Plötzlich alles anders

Call Me by Your Name

Call Me by Your Name

Luca Guadagninos Verfilmung von André Acimans gleichnamigen Roman aus dem Jahr 2007 erzählt vielschichtig, handwerklich makellos und tief berührend die Geschichte einer ersten Liebe im Italien Anfang der 80er. Seit „Brokeback Mountain“ (2005) war keine schwule Romanze mehr so anschlussfähig für Heteros, wie die vielen Auszeichnungen für den Film, vier Oscar-Nominierungen und die riesige internationale PR-Kampagne von Sony Pictures belegen. „Call Me by Your Name“ ist aber auch ein explizit queeres Erweckungsdrama, das unsere ganz eigenen Erfahrungen von Begehren und Angst, Erinnerung und Verleugnung, Lust und Trauer filmisch durchdekliniert. Heute startet der Film endlich auch in den deutschen Kinos. Von Christian Weber.
Sieben Filme des Jahres

Sieben Filme des Jahres

2017 war ein großartiges Jahr für das nicht-heterosexuelle Kino! Nachdem im Februar mit Barry Jenkins' Meisterwerk "Moonlight" erstmals – und trotz einiger Bühnenunruhen – ein offen schwuler Film mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet worden war, liefen fast im Monatsrhythmus mitreißende queere Filme in den deutschen Kinos an: von Sebastián Lelios mit dem Teddy ausgezeichnetem Porträtfilm "Eine fantastische Frau" über die transsexuelle Marina und Francis Lees rauhem Liebesfilm "God's Own Country" bis zu Robin Campillos in Cannes gefeiertem Aids-Aktivismus-Drama "120 BPM". Wir haben für Euch unsere sieben Lieblingsfilme zusammengetragen und stellen Sie in Schlüsselmomenten und den Worten unserer Autor_innen noch einmal vor. Die Reise durch das queere Filmjahr führt uns in ein Dinner in Miami und in die Hochmoore Schottlands, auf eine Polizeistation in Santiago de Chile und die Untiefen der Wälder Nordportugals, in die Wildnis Montanas, ins gentrifizierte Brooklyn und in ein Schlafzimmer in Paris.
Der Moment: Teorema

Der Moment: Teorema

Christoph Klimke, Jahrgang 1959, lebt als Schriftsteller und Dramaturg in Berlin. Zuletzt sind von ihm der Gedichtband "Fernweh" (2013) sowie ein langer biographischer Essay zum politisch-künstlerischen Engagement Pier Paolo Pasolinis erscheinen, "Dem Skandal ins Auge sehen" (2015). Auch Klimkes persönlicher filmischer Moment führt ins Werk des 1975 ermordeten italienischen Dichters und Filmemachers: zu "Teorema" (1968), Pasolinis visionärer Filmparabel über einen rätselhaften jungen Mann mit strahlend blauen Augen, der sämtlichen Mitgliedern einer Mailänder Industriellen-Familie die Köpfe verdreht.
Concussion

Concussion

Durch eine heile, aber nicht wirklich eingespielte Vorstadt-Regenbogen-Familie geht ein kleiner Riss. Ausgelöst durch eine Gehirnerschütterung („concussion“), begreift eine der beiden Mütter in Stacey Passons abgründigem Debüt, dass ihre Welt zu klein geworden ist, dass eine größere aber vielleicht auch nicht so anders aussehen würde. Der von der New-Queer-Cinema-Veteranin Rose Troche produzierte Film wurde auf der Berlinale 2013 mit einem Special-Teddy ausgezeichnet und steht für ein noch immer hochaktuelles Thema im nicht-heterosexuellen Kino: dass Glücklichwerden auch nach der Emanzipation und rechtlichen Gleichstellung kein Automatismus ist. The Moms are not all right. Von André Wendler.
God’s Own Country: Interview mit Francis Lee

God’s Own Country: Interview mit Francis Lee

Morgen startet "God's Own Country", das vielgelobte und -prämierte schwule Liebesdrama des Engländers Francis Lee, in den deutschen Kinos. Patrick Heidmann hat sich für sissy vorab mit Lee über dessen eigene Jugend in den rauen Berglandschaften von Yorkshire unterhalten, über die Arbeit mit seinen ungemein wandlungsfähigen Hauptdarstellern und warum der oft bemühte Vergleich mit "Brokeback Mountain" auf seinen Film nur bedingt zutrifft.
Die Farbe des Winters

Die Farbe des Winters

Neu auf DVD: Die 21-jährige Filmstudentin Lucia leidet unter Panikattacken und Albträumen. Als sie für die Winterferien in ihre Heimatstadt Salta zurückkommt, geht es ihr zunächst schlechter. Auch hier weiß niemand, was die Ängste auslöst. Da lernt Lucia in einem Club die bildhübsche Olivia kennen. Zusammen mit ihr hat Lucia plötzlich keine Angst mehr... In ihrem autobiografisch eingefärbten Debütfilm erzählt die junge argentinische Regisseurin und Hauptdarstellerin Cecilia Valenzuela Gioia davon, mit welch überwältigender Furcht die Suche nach der eigenen Identität oft verbunden ist – und wie die erste große Liebe einem den Mut geben kann, zu sich selbst zu stehen. Ein berührend zurückhaltender Film über einen entscheidenden Farbwechsel. Von Natália Wiedmann.
Take Me for a Ride

Take Me for a Ride

Ein Lichtstrahl, der durch Baumkronen bricht; ein Sommerkleid, das im Wind weht; nackte Füße, die über feuchtes Laub wandern; das Rauschen des Meeres. Für ihr sinnlich-konzentriertes Coming-of-Age-Drama über zwei Einzelgängerinnen, die zu einem intimen Paar verschmelzen, findet die junge Regisseurin Micaela Rueda von Beginn an eine naturverbunden betörende Filmsprache. Die beiden Hauptdarstellerinnen Samanta Caicedo und María Juliana Rángel entwickeln die Beziehung zwischen Sara und Andrea ohne viele Worte, sondern mit zärtlichen Blicken, Küssen, Berührungen. Ein Film der leisen Zwischentöne und großen Empfindungen. Von Jessica Ellen.
Below Her Mouth

Below Her Mouth

Im März in der queerfilmnacht: Lesbische Erotik aus der richtigen Perspektive. Dass “Below Her Mouth” von einem reinen Frauenteam gedreht worden ist, ist vor allem deshalb wichtig, weil er sich traut, offen und selbstbewusst viel lesbischen Sex zu zeigen. Die Story verlässt sich auf die üblichen Hetero-zu-L-Konflikte, gibt aber dem physischen Spiel der beiden Hauptdarstellerinnen (u.a. das androgyne Top-Model Erika Linder) viel Raum und begnügt sich nicht nur mit Andeutungen. Von Alexandra Seitz.
Der Ost-Komplex

Der Ost-Komplex

Stasi-Opfer, Schwul, Ostdeutsch, Über 40: Mario Rölligs Geschichte wird, je nach Kontext, mit jeweils anderen Schwerpunkten ins öffentliche Spiel gebracht. Jochen Hicks Annäherung rückt nichts zurecht und bringt keine falsche Ordnung in die Dynamik von Sich-Erzählen und Erzählt-Werden. Er zeigt vielmehr, zu welchen teils komischen, teils tragischen Effekten es führt, wenn Sender und Empfänger eines verfestigten Opferberichts unterschiedliche Agenden haben – und damit auch, wie verbissen die Diskurshoheit über die DDR-Geschichte immer noch verfolgt wird. Von Matthias Dell.
Teenage Kicks

Teenage Kicks

„Teenage Kicks“ erzählt von einer Jungsfreundschaft, die von gemeinsamer Flucht träumt und in Familientragödien stecken bleibt. Aber schnell entwickelt sich der Debütfilm von Craig Boreham zur aufregenden Odyssee eines erfahrungshungrigen Teenagers, der sich zwischendurch mehr erregende Räume öffnet, als er am Ende in bürgerlicher Absicht wieder schließen kann. Ein typischer Vertreter des jüngeren schwullesbischen Kinos aus Australien: deftig, offen, etwas grell und entschieden nach Intensitäten suchend. Und gesurft wird natürlich auch. Von Jan Künemund.