Die feige Schönheit
Trailer • Kino
Kesse (they/them) und May (she/her) sind frisch verliebt und verbringen jede freie Minute mit ihrer queeren Skatercrew auf den Boards. Doch dann passiert etwas Schreckliches, das alles verändert. Ausgeschlossen von der Gemeinschaft, sucht Kesse nach einem Umgang mit their Schuld und einen Weg zurück in den Alltag. DFFB-Absolvent Moritz Krämer drehte seinen zweiten Spielfilm an Originalschauplätzen und mit zahlreichen Laien aus der Berliner queer femme Skatercrew VUM; und er verwendete sogar einige selbstgedrehte Videos von VUM. „Die feige Schönheit“ wird so zu einem authentischen Community-Porträt, ist zugleich aber auch eine freie Reflektion von Verlust, Trauer und Vergebung. Für Melanie Waelde, selbst Regisseurin („Nackte Tiere“, 2020), ist es gerade diese Offenheit, die die Figuren bei aller Schwere aus ihren festen Hüllen befreien.
Zwischen Tonnen von Beton
von Melanie Waelde
Kesse (they/them) skatet, arbeitet in einer Gärtnerei und ist mit May (sie/ihr) zusammen. Die Sommersonne brennt auf den Beton der Berliner Skatespots. Kesses grünes Haar leuchtet, genauso wie die Farben um they herum. Mit einem umarmenden Sound von Skateboardrädern auf Asphalt, empfängt einen dieser Film. Es ist irgendwie beides: schön und bedrohlich zugleich. Die ersten Bilder sind gefüllt mit zu viel Frieden und zu viel Sonnenschein, als dass man ihnen trauen würde. Eine leise Vorahnung macht sich breit, dass sich dieses Glück, das hier auf die Leinwand gemalt wird, kaum halten wird. Dazu mischt sich der Song „For You“ von Joana Sternberg mit der nicht weniger bedrohlichen Liedzeile: „With a smile like yours, you could get away with murder. So I will not trust you.“ Aber die Musik zu diesem Text ist leicht und schwebend, so wie es Kesses Welt in diesem Moment auch zu sein scheint.
Dieser Kontrast zwischen Sound und Bild oder Musik und Bild, zwischen Gefühl und Bild, trägt sich durch den Film. Bedrohung findet in den schönsten Farben und perfektem Style statt, während gekifft wird, um der Ehrlichkeit zu entkommen. Der Film streift von Moment zu Moment, von Begegnung zu Begegnung, zeigt Kesse in their Skatecrew, mit their Neffen, mit Mays Familie. Da ist Halt und Zusammenhalt, da gibt es Wärme, Lachen und Geborgenheit zwischen Sofas und Berliner Straßen.
Bis ein Moment, fast schon ein flüchtiger, alles verändert. Dieser Moment hätte unbedeutsam sein können, wenn er nicht an der Kante eines 20 Meter hohen Gebäudes stattgefunden hätte. Das tödliche Drama passiert zwischen den Schnitten. Der Sommer weicht dem Herbst und die Freiheit einer Enge. Kesses auffällige Haarfarbe wird zu einem zurückhaltenderen Blond.
Trotz des fahlen Herbstlichts bleiben die Bilder immer harmonisch, in Farben und Kadrage. In diesen wohlkadrierten Bildern werden die Figuren gefangen gehalten. Fast so wie auf Fotos, die auf Social Media festgehalten werden. Es wird gelitten, aber ästhetisch. Die Kameraarbeit stellt sich formal gegen die innere Gefühlswelt und bleibt damit konsequent beherrscht wie auch Kesse.
Denn obwohl Kesse their Halt verliert und für das, was geschehen ist, geächtet wird, finden die Gefühle, die hinter Kesses Augen liegen, nie einen Weg, den Körper zu verlassen. Pascale Numan trägt Kesse würdevoll durch die Szenen, schafft es, das Nicht-Gezeigte sichtbar zu machen. Die Spuren des Geschehenen bleiben in Kesses Gesicht, während Kesse selbst nicht genau versteht, was geschehen ist und wie es geschehen konnte. Während die Figuren leise sind, ist die Musik umso lauter, dominanter, fordernder. Sie bricht aus, wo es die Figuren nicht tun.
Kesse ist zwischen den Stühlen, wohnt bei their Bruder Quirin (er/ihm) und dessen Sohn Luca (er/ihm). Auch hier sind alle Beziehungen brüchig und fragil und dennoch wird stets darum gerungen, wieder zusammenzufinden, zusammenzuhalten. Kesse streift durch Berlin, auf der Suche nach Vergebung, nach Zugehörigkeit, aber die Türen bleiben verschlossen. Das Einzige, was them bleibt, ist das Skateboard, ohne das they niemals zu sehen ist. Kesse scheint damit wie verwachsen, es ist wie ein Körperteil, das nicht ablegbar ist. Das Skaten ist hier mehr als nur ein visueller Coolheitsfaktor. Es ist ein Lebensgefühl. Der Fixstern, der bleibt, wenn alles andere zerfällt, ein essenzieller Teil der Identität.
Die meisten Skater:innen im Film, Pascale Numan (Kesse) eingeschlossen, sind Teil der existierenden queer femme Skatecrew VUM (IG: @vumgram), nehmen an internationalen Wettkämpfen teil und kämpfen für Sichtbarkeit und Akzeptanz in der bis heute eher männlich dominierten Szene. Wo eben diese Realität auf die Fiktion trifft, gibt es immer wieder Brüche, als würde der Film aus seiner eigenen Form erwachen. Und hier schlägt dann ganz kraftvoll das Herz des Films: in selbstgedrehten Videos der Skatecrew. Zwischen echten Stürzen und gelungenen Tricks prescht Freiheit ins Narrativ und löst die festen Hüllen auf, in denen sich die Figuren befinden.
Die Trauer zieht tiefe Furchen und gleichzeitig treibt sie zu Verzweiflungstaten. May und Kesse begegnen sich im Verlust wieder, können die Wunden aber auch gemeinsam nicht kitten. Körperliche Nähe eint für einen Moment, aber sobald die Ratio wieder übernimmt, stehen sie schweigend voreinander. „What you did cannot be excused”, sagt Mays Mutter (sie/ihr) und macht damit deutlich, dass Kesses verzweifelte Suche nach Vergebung durch andere aussichtslos ist.
Die Frage des Films ist zu keinem Zeitpunkt, was „wirklich“ passiert ist, welche rechtlichen Konsequenzen Kesse erwarten oder ob noch jemand anders Mitschuld trägt. Es ist auch vollkommen irrelevant, denn was passiert ist, ist passiert. Wie also weiterleben? In dieser Frage atmet dann ein wenig der Geist von „Paranoid Park“ (2007), auch Erinnerungen an „Mid90s“ (2018) kommen immer wieder auf. Das alles aber mit dem Unterschied, dass hier keine Männlichkeitsbilder verhandelt werden, sondern Fragen nach Zugehörigkeiten. Doch auch die Beantwortung dieser Fragen scheint mit dem immerwährenden Konflikt verbunden zu sein, sich beweisen zu müssen. Liebe bekommt hier niemand einfach so geschenkt, Körper gehen in Totalen verloren, sind nur ein kleiner Fleck Leben mit einem schlagenden Herz zwischen Tonnen von totem Beton.
Die Geschichte ist im heutigen Berlin angekommen und dennoch ist auch diese Welt, nicht einmal die filmische, vollkommen befreit von jeglicher psychischer Gewalt gegen Kesse. Körperlich setzt Kesse sich selbst zu, mit gefährlichen Stunts und Stürzen, reizt their Grenzen aus und überschreitet sie für Anerkennung und Wiederaufnahme in die Gemeinschaft. Aber Veränderung lässt sich nicht aufhalten, das Zurück existiert nicht. Unsere Taten formen uns und mit ihnen formen wir die Welt. Auch Kesses Zukunft bleibt nur eine vage Hoffnung. Das Jetzt vertreibt they aus warmen Betten auf die Straße. Bis dahin, dass Kesse wirklich auch draußen auf einer Parkbank schläft. Kesse wird es nicht mehr schaffen, sich das Bild wieder mit jemandem zu teilen, bleibt isoliert, denn niemand kann them die Bürde nehmen. Trotzdem wummert der Bass, und die Skateboardräder rollen über den Asphalt. Berlin lebt. Kesse lebt. Jemand anders ist tot.
Die feige Schönheit
von Moritz Krämer
DE 2024, 104 Minuten, FSK 16,
deutsche OF,
Jost Hering Filme
Ab 7. November im Kino