Lebensbilder

Prinz in Hölleland (1993)

Prinz in Hölleland (1993)

Kreuzberg, Anfang der 1990er. Jockel und Stefan sind ein schwules Paar, leben auf dem Bauwagenplatz und gehen beide auch mal mit Micha ins Bett. Jockel hat gerade das Heroin entdeckt – und verliert zwischen Highsein und Entzugserscheinungen allmählich Stefan und die Freiheit aus den Augen. Und dann ist da auch noch der Narr Firlefanz, der vom Prinz in Hölleland erzählt, von einem schönen Müllersbuschen und von einem bösen weißen Pulver. Der Debütfilm von Michael Stock („Postcard to Daddy“) ist ein Märchen ohne Happy End und zeigt die raue Wirklichkeit eines längst verschwundenen West-Berlins der Wendejahre und seiner linksautonomen Gegenwelt. Axel Schock geht mit dem Film auf Zeitreise.
Paris is Burning (1991)

Paris is Burning (1991)

Nach seiner Premiere beim Sundance Film Festival 1991 wird „Paris is Burning“ von Jennie Livingston zum ersten weithin bekannten Dokumentarfilm über die queere Schwarze und Latinx-Ballroom-Szene in Harlem – ein Erfolg, mit dem wahrscheinlich weder die Regisseurin noch die Mitwirkenden gerechnet hätten. Niemand ahnte, wie sehr dieses Zeugnis über Jahrzehnte hinweg das populäre Verständnis der Ballroom-Kultur prägen würde. Für sissy-Autorin Anja Kümmel ist der Film immer noch aktuell: „Durch seine nicht-lineare, nuancenreiche Machart zeigt der Film ganz nebenbei eine Vielfalt an Perspektiven und Identitäten, die heute unter dem Sammelbegriff ‚queer‘ Platz finden.“
Brokeback Mountain (2005)

Brokeback Mountain (2005)

Der Film mit den schwulen Cowboys: „Brokeback Mountain“ war eins der großen kulturellen Phänomene der Nullerjahre – von der Krtitik gefeiert, vom Publikum zum Blockbuster gemacht, von christlich-konservativen Kreisen attackiert. Was vorher eher Stoff für experimentelles New Queer Cinema gewesen wäre, hat Ang Lee mit den Hollywood-Stars Heath Ledger und Jake Gyllenhaal als klassisches, großes Erzählkino inszeniert. Für Esther Buss ein Klassiker, der „noch immer das Herz zerreißen lässt.“ Und den der aktuelle politische Backlash wieder näher an die heutige Zeit rückt.
The Hours (2002)

The Hours (2002)

Drei Frauen in drei verschiedenen Epochen, verbunden über den Roman „Mrs. Dalloway“, hadern mit ihren Lebensentwürfen und kämpfen um ihren Lebenswillen: Stephen Daldrys Literaturverfilmung „The Hours“ aus dem Jahr 2002 gilt als Gipfel des edlen Arthouse-Mainstream-Kinos – mit drei Hauptdarstellerinnen, die zu den besten Schauspielerinnen aller Zeiten zählen; nach einer Bestsellervorlage mit dem Ruf der Unverfilmbarkeit; überhäuft mit unzähligen Preisen und Auszeichnungen. Tatsächlich ist der Film ein echtes „Kinowunder“, schreibt Andreas Köhnemann. Und vor allem: „ein Faszinosum mit bemerkenswerter queerer Sensibilität“.
Aimée & Jaguar (1999)

Aimée & Jaguar (1999)

Im faschistischen Deutschland von 1943 finden zwei Frauen zueinander: die jüdische Widerstandskämpferin Felice und die angepasste Mutterkreuzträgerin Lilly. Eine Liebesbeziehung, die kaum vorstellbar scheint und doch historisch belegt ist. Max Färberböcks Verfilmung von Erica Fischers dokumentarisch-literarischer Vorlage „Aimée & Jaguar“ eröffnete 1999 die Berlinale und wurde danach schnell zum Sensationserfolg. Und hat auch heute nichts von ihrer Kraft verloren. Der Film habe „eine Zärtlichkeit von jener Sorte, die das Kino zwischen zwei Frauen selten zeigt“, schreibt Arabella Wintermayr: „warm und lustvoll zugleich, tastend und gleichzeitig voller Dringlichkeit“.
Vier Mütter für Edward

Vier Mütter für Edward

Frei nach dem italienischen Erfolgsfilm „Ein Festmahl im August“ wird in „Vier Mütter für Edward“ ein netter schwuler Jugendbuchautor erst zum Pfleger seiner eigenen Mutter und hat plötzlich ein ganzes Mütterquartett im Haus. Die stellen allerlei amüsanten Unfug an, sorgen aber auch für viele berührende, wahrhaftige Momente. Ein entspannter, großherziger Film, der „wie eine in Watte gepackte Screwball Comedy“ daherkommt, schreibt sissy-Autor Christian Horn.
Hot Milk

Hot Milk

Eine unglückliche Studentin reist mit ihrer kranken, kontrollsüchtigen Mutter nach Südspanien und findet Erleuchtung in der Affäre mit einer verührerischen Fremden: Als Drehbuchautorin von „Ida“ und „She Said“ ist Rebecca Lenkiewicz bekannt geworden. Jetzt kommt ihr mit Spannung erwartetes Regiedebüt „Hot Milk“. Ihre Adaption des gefeierten Romans von Deborah Levy ist gleichzeitig Sommerromanze, Befreiungsgeschichte und psychologisches Drama. Ein Film mit erzählerischen Höhen und Tiefen, findet sissy-Autor Christian Horn – jedoch stets mit virtuosen Bildern: „Manche Aufnahmen wirken wie Gemälde, und der flirrende Hochsommer legt sich wie eine Milchschliere am Wasserglas über alles.“
The Rocky Horror Picture Show (1975)

The Rocky Horror Picture Show (1975)

50 Jahre queerer Kult: 1975 kam „The Rocky Horror Picture Show“ in die Kinos dieser Welt – und kaum jemand wollte das sehen. Über die Jahre wurde der Film zum Kult, zum Klassiker, zur Legende. Was als wilde Hommage an B-Movies gedacht war, wurde zu einem Symbol der Freiheit, des Andersseins und der queeren Selbstermächtigung. Mit Netzstrümpfen, Lippenstift und mitreißender Rock-'n'-Roll-Attitüde sprengte der Film Genregrenzen und gesellschaftliche Normen. Und ermutigte Generationen dazu, Träume Wirklichkeit werden zu lassen: „Don't dream it – be it“. Maximiliam Breckwoldt über einen „geradezu körperlich gewordenen Film, der die klassische Anordnung des Kinos aufbricht und es einem erlaubt, Teil des Geschehens zu werden“.
The Watermelon Woman (1996)

The Watermelon Woman (1996)

In Cheryl Dunyes semi-autobiografischer Mockumentary „The Watermelon Woman“ forscht eine Schwarze, lesbische Filmemacherin – ebenfalls Cheryl – einer vergessenen Schwarzen Schauspielerin aus den 1930er-Jahren hinterher. Während ihrer Recherche reflektiert sie Themen wie Rassismus, lesbische Identität und filmische Repräsentation. Als feministische Antwort auf Mario van Peebles legendäre Blaxploitation-Satire „The Watermelon Man“ ist Dunyes Langfilmdebüt selbst zum Meilenstein des New Queer Cinema geworden. Ein Film, der dazu aufruft, „sich leidenschaftlich dem Zuhören, Erzählen und Fabulieren von Geschichten hinzugeben“, schreibt sissy-Autorin Anne Küper. Dunye erfinde sich selbst – und dabei das, was Kino sein könnte.
Taxi zum Klo (1980)

Taxi zum Klo (1980)

Bei seiner Erstveröffentlichung vor 45 Jahren löste Frank Ripplohs „Taxi zum Klo“ einen Skandal aus: Für einen Film über einen offen schwulen Lehrer aus West-Berlin und dessen sexuelle Abenteuer waren viele in der braven Bundesrepublik nicht bereit. Doch kurz darauf wurde Ripploh sensationell mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichnet. Philipp Stadelmaier über einen Film, der heute zurecht als Meilenstein des nicht-heteronormativen Kinos aus Deutschland gilt, weil er in seiner Darstellung einer souveränen schwulen Hauptfigur der Zeit weit voraus war. Und dabei seine wunderbare Zweideutigkeit nie versteckt.