Fremde Haut (2005)

TrailerDVD/VoD

In ihrem Heimatland droht der jungen iranischen Übersetzerin Fariba die Todesstrafe, weil ihr Verhältnis zu einer verheirateten Frau bekannt geworden ist. Sie flieht und schafft es bis nach Deutschland. Doch dort wird ihr Asylantrag abgelehnt. Um im fremden Land zu überleben, nimmt sie die Identität eines des jungen Iraners Siamak an, spricht wie ein Mann, gibt sich wie ein Mann. Als sie sich in ihre attraktive Arbeitskollegin Anne verliebt, riskiert Fariba ihre Tarnung. In „Fremde Haut“, den es jetzt in digital restaurierter Fassung als DVD und VoD gibt, erzählt Angelina Maccarone mit großem Feingefühl von Entwurzelung und der Sehnsucht nach Identität in einem anderen Land, einer anderen Kultur, einer neuen Liebe. Jasmin Tabatabais Darstellung einer mutigen Frau mit dem unbeugsamen Willen, ihren Platz im Leben zu finden, geht auch knapp 20 Jahre nach der Premiere tief unter die Haut. Arabella Wintermayr über einen Film, der sichtbar macht, was sonst im Verborgenen bleibt, und der das queere Kino um eine selten beleuchtete Facette bereichert.

Foto: Salzgeber

Im Schatten leben

von Arabella Wintermayr

„Invisible women are everywhere.“
(Kate Manne, „Down Girl: The Logic of Misogyny“, 2018)

Ein Flugzeug gleitet durch einen wolkenverhangenen Himmel. Dicht aneinandergedrängt sitzen die Passagiere, sprechen mit gedämpfter Stimme oder lesen in der Zeitung. Dann ertönt eine Durchsage: Die Maschine hat soeben den iranischen Luftraum verlassen. Die Atmosphäre verändert sich schlagartig, Frauen legen ihre Hidschābs ab – ein flüchtiger Moment der Freiheit, in dem sich Schichten von Unsichtbarkeit lösen. Eine der Frauen, das Gesicht unter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, geht wortlos auf die Bordtoilette zu, verschleiert den Rauchmelder mit ihrem Kopftuch und zündet sich eine Zigarette an. Sie raucht mit einer Wucht, die nur die Befreiung einer tiefen, unaussprechlichen Last verraten kann.

Es sind kraftvolle Bilder, die Angelina Maccarones „Fremde Haut“ eröffnen – ein Film, der von der doppelten Unsichtbarkeit queerer Geflüchteter erzählt und das nicht-heteronormative Kino im Jahr 2005 um eine bis heute selten beleuchtete Facette bereicherte. Die Geschichte von Fariba, die Maccarone gemeinsam mit Kamerafrau Judith Kaufmann ersann und schließlich mit der im Iran geborenen Hauptdarstellerin Jasmin Tabatabai finalisierte, zeigt immer wieder Szenen der Selbstbehauptungen im Stillen. Mehr noch: „Fremde Haut“ macht in mehreren Kontexten sichtbar, was sonst im Verborgenen bleibt.

Obwohl Farbia wegen der Angst vor einer drakonischen Bestrafung für eine Affäre mit einer verheirateten Frau aus dem Iran geflohen ist und in Deutschland nach Asyl sucht, gibt sie beim Grenzbeamten „politische Verfolgung“ als Fluchtgrund an. Sie schweigt, nicht nur aus Sorge vor Ablehnung, sondern weil das System, in dem sie ankommt, ihr keinen Raum lässt, sich sichtbar zu machen. Denn sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität wurden damals kaum als Asylgrund anerkannt und führten oft nur zu einer sogenannten Duldung.

Der einzige Mensch, dem sie sich in der kargen Erstaufnahmeeinrichtung in Gänze anvertraut, ist der schüchterne Siamak. Der junge Mann wird vom Mullah-Regime für seine Mitgliedschaft in einer verbotenen Studentenverbindung verfolgt. Dass ihm tatsächlich Asyl gewährt wird, erfährt er aber nicht mehr: Nachdem er von seinen Eltern die Nachricht erhält, dass die Schergen an seiner Statt den Bruder verschleppten und zu Tode folterten, schluckt er Abflussreiniger und nimmt sich so das Leben.

Für Fariba folgt auf das Ablegen des Hidschābs so eine neue Form der Maskerade, ein neues Versteckspiel beginnt. Dieses Mal nicht unter dem Zwang eines religiösen Staates, sondern im Schatten der Bürokratie, die ihr nicht nur das Verbergen ihrer sexuellen Orientierung, sondern auch ihres Geschlechts abverlangt. Schon in der nächsten Einstellung hat sie die Identität des verstorbenen Freundes angenommen. In dickem Pullunder und kariertem Wollsacko nimmt sie die Papiere entgegen, die auf Siamaks Namen ausgestellt sind. Mit einem behelfsmäßigem Binder unter dem groben Männergewand und künstlichen Bartstoppeln im Gesicht, die sie mithilfe einer Zahnbürste und Kohlestaub aufträgt, bezieht sie eine Flüchtlingsunterkunft in einem kleinen Örtchen in der Schwäbischen Alb.

Dort teilt sie sich das Zimmer mit zwei Belarussen – Privatsphäre und damit eine Möglichkeit, die falsche Identität zumindest zeitweise abzustreifen, gibt es nicht. Vor allem durch die Figur des Maxim, einer von Faribas Mitbewohnern, der seit Jahren auf eine Entscheidung über sein Verfahren wartet, illustriert der Film die kafkaesk anmutende Zwischenwelt, in die das Migrationssystem nun auch ihre Protagonistin drängt. Ohne Arbeitserlaubnis und das Recht, sich frei zu bewegen, ist sie als Geflüchtete zu Tatenlosigkeit und erdrückender Langeweile verdammt.

Foto: Salzgeber

„Fremde Haut“ fügt dem Narrativ der doppelten Unsichtbarkeit queerer Geflüchteter daraufhin eine weitere Form des erzwungenen Verbogenbleibens hinzu und taucht über den Blick auf den Alltag illegaler Arbeitskräfte noch tiefer in die Thematik des Überlebens in feindlichen Systemen ein. Denn einen Job hat Maxim dennoch: Er ist Hilfskraft in einer Fabrik, die Sauerkraut verarbeitet und in Dosen verpackt. Auch Fariba, die Geld für gefälschte Papiere verdienen möchte, verschafft er eine Stelle.

Die Fabrik inszeniert Maccarone als eine Parallelwelt, die fernab der beschaulichen ländlichen Idylle existiert, in der das Arbeitermilieu am Rand der wohlhabenderen Gesellschaft verschwindet und dessen Angehörige nur leidlich mehr Platz darin finden als Fariba. Dennoch vermittelt der Film eindrucksvoll die unsichtbaren Hierarchien, die sie als illegale Arbeiter:in aus dem Ausland mit umso größerer Härte treffen. Faribas Unsichtbarkeit wird in ihrer nun auch beruflich prekären Stellung noch verstärkt. Sie, die sich sowohl in der Flüchtlingsunterkunft als auch am Arbeitsplatz nur als Siamak zeigen kann, darf nun in einem dreifachen Sinne nicht auffallen: weder als Frau, noch als Geflüchtete ohne Aufenthaltstitel, noch als unerlaubt Beschäftigte.

Als Fariba das Interesse einer Kollegin weckt, zeitigt das sorgsam gesponnene Lügengebäude allerdings erste Risse: Anne ist fasziniert von Siamaks/Faribas Anderssein. Wohl auch, weil sie in ihm/ihr eine Chance sieht, ihrem festgefahrenen Leben als geringverdienende und alleinerziehende Mutter eine neue Perspektive zu geben. Doch das männliche Arbeitsumfeld reagiert feindselig auf die Annäherung und beginnt, Siamaks/Faribas Bewegungen zu überwachen und mit rassistischen Anfeindungen zu begleiten. Vor allem Uwe, ein Kollege, der schon lange erfolglos um Anne wirbt, entwickelt sich zur Gefahr. Bei einer Zollkontrolle, bei der Fariba/Siamak und Mitbewohner Maxim in einem riesigen Krautcontainer hastig Zuflucht suchen, wird die Situation existenziell bedrohlich. Die Szene erinnert daran, wie schnell das fragile Sicherheitsnetz (queerer) Migrant:innen reißen kann –  und dass die Unsichtbarkeit nicht nur schützt, sondern auch Abhängigkeiten schafft und Erpressung ermöglicht.

Foto: Salzgeber

Die erhöhte Alarmbereitschaft trübt auch Faribas zartes Verhältnis zu Anne. Obwohl sie sich eigentlich in einem Land befindet, das ihre Sexualität nicht verfolgt, muss sie verschlossen und distanziert bleiben. Ihre vorsichtige Annäherung, geprägt von Anziehung und Misstrauen gleichermaßen, wird zum Symbol für den Wunsch, sichtbar zu sein, der doch gleichzeitig auf beiden Seiten den Rückzug in die Verborgenheit forciert. Erst als Fariba die Nachricht erhält, dass Siamak zurück in den Iran kehren soll, weil seine Studentenverbindung nicht mehr verfolgt wird, weiht sie Anne in ihre Geheimnisse ein. Mit einer verzweifelten Entschlossenheit wagen die beiden Frauen schließlich ihre letzte Chance auf eine gemeinsame Freiheit: Zusammen stehlen sie einen Mietwagen, den sie verkaufen wollen, um an die letzten nötigen Mittel für einen falschen Pass zu kommen.

Sich nach dem gelungenen Coup in Sicherheit wiegend, kommt es zur einzigen, aber eindrucksvollen intimen Szene in „Fremde Haut“. Fariba kann sich endlich in Gänze zeigen. Die subtile Kamera von Judith Kaufmann verharrt zunächst auf ihren Gesichtern und zeigt ihre zögernden Berührungen, als ob jede Geste abgewogen und jeder Kuss eine Frage wäre. Aus der vorsichtigen Zärtlichkeit wird allerdings schnell ein heftiges Verlangen, das nicht nur Faribas Sehnsucht nach Anne zum Ausdruck bringt. Es macht auch Faribas Willen sichtbar, die Kontrolle über ihren Körper, ihre Identität wiederzugewinnen. Die Begierde ist mehr als Lust, sie ist auch die verzweifelte Forderung nach einer selbstbestimmten Existenz. Schmerzlich wird erneut vor Augen geführt, dass Freiheit mehr bedeutet, als nur nicht verfolgt zu werden – dass sie auch die Freiheit zu Nähe und Zärtlichkeit umfasst.

Foto: Salzgeber

Doch dieses Aufbegehren gegen die unsichtbaren Fesseln bleibt in Faribas Welt gefährlich und bedroht. Ein Spannungsfeld, das sich weiter zuspitzt, als Uwe und sein Kumpel Andi mit Annes Sohn vorzeitig von einem Zeltausflug zurückkehren und so von der wahren Identität Siamaks/Faribas erfahren. Es kommt zu einer lautstarken Auseinandersetzung, selbst zu Handgreiflichkeiten. Am Ende wird Fariba verhaftet. Erneut sitzt sie im Flugzeug, die Mechanismen der (Un-)Sichtbarmachung aus der Eröffnungssequenz funktionieren nun in die entgegengesetzte Richtung. Fariba legt jedoch den Hidschāb nicht wieder an, als die Maschine die Grenze passiert. Stattdessen tritt sie entschlossen aus der Toilette – als Siamak.

„Fremde Haut“ gipfelt so in einer nachhallenden Erkenntnis: Sichtbarkeit ist ein politischer Akt, Unsichtbarkeit ein Akt des Überlebens. Wer Unsichtbarkeit mit Mutlosigkeit verwechselt, irrt – und wer die Unsichtbarkeit wählt, obwohl er, zumindest aus Solidarität, sichtbar sein könnte, ist mutlos. In dieser schmerzhaften Dichotomie erhebt sich Fariba zur kämpferischen Ikone eines Films, der bei seinem Erscheinen ohne Vergleich in der deutschen Kinolandschaft war, und selbst in der Gegenwart noch durch seine Progressivität überrascht. Angelina Maccarone und Judith Kaufmann haben mit „Fremde Haut“ ein Denkmal für alle „invisible women“ geschaffen, die ihre Freiheit immer wieder im Verborgenen erringen müssen.




Fremde Haut
von Angelina Maccarone
DE/AT 2005, 97 Minuten, FSK 12,
OF in Deutsch, Farsi und Englisch,
teilweise mit deutschen UT

Als DVD und VoD