausdrucksstark – und wurde dafür in Sundance mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Barbara Schweizerhof über einen Film, der vor allem durch seine feine Darstellung zwischenmenschlicher Dynamiken beeindruckt.

Foto: Salzgeber

Das Eigene und die anderen

von Barbara Schweizerhof

Dem einzelnen Vorfall von Transphobie kann Feña noch ganz gut die Stirn bieten. Etwa wenn die von Kokain berauschte Cousine seines Exfreunds dreist danach fragt, ob er nicht einen Penis haben wollte, um sich als „vollwertiger Mann“ zu fühlen. Seine knappe Antwort – „dafür brauche ich keinen Schwanz“ – lässt einen trotzigen Stolz darauf erkennen, dass Feña einem eigenen, selbst bestimmten Weg folgt und eben nicht den Vorstellungen der anderen. Es ist die Häufung der Vorkommnisse, die wiederholten kleinen Demütigungen von „Deadnaming“ und Ignoranz, die seinen Alltag zu einer Art Hindernislauf macht und ihn manchmal an die Grenze der Erschöpfung bringt.

Der chilenisch-serbische Regisseur Vuk Lungulov-Klotz erzählt davon betont exemplarisch, wenn er in seinem Spielfilmdebüt „Mutt“ seine Hauptfigur in einem Tagesablauf von 24 Stunden zeigt. Es beginnt mit einem Abend unter Freund:innen in einer Bar in Brooklyn. Feña ist zunächst der gut gelaunte Mittelpunkt, doch die Stimmung wird gestört, als er Exfreund John erblickt, mit dem er vor seiner Transition zusammen war und von dessen Rückkehr nach New York er nichts wusste. Außerdem hat John eine Frau an seiner Seite. Der folgende Blickwechsel und die Begrüßung zwischen den beiden Exliebhabern ist trotzdem keinesfalls feindlich. Zumal sich die Frau als besagte Cousine herausstellt. Ihre unwillkommenen, aber naiven Fragen geben Feña die Möglichkeit, ein paar Dinge auch gegenüber John offen auszusprechen. Im weiteren Verlauf der Nacht finden er und John sich zu zweit wieder, beim zaghaften sich gegenseitig Auf-den-neuesten-Stand-Bringen und dann, befördert von einem plötzlichen Regenguss, der sie zur Intimität eines Kleiderwechsels in nächster Nähe zwingt, beim Aufleben-Lassen alter Gefühle füreinander.


Was in der Nacht noch romantisch und angenehm vertraulich erschien, etwa Johns zärtliche Neugier für Feñas Narben nach Entfernung der Brüste, endet am Morgen danach in erneutem Befremden und Verletzungen. Und das ist nicht der einzige Gefühlskonflikt, den Feña an diesem Tag meistern muss: an seinem Arbeitsplatz taucht unangekündigt die kleine Schwester auf und verlangt Aufmerksamkeit. Die 14-jährige Zoe lebt bei der Mutter, zu der, wie sich herausstellt, Feña mit Beginn der Transition die Beziehung abgebrochen hat. Und für abends hat sich Vater Pablo angekündigt, der aus Chile anfliegt, und trotz größerem Wohlwollen für Feñas Trans-Identität es immer noch nicht lassen kann, ihn „Fernanda“ zu nennen.

Der Film konstruiert seinen Plot um die bei 24-Stunden-Erzählungen üblichen Missgeschicke und Peinlichkeiten herum: Zoe erlebt ihre erste Monatsblutung, aus Versehen schließen sich die Geschwister aus der Wohnung eines Freundes aus und der Mangel an Bargeld zwingt die beiden zum Schwarzfahren, wobei Feña sich beim Überspringen des Drehkreuzes verletzt. Um den Vater vom Flughafen abholen zu können, muss Feña doch wieder auf John zurückgreifen, um sich sein Auto zu leihen.

Foto: Salzgeber

Was sich auf dem Papier noch etwas schematisch wie ein Drehbuchentwurf lesen mag, wird dank der Regie von Lungulov-Klotz und der Kameraarbeit von Matthew Pothier zu einem stimmungsvollen Porträt von viel mehr als nur von Feñas Transition. Zwar geht es zentral um ihn und die zahlreichen Widrigkeiten, mit denen er es im Bemühen, er selbst zu sein, zu tun bekommt. Aber um ihn herum, in seinem ganzen Beziehungsgeflecht, finden weitere Transformationen und Verwandlungen statt, die ihrerseits auf ihn zurückwirken.

Die Enge des von Pothier eingesetzten Normalbild-Formats hegt die Perspektive stark auf Hauptfigur Feña und sein Erleben ein. Die Konzentration macht gleichzeitig spürbar, wie stark sich jede Identität aus den Gefühlen speist, die im Austausch mit anderen entstehen. In allen drei Beziehungen, die Feña in den gezeigten 24 Stunden des Films neu definiert – sei es zur kleinen Schwester, zum ehemaligen Geliebten oder zum Vater –, stellt sich heraus, dass die Tatsache seines „trans Seins“ keineswegs der allein bestimmende Punkt ist. So hadert die kleine Schwester nicht mit Feñas vermeintlich „neuer“ Geschlechts-Identität, sondern mit der Tatsache, im Stich gelassen worden zu sein. Belehrungen übers Trans-Sein braucht sie nicht: die geradezu paternalistische Frage von Feña, ob Zoe denn wisse, was das ist, beantwortet sie trotzig damit, selbst einen Freund zu haben, der trans sei. Am Ende des Tages steht so etwas wie die Erneuerung ihres geschwisterlichen Pakts.

Foto: Salzgeber

Mit Exfreund John ist die Sache komplizierter. „Mutt“ vollzieht das melancholische Wechselspiel zwischen zwei Menschen, die sich nahe waren, aber eben nicht alles voneinander wussten. John und Feña hängen beide an dieser Vertrautheit und müssen sie doch aufgeben, um zu einer anderen, freundschaftlichen Nähe zu finden. Und obwohl sie sich gegenseitig anschuldigen, zeigt der Film implizit, dass hier beide einen Anteil am Scheitern der Kommunikation haben. Man nehme ihn seit der Transition als glücklicher war, stellt Feña beim Wiedersehen mit John in den Raum. Um zu begreifen, dass das kein Angriff auf ihn selbst darstellt, braucht John vielleicht länger als die erzählten 24 Stunden.

Die Beziehung zum Vater hebt sich davon noch mal ab: Hier sieht sich Feña gezwungen, nicht etwa die latente Abwehr oder Abgrenzung, sondern die umarmende, liebevolle Fürsorge abzuwehren, mit der Pablo darauf besteht, sich um „seine Tochter“ Sorgen zu machen. Er will „ihr“ Bestes und muss erst drauf gestoßen werden, was er dabei übersieht. In schöner Beiläufigkeit erzählt der Film, was ihm dabei vielleicht hilft: Es ist ein Blick auf ein altes Foto, das in Feñas Zimmer steht und ihn, Pablo, als jüngeren Mann mit langen, dunklen Haaren, zeigt. Der inzwischen grau Gewordene muss sich eingestehen, dass auch das Älterwerden eine bestimmte, wenn auch ganz andere Art von Transition darstellt.




Mutt
von Vuk Lungulov-Klotz
US 2023, 87 Minuten, FSK 12,
englisch-spanische OF mit deutschen UT

Im Juni in der Queerfilmnacht