Kritiken (Film)

Fremde Haut (2005)

Fremde Haut (2005)

In ihrem Heimatland droht der jungen iranischen Übersetzerin Fariba die Todesstrafe, weil ihr Verhältnis zu einer verheirateten Frau bekannt geworden ist. Sie flieht und schafft es bis nach Deutschland. Doch dort wird ihr Asylantrag abgelehnt. Um im fremden Land zu überleben, nimmt sie die Identität eines des jungen Iraners Siamak an, spricht wie ein Mann, gibt sich wie ein Mann. Als sie sich in ihre attraktive Arbeitskollegin Anne verliebt, riskiert Fariba ihre Tarnung. In „Fremde Haut“, den es jetzt in digital restaurierter Fassung als DVD und VoD gibt, erzählt Angelina Maccarone mit großem Feingefühl von Entwurzelung und der Sehnsucht nach Identität in einem anderen Land, einer anderen Kultur, einer neuen Liebe. Jasmin Tabatabais Darstellung einer mutigen Frau mit dem unbeugsamen Willen, ihren Platz im Leben zu finden, geht auch knapp 20 Jahre nach der Premiere tief unter die Haut. Arabella Wintermayr über einen Film, der sichtbar macht, was sonst im Verborgenen bleibt, und der das queere Kino um eine selten beleuchtete Facette bereichert.
Teorema (1968)

Teorema (1968)

Am 2. November jährt sich zum 49. Mal der Tag, an dem Pier Paolo Pasolini am Strand von Ostia auf brutalste Weise ermordet wurde. Die Hintergründe konnten nie restlos aufgeklärt werden. Zuvor schuf Pasolini, einer der wichtigsten italienischen Intellektuellen und Poeten des 20. Jahrhunderts, in nur 15 Jahren ein dichtes und vielgestaliges Filmwerk, das von neorealistischen Außenseiterporträts („Accatone“, 1961; „Mamma Roma“, 1962) bis zu dem vielleicht grausamsten Film aller Zeiten („Die 120 Tage von Sodom“, 1975) reicht. sissy erinnert an einen ihrer Lieblingsregisseure mit einem Text zu dessen mysteriösestem und queerstem Film. In „Teorema“ besucht ein strahlend schöner Fremder eine Mailänder Industriellenfamilie, verführt jedes der Familienmitglieder und verschwindet danach so plötzlich wieder, wie er aufgetaucht war. Für Philipp Stadelmaier schlummert in „Teorema“ nicht weniger als die Möglichkeit einer Utopie: das Patriarchat wird abgeschafft, die Kleinfamilie ebenso, der Besitz aufgegeben, die Sexualität frei ausgelebt. Die Geschichte einer Heilsbringung. Oder doch etwas ganz anderes?
Light Light Light

Light Light Light

Inari Niemi erzählt in „Light Light Light“ von zwei Mädchen, die sich in der finnischen Provinz des Jahres 1986 und im Schatten der Atomkatastrophe von Tschernobyl ineinander verlieben. Voller bittersüßer Melancholie und mit lichtdurchfluteten Bildern zeigt der berührende Coming-of-Age-Film das Heranwachsen in einer Zeit der abstrakten Bedrohung und sozialen Kluften. Theresa Rodewald ist vor allem von der erfrischenden Selbstverständlichkeit begeistert, mit der sich die beiden Hauptfiguren finden und füreinander da sind.
The Room Next Door

The Room Next Door

In dem ersten Langfilm, den Pedro Almodóvar nicht in seiner Heimat und nicht auf Spanisch gedreht hat, spielen Tilda Swinton und Julianne Moore zwei Jugendfreundinnen, die sich nach vielen Jahren ohne Kontakt kurz vor dem Tod der einen wiederbegegnen und zu engsten Begleiterinnen voneinander werden. Jetzt ist „The Room Next Door“, für den der Altmeister mit dem Goldenen Löwen von Venedig ausgezeichnet wurde und bereits für die Oscars gehandelt wird, im Kino zu sehen. Für Andreas Wilink ist das Melodram Almodóvars bisher leisester und innigster Film – und das virtuose Spiel der beiden Hauptdarstellerinnen ein Geschenk an die Zuschauer:innen.
Tandem – In welcher Sprache träumst du?

Tandem – In welcher Sprache träumst du?

Die 17–jährige Französin Fanny reist zum ersten Mal nach Deutschland. Bei ihrer Brieffreundin Lena in Leipzig will sie die Sprache der Nachbarn lernen. Fanny ist schüchtern und noch auf der Suche nach sich selbst, Lena hingegen weiß schon ziemlich genau, wo sie hin will, und engagiert sich als Ökoaktivistin. Nach einem holprigen Start werden die beiden Teenager schnell enge Freundinnen. Fanny will Lena unbedingt gefallen – und hat auch kein Problem damit, mit ihrer eigenen Biografie kreativ umzugehen. Mit einem raffinierten Drehbuch, zwei fabelhaften Newcomerinnen und magischen Kinobildern begibt sich „Tandem – In welche Sprache träumst du?“ nicht nur auf die Suche nach einer Sprache der Wahrheit, sondern auch nach einer Sprache der Liebe. Für Barbara Schweizerhof ist Claire Burgers romantischer Freundinnenfilm zugleich ein großartiges Generationenporträt.
Young Soul Rebels (1991)

Young Soul Rebels (1991)

London im Sommer 1977. Während sich die Stadt gerade auf die Feierlichkeiten zum Silbernen Thronjubiläum der Queen vorbereitet, basteln die schwulen Soul Boys und Piraten-DJs Chris und Caz an ihrem Radioprogramm, das sie von einer Garage heraus senden. Tagsüber müssen sie sich mit Skinheads herumschlagen, abends gehen sie in den angesagten Clubs tanzen. Doch als ein Freund beim Cruisen im Park ermordet wird, drohen die sozialen Spannungen im Viertel überzukochen. Isaac Juliens Film ist ein raffinierter Mix aus Thriller und schwulem Liebesdrama – und zeichnet ein authentisches Bild der britischen Jugendkulturen der späten 1970er Jahre. „Young Soul Rebels“ war bahnbrechend für das New Queer Cinema und das British Black Cinema der 1990er Jahre. Noemi Yoko Molitor dreht das Radio, in dem Funk als Selbstverteidigung zelebriert wird, ganz laut auf.
Sunflower

Sunflower

In einem Vorort von Melbourne führt der 17-jährige Italo-Australier Leo ein typisches Teenager-Leben: Er quält sich durch die Schultage, treibt Sport, chillt mit seinen Freunden und knutscht mit seiner Freundin. Dass er eigentlich auf Typen steht, will er sich selbst noch nicht richtig eingestehen. Doch er fühlt sich immer mehr zu seinem besten Freund Boof hingezogen. Als Gerüchte über seine Sexualität in der Schule die Runde machen und der heteronormative Druck immer größer wird, muss Leo Position beziehen. In seinem Debütfilm „Sunflower“ erzählt Gabriel Carrubba voller Empathie von der bewegenden Zeit in unseren Leben, in der sich alles – Scham und Wut, Liebe und Hoffnung – einfach überwältigend anfühlt. Christian Horn über eine optimistische und einfühlsame Ode für jugendliche Selbstakzeptanz.
Mädchen in Uniform (1931)

Mädchen in Uniform (1931)

„Mädchen in Uniform“ von Leontine Sagan gilt als erster Film der Filmgeschichte, der lesbische Liebe offen thematisierte. Das Drama über die Internatsschülerin Manuela, die innige Gefühle für ihre gutherzige Lehrerin Fräulein von Bernburg entwickelt, erinnert an den repressiven Wahn des preußischen Erziehungssystems und dessen zerstörerische Folgen. Beatrice Behn über einen bahnbrechenden und komplexen Film, der am Ende jedoch zwei Dinge voneinander trennt, die besser zusammengedacht werden sollten.
Jungs vom Lande

Jungs vom Lande

Leere Dörfer, vertrödelte Nachmittage und die Fantasie, ganz woanders zu sein. Mit präzisem Blick und tief atmosphärischen Bildern zeigt Gaël Lépingle in „Jungs vom Lande“ queeres Leben abseits der großen Metropolen als eine sommerschwüle Mischung aus wilden Wünschen und romantischen Abenteuern: Youcef arbeitet in einem Nachtclub, in dem eigentlich nie etwas passiert. Als eines Abends eine queere Performancetruppe in der Kleinstadt Halt macht, ist er schockverliebt. Ein junger Mann läuft mit hohen Absätzen durch das Dorf, das er eigentlich für immer verlassen will. Und auf einem abgelegenen Hof hat sich Jonas mit einem Unbekannten verabredet, um mit ihm erotische Fotos in historischer Maskerade zu machen. Andreas Wilink über einen fein beobachtenden Film der peripheren Begegnungen und großen Sehnüchte, den es jetzt als DVD und VoD geht.
Bound – Gefesselt (1996)

Bound – Gefesselt (1996)

Frisch aus dem Gefängnis entlassen, begegnet die toughe Butch Corky zufällig der verführerischen Femme Violet im Aufzug. Es ist Liebe auf den ersten Blick und der Beginn einer heißen Liebesaffäre. Wie passend, dass Violet schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken spielt, sich von dem eifersüchtigen Mafioso Ceasar zu trennen. Doch für einen gemeinsamen Neuanfang fehlt den Frauen das nötige Kleingeld. Mit einem riskanten Plan wollen sie Ceasar um zwei Millionen Dollar erleichtern. „Bound – Gefesselt“, der verwegene Debütfilm von Lana und Lilly Wachowski („Matrix“, „Cloud Atlas“, „Sense8“) mit Gina Gershon und Jennifer Tilly als durchsetzungsstarkes Liebespaar, bürstete 1996 das Genre des Gangsterthrillers quer und führte eine neue lebische Selbstverständlichkeit und Souveränität ins US-Kino ein. Manuela Kay über einen bahnbrechenden Film voller subtiler Anspielungen, lesbischer Symbolik und Insider-Humor.