Frau aus Freiheit

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Polen in den frühen 1980ern. Während das Land dem Kommunismus allmählich den Rücken kehrt und sich zu einem demokratischen Staat wandelt, sucht Aniela Wesoły in einer Kleinstadt ihre Freiheit als Frau. Schon während ihrer Kindheit und Jugend beginnt sie, sich anders zu fühlen. Ihre Umgebung reagiert mit Unverständnis und Verdrängung. Doch weder die Widerstände in ihrer Familie noch staatliche Repressionen können sie davon abhalten, endlich die Person zu werden, die sie schon immer war. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen in Polen der letzten 50 Jahre erzählen Małgorzata Szumowska und Michał Englert in „Frau aus Freiheit“ von der Selbstermächtigung einer Frau. Das epische Figurenporträt wurde im Wettbewerb von Venedig gefeiert und glaubt, ganz im Geiste des großen Regisseurs Andrzej Wajda daran, dass Kino die Kraft der Veränderung in sich trägt. Anja Kümmel über einen sensibel und nuanciert gespielten Film über Einsamkeit, Isolation und eine Frau, die ihre Freiheit sucht und findet.

Foto: Salzgeber

Zeit der Umbrüche

von Anja Kümmel

Am Anfang wirkt alles leicht, beschwingt, verspielt: Die junge Hauptfigur, von engelsgleicher, androgyner Schönheit mit halblangem blonden Haar und einnehmendem Lächeln zwischen schüchtern und verwegen, rennt, klettert und tollt durch die 80er Jahre in einer polnischen Kleinstadt, umgeben von malerischen Wäldern und Rapsfeldern. Im Zeitraffer verliebt sie sich – damals noch unter ihrem männlichen Geburtsnamen Andrzej – in die etwa gleichaltrige Iza; eine so liebevolle wie leidenschaftliche Beziehung beginnt. Und weil wir uns im katholisch geprägten Polen befinden, steht das junge Paar schon bald vor dem Traualtar.

Auf der Hochzeitsfeier werden Dias aus der Kindheit der beiden gezeigt, und in einem Moment, als Andrzej vor der Leinwand steht und von der Kindersilhouette überblendet wird, ruft einer der Gäste: „Du sahst aus wie ein Mädchen mit diesen Locken!“ Einen Moment lang scheint das Geschehen zu stocken; der Blick der Hauptfigur wird plötzlich traurig und ernst. Und wir beginnen zu ahnen: So fröhlich und sorglos sie auf den ersten Blick auch wirken mag – eine tiefere Sehnsucht steckt in ihr, die sich mehr und mehr in Schmerz verwandeln wird. Denn die männliche Identität, in die sie hinein sozialisiert wurde, entspricht ihr nicht.

Wer genau hinschaut, hat sie bereits gesehen, die flüchtigen Szenen der Inkongruenz und des Aufbegehrens, die den im Grundton beschwingten Anfang von „Frau aus Freiheit“ durchziehen: Das blondgelockte Kind im schwarzen Kommunionsanzug, das den Schleier eines der Mädchen aufsetzt und damit aus der Kirche stürmt. Die lackierten Zehennägel, wegen denen die Hauptfigur bei der Tauglichkeitsprüfung fürs Heer ausgemustert wird. Den Penis einer Putte, den sie beim Aufhängen eines Banners für die 1.-Mai-Feier versehentlich abbricht und ihn später mit scherzhaftem Augenzwinkern der neuen Flamme Iza in die Hand drückt. Der dritte gemeinsame Film des Regie-Duos Małgorzata Szumowska und Michał Englert lebt von seiner farbgewaltigen, oftmals fast impressionistischen Bildsprache, kommt mit wenigen Dialogen aus, rauscht in kaleidoskopischer Intensität dahin.

Parallel zum Coming-of-Age der Hauptfigur und ebenso erklärungslos vollziehen sich die politischen Umbrüche im Land: Zunächst sitzen ein paar Punks der Lenin-Statue zu Füßen, dann kommt ein Kran und reißt die Statue ab. Kinoplakate werden ausgetauscht; die Schaufenster füllen sich mit westlichen Waren. Oft arbeitet der Film mit Spiegelungen, die seine Hauptfigur vervielfachen, zerlegen, fragmentieren, mit Überblendungen und Auflösungen, im gleißenden Licht der Sonne, einer Diskokugel oder Neonreklame, die eine weitere traum- oder märchenhafte Ebene suggerieren. In einigen wenigen surrealen Szenen steht bereits die ältere Aniela in der Zimmerecke oder blickt die Hauptfigur aus dem Spiegel heraus an. Und wir begreifen die Spannweite des Films, der über mehrere Jahrzehnte hinweg die Selbstfindung einer trans Frau erzählt.

Foto: Salzgeber

Die zweite Hälfte kommt ungleich schwerer und düsterer daher: Aniela hat ihren Namen gefunden, hält ihre weibliche Identität jedoch geheim. Die Freiheit, die der Kapitalismus verspricht, hat sich höchstens in einer Gütervielfalt materialisiert, nicht jedoch in einer Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten, die ihr offenstehen. Im Gegenteil: Sie steckt in einem öden Bürojob in der Provinz fest, in ihrer Rolle als Ehemann und Vater zweier Kinder. Ihr stets etwas erstaunter Blick scheint stumm zu fragen: Was tue ich hier eigentlich? Nur im Umgang mit ihren Kindern, hat man das Gefühl, entschleiert sich ihr Blick und sie ist für wenige Augenblicke ganz da. Aniela und Iza indes driften immer weiter auseinander; ihre Ehe droht an der Sprachlosigkeit zu zerbrechen.

Aniela, als junger Mensch von dem cis-männlichen Schauspieler Mateusz Więcławek verkörpert, wird nun von der cis-weiblichen Schauspielerin Małgorzata Hajewska gespielt. Laut den Regisseur:innen eine nicht ganz freiwillige Entscheidung: Es hätte in Polen schlicht keine professionell ausgebildeten trans Schauspieler:innen über 40 oder gar 50 gegeben. Die kontroverse Lösung, eine trans Rolle mit zwei cis-Schauspieler:innen zu besetzen, ist somit nicht zuletzt den repressiven Zuständen geschuldet, die der Film anprangern möchte. Allerdings entstehen dadurch einige visuelle Brüche, die sich in die ansonsten überwiegend auf Realismus und Glaubwürdigkeit ausgelegte Erzählweise nicht ganz einfügen wollen.

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Dies hat nichts mit der Performance der Darsteller:innen zu tun: Sowohl Więcławek als auch Hajewska verkörpern Aniela sensibel, nuanciert und authentisch. Vielmehr wirkt es schlicht merkwürdig, Aniela plötzlich in kleiner, zierlicher Gestalt und überdies weitaus stärker gealtert als ihr Umfeld zu sehen. Zudem springt „Frau aus Freiheit“ stellenweise recht unvermittelt zwischen den Zeitebenen hin und her. Vielleicht kann dies als Versuch gewertet werden, die chronologische Abfolge gleich zweier Transitionen aufzubrechen, das starre Vorher-Nachher (Mann-Frau/Kommunismus-Kapitalismus) aufzulösen und vielmehr als unabgeschlossenes Work-in-Progress zu präsentieren. Dennoch ist man als Zuschauer:in mitunter verwirrt und kann sich nur anhand unterschiedlicher Haarlängen und der Größe von Izas und Anielas Kindern halbwegs in der Handlung orientieren.

In sprunghaften Vor- und Rückblenden verfolgen wir Anielas nicht minder holprigen Weg der Selbstfindung: Verstohlen liest sie in der Bibliothek über Transsexualität, wagt erste Ausflüge in Frauenkleidern auf den verlassenen nächtlichen Straßen ihrer Heimatstadt. Ignorante Ärzte verschreiben ihr Testosteron, um sie „männlicher“ zu machen, vermuten latente Homosexualität oder schlagen Cross-Dressing als Fetisch vor – Fehldiagnosen, die Aniela nur noch mehr verunsichern. Die Einsamkeit und Isolation von trans Menschen in vordigitalen Zeiten, in einem Land, in dem es „so etwas“ angeblich nicht gibt, ohne Möglichkeit, sich zu informieren oder zu vernetzen, wird schmerzhaft spürbar.

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Lange dauert es, bis Aniela auf einen Psychiater trifft, der zwar eine reichlich pseudowissenschaftliche Erklärung für Transsexualität vorbringt, doch immerhin zu dem Schluss kommt: „Sie sind normal“ und „Es ist nie zu spät!“ Endlich kann Aniela eine Hormontherapie beginnen, doch der Spießrutenlauf geht weiter: Zähe Gerichtsverhandlungen, übergriffige Befragungen, absurde Regelungen – wie etwa, sich scheiden lassen zu müssen, da gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Polen nicht anerkannt sind –, ganz zu schweigen von den immensen Kosten, die Aniela in die Prekarität treiben. Parallel dazu wird das Trauma der zerbrechenden Ehe erzählt, die eine besondere Tragik dadurch erhält, dass die Liebe zwischen Iza und Aniela spürbar noch nicht vorbei ist, auch wenn Iza zunächst mit Verletztheit, Unverständnis und Ablehnung reagiert. Neben dem Fokus auf Anielas Selbstfindung ist es v.a. diese Jahrzehnte überdauernde On-and-Off-Romanze, die den Film emotional über 132 Minuten trägt. Mit seiner Beziehungsgeschichte im Zentrum erinnert „Frau aus Freiheit“ an Xavier Dolans „Laurence Anyways“ (2012) oder auch an Tom Hoopers „The Danish Girl“ (2015) – inklusive der Ambivalenzen, die eine von cis Regisseur:innen und cis Darsteller:innen erzählte trans Geschichte mit sich bringt.

Auch „Frau aus Freiheit“ lässt sich am ehesten als Werk verstehen, das sich an ein cis Publikum richtet und bei diesem Verständnis und Empathie wecken möchte. Bei aller Authentizität und allem Einfühlungsvermögen sind die dramaturgischen Höhepunkte so gesetzt, dass sämtliche erwartbaren Stationen einer Transition und den damit (nicht nur in Polen) verbundenen Hürden nacheinander abgearbeitet werden. Dass Szumowska und Englert intensiv mit der LGBTQI*-Community zusammengearbeitet und die fiktive Biographie ihrer Heldin aus vielen Stunden Interviewmaterial mit polnischen trans Personen zusammengesetzt haben, sorgt für die nötige Glaubwürdigkeit, hat allerdings auch zur Folge, dass Anielas Geschichte stellenweise etwas überfrachtet wirkt.

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Um die Machart und den Tonfall des Films einordnen zu können, hilft es, die Referenzgrößen zu kennen, auf die der Titel anspielt: „Frau aus Freiheit“ verweist auf die beiden ikonischen Filme des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda, „Der Mann aus Marmor“ (1977) und „Der Mann aus Eisen“ (1981), die auf je zweieinhalb Stunden Länge zwei Helden der Arbeiterbewegung ein Denkmal setzen. Dass nun die Biographie einer „ganz normalen“ trans Frau aus der polnischen Provinz, die auf ihre Weise für Freiheit und Selbstbestimmung kämpft, mit ebensolcher Opulenz, ebensolchem Melodrama und in ähnlich epischer Länge erzählt wird, ist wunderbar.

Noch wunderbarer allerdings wäre es, wenn es solche Filme nicht mehr bräuchte. Wenn trans Charaktere mit derselben Selbstverständlichkeit in Filmen vorkämen wie cis Figuren. Erste Filme, die vormachen, wie das gehen kann, gibt es durchaus: Etwa die Debüts von Vuk Lungulov-Klotz („Mutt“) oder Luis De Filippis („Something You Said Last Night“) – beide sicherlich nicht zufällig von trans Regisseur:innen und mit trans Darsteller:innen erzählt.

Am Ende von „Frau aus Freiheit“ sind wir angekommen in einer Welt der Smartphones und der globalen Vernetzung, einer Welt, in der trans Männer schwanger werden und eine queere Ästhetik den Mainstream erreicht hat. Zugleich jedoch gibt es noch immer Diskriminierungen, Repressionen und eklatante Gesetzeslücken. Mit großem politischen Engagement warnen Szumowska und Englert so auch vor den alarmierenden Rückschritten, die wir aktuell in vielen (ost-)europäischen Ländern erleben. Leider wird wohl noch Zeit vergehen, bis Kampf- und Selbstermächtigungsnarrative wie dieses der Vergangenheit angehören können.




Frau aus Freiheit
von Małgorzata Szumowska & Michał Englert
PL/SW 2023, 132 Minuten, FSK 12,
deutsch-englisch-schwedisch-italienische OF
teilweise mit deutschen UT
Salzgeber

Ab 12. September im Kino