Der Senator

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Der junge Renan wird von dem populären Senator Arthur Alencar ausgehalten. Dass der Politiker seinen Toyboy geheim hält und öffentlich heteronormative Familienwerte verteidigt, akzeptiert dieser schweren Herzens. Doch als Renan den attraktiven Enthüllungsjournalisten Victor kennenlernt, kommen ihm Zweifel. Kann er sich aus den Fängen des Senators befreien? Regisseur Mauro Carvalho erzählt in „Der Senator“ von einer Beziehung, in der sich eine anfängliche Leidenschaft in eine emotionale und finanzielle Abhängigkeit entwickelt hat, und hält der Bigotterie konservativer Politiker einen entlarvenden Spiegel vor. Andreas Köhnemann über einen aufreizenden Genrefilm zwischen Crime-, Romantik- und Softcore-Unterhaltung, der das Erzählmuster der nicht sonderlich queeren US-Erotikthriller der 1990er Jahre in einen schwulen südamerikanischen Kosmos überträgt.

Foto: Salzgeber

Dirty Politics

von Andreas Köhnemann

In der Coming-of-Age-Komödie „Cousins“ (2019) setzte der brasilianische Filmemacher Mauro Carvalho zusammen mit seinem Co-Regisseur Thiago Cazado auf heitere Töne und auf helle Bilder, um von der sexuellen Enthemmung in einem provinziellen, gottesfürchtigen Umfeld zu erzählen. Sämtliche Konflikte wurden darin spielerisch und voller Lust(igkeit) beseitigt; das Humoristisch-Leichte wurde so konsequent verfolgt, dass man trotz Stolpersteinen zu keiner Millisekunde am glücklichen Ausgang der Geschichte Zweifel hegen musste.

Der Erotikthriller „Der Senator“ ist nun Carvalhos erster Langfilm als Solo-Drehbuchautor und -Regisseur. Abermals lässt er sich ganz auf das gewählte (Sub-)Genre ein. Die von ihm selbst geführte Kamera hält sich vor allem in Innenräumen auf: in einem Apartment, das trotz seiner beachtlichen Größe ziemlich beengend und wie ein goldener Käfig wirkt, in einer kleinen Zeitungsredaktion, in der über „brisante Neuigkeiten“, Skandale und Geld diskutiert wird, und in einem Verhörraum auf einer Polizeistation in der Landeshauptstadt Brasília. Wagt sich die Kamera nach draußen, ist meist schon die Dunkelheit hereingebrochen. Eine vergleichsweise fröhliche Sequenz in einem Vergnügungspark lässt erahnen, dass es in dieser Welt durchaus auch das Schöne, Unbekümmerte geben könnte, das in „Cousins“ stets alles Beklemmende, Düstere überstrahlen durfte. Hier herrscht jedoch das Unbehagen, die permanente Unsicherheit – in der Musik, in der Ausleuchtung der Kulissen und in den mal traurigen, mal zornigen, mal gierigen Blicken der Figuren.

Wie in vielen Kriminalfilmen und Thrillern wird der Plot in Rückblenden verschachtelt geschildert. Zudem präsentiert uns das Skript einen finalen Handlungstwist, der alle etablierten Gewissheiten auf den Kopf stellt. In seiner Figurenzeichnung, seinen Dialogen und seiner Inszenierung erinnert „Der Senator“ weniger an das Spannungskino der Classical-Hollywood-Ära mit gebrochenen Anti-Helden und mysteriösen Damen in (vermeintlichen) Nöten, sondern eher an postmoderne Genrevariationen wie John McNaughtons „Wild Things“ (1998), die gewitzt die Sehgewohnheiten und Erwartungen der Zuschauer:innen unterminieren und lange Zeit offenlassen, wer wohl die üblichen Parts der verführerisch-gefährlichen Femme fatale und des von ihr manipulierten, unglückseligen Fall Guy einnehmen wird.

Während Erotikthriller der 1990er Jahre mit Queerness allenfalls oberflächlich spielten, um für ihr Mainstream-Publikum ein bisschen „provokativ“ anzumuten, überträgt Carvalho diese Erzählmuster auf einen schwulen Kosmos. Zu Beginn sehen wir, wie die Protagonisten Renan und Victor nachts mit dem Auto an einem abgelegenen Haus außerhalb der Stadt ankommen. Beide scheinen sehr aufgebracht zu sein. Durch eine Nachrichtenmeldung im Radio hören sie, dass der Senator Arthur Alencar in einer Seitenstraße tot aufgefunden wurde. „Ich habe alles für dich riskiert“, meint Victor zu Renan. Kurze Zeit später trifft die Polizei ein und nimmt das Duo in Haft.

Foto: Salzgeber

Durch die Aussagen von Renan und Victor im Verhör erfahren wir im weiteren Verlauf die Vorgeschichte. Der junge Renan war der heimliche Geliebte von Arthur. Als Vertreter einer konservativen Partei musste dieser in der Öffentlichkeit als heteronormativer Ehemann und Familienmensch auftreten. „Zugeständnisse machen“ und „eine Rolle spielen“, wie er Renan in einer Szene erklärt – dies sei „Teil des Pakets“, das er an seine Wähler:innen verkaufe. Wir sehen, wie sich Renan in der von Arthur bezahlten Wohnung nach den booty calls beziehungsweise messages seines Sugardaddys richten muss: „Zieh den Jockstrap an, den ich dir gegeben habe, und warte auf mich!“ Wenn die beiden Sex miteinander haben, ist eine gegenseitige Anziehung und Leidenschaft zu spüren; allerdings ist auch das Machtgefälle und das missbräuchliche, besitzergreifende, kontrollierende Verhalten von Arthur offensichtlich. „Mir fehlt die Liebe“, sagt Renan an einer Stelle ernüchtert zu Arthur.

Im Verhör von Victor wird derweil deutlich, dass dieser als engagierter und idealistischer Journalist versuchte, investigativ gegen Arthur vorzugehen und dessen Scheinheiligkeit aufzudecken, da er die Information erhalten hatte, dass sich der Politiker immer wieder mit Callboys vergnügen würde. Seine zwielichtige Chefin Teodora, die es mit der Unabhängigkeit der Presse nicht so genau nimmt, konnte er rasch davon überzeugen, die Sache zu verfolgen, doch dann kam er hinter das Verhältnis von Renan und Arthur. Zwischen Victor und Renan hatte sich indes gerade eine zarte Romanze entwickelt – weshalb Victor daraufhin vor allem Renan (be-)schützen wollte. Wie all diese Verstrickungen in Arthurs Tod mündeten und wer aus welchen Gründen dahintersteckt, enthüllt Carvalho im letzten Akt.

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Als Subgenre lässt sich der Erotikthriller zwischen Crime-, Romantik- und Softcore-Unterhaltung verorten. Mit „Der Senator“ deckt Carvalho diese drei Felder genüsslich ab. Arthur als skrupelloser Machtmensch und Teodora als korrumpierbare Pressevertreterin sowie Victor als risikobereiter, von romantischen Emotionen beeinträchtigter Idealist und der mit aggressiven Verhörtechniken arbeitende Detective Carlos bilden das typische Personal einer Whodunnit-Story. Die aufkeimenden Gefühle zwischen Victor und Renan, die bei einer nächtlichen Unterhaltung mit Beinahe-Kuss und einem harmonischen Date vertieft werden, führen in die Gefilde eines Liebesfilms – während die Sexeinlagen im rot beleuchteten Luxus-Apartment zwischen Renan und Arthur den Softcore-Anteil erfüllen. Der tonalen Konsequenz bleibt Carvalho erneut bis zum Schluss treu – und entlässt uns mit einem hübsch intriganten dramaturgischen Knall.




Der Senator
von Mauro Carvalho
BR 2024, 85 Minuten, FSK 16,
portugiesische OF mit deutschen UT

 

Als DVD und VoD