Queer Cinema Classics

Queer Cinema Classics

Die queere Filmgeschichte ist ein funkelnder Schatz – reich an widerständigen Figuren, anderen Blicken und ganz eigenen Geschichten. Doch zu vielen wichtigen nicht-heteronormativen Filmen gibt es keine profunde Besprechung, die online verfügbar wäre. Und zu den wenigsten gibt es Texte aus dezidiert queerer Perspektive. Die sissy möchte diese Lücke schließen und wirft in den nächsten zwei Jahren einen besonderen Blick auf jene Filme, die im Laufe der vergangenen 125 Jahre auf die eine oder andere Weise bahnbrechend für das nicht-heteronormative Kino waren und deswegen heute als Klassiker gelten dürfen. Jeden Donnerstag erscheint eine Besprechung. Welche Bedeutung hatten die Filme in der Zeit ihrer Entstehung? Hat sich unser Blick im Laufe der Zeit verändert? Wie nehmen wir die Filme heute wahr? Am Ende soll ein Kanon mit 100 Grundsatztexten stehen, der die Filmgeschichte aus historischer Perspektive und im zeitgenössischem Licht neu ausleuchtet. Das Projekt der Queeren Kulturstiftung wird von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld gefördert. Die sissy bedankt sich!
Sommersturm (2004)

Sommersturm (2004)

Vor 20 Jahren startete „Sommersturm“ in den Kinos. Marco Kreuzpaintners Film über den jungen Ruderer Tobi, der sich in seinen besten Freund verliebt, lockte damals Hunderttausende vor die Leinwände, setzte Maßstäbe für das schwule Repräsentationskino in Deutschland und gilt heute als Coming-out-Klassiker. Zum runden Geburtstag hat sich Fabian Schäfer „Sommersturm“ noch einmal angesehen und findet: Der Film ist im Gegensatz zu anderen deutschen Kassenschlagern mit schwulen Figuren von damals richtig gut gealtert und noch immer sehenswert!
Pedro Almodóvar: Der letzte Traum

Pedro Almodóvar: Der letzte Traum

Pedro Almodóvar ist nicht nur Spaniens erfolgreichster Filmemacher, sondern auch Autor mehrerer Bücher. Nach „Parallele Mütter“ und den beiden Kurzfilmen „The Human Voice“ und „Strange Way of Life“ tritt er mal wieder literarisch in Erscheinung: „Der letzte Traum“ ist ein Band aus Erzählungen und vereint „Initiationstexte“ aus sieben Jahrzehnten. Almodóvar verhandelt darin ähnliche Themen wie in seinen Filmen, es geht um Liebe und Selbstermächtigung, um Leidenschaft und Wahnsinn, um schöne und wilde Menschen. Angelo Algieri hat sich in den Almodóvarschen Abgrund zwischen Euphorie und Melancholie hineinfallen lassen.
Wild Side (2004)

Wild Side (2004)

Stéphanie lebt in Paris und verdient ihr Geld als Sexworkerin. Ein Anruf führt sie zurück in die Vergangenheit: Ihre Mutter ist schwer erkrankt und braucht ihre Hilfe. Stéphanie reist in das Dorf, das sie vor 17 Jahren verlassen hat, als ihr noch ein anderes Geschlecht zugeordnet wurde und sie einen anderen Namen trug. Zwischen ihr und der Mutter liegen nur Schweigen und Misstrauen. Da kommen Stéphanies Liebhaber nach: Djamel, ein Migrant aus Algerien, und Mikhail, der aus der russischen Armee nach Frankreich geflüchtet ist. Regisseur Sébastien Lifshitz zeigt drei Entwurzelte, die im rauen Pariser Rotlichtmilieu zueinanderfinden, aber erst in der Weite der nordfranzösischen Provinz zu einer Ersatzfamilie zusammenwachsen. Sein Film wechselt virtuos zwischen Erinnerung und Gegenwart, Abschied und Neubeginn, Momenten tiefster Verletzung und höchster Zärtlichkeit. „Wild Side“ ist ein Meilenstein des französischen Queer Cinema und hat auch 20 Jahre nach seiner Uraufführung nichts von seiner poetischen Kraft verloren.
Die Geierwally (1987)

Die Geierwally (1987)

Walter „Wally“ Bockmayer (1948-2014) war Regisseur, Theatermacher und Zeremonienmeister eines queeren Künstler:innen-Hofstaat in Köln, mit dem er eine Sternestunde des guten schlechten Geschmacks nach der nächsten zündete. Sein zügellosestes Werk ist die Parodie auf Wilhelmine von Hillerns Heimatroman „Die Geier-Wally“ (1873) und dessen traditionelle Verfilmungen aus den Jahren 1921, 1940, 1956 und 1967: Geierwally, durch den erbitterten Kampf mit einem Greifvogel zu ihrem Namen gekommen, weigert sich, den ihr vom Vater zugeteilten Erbschleicher Vinzenz zu heiraten und lebt zurückgezogen in einer Berghütte. Ihre Liebe zum Bärenjosef erscheint aussichtslos, zumal dieser von Wally Liebe nichts weiß. Um sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, greift Wally zu drastischen Mitteln. Andreas Wilink erinnert sich an Walter Bockmayer als einen übermütig juchzenden und durchgedrehten Revoluzzer gegen Normen und Restriktionen – und stattet der Geierwally auf ihrer Alm einen ehrerbietungsvollen Besuch ab.
Die Freundin meiner Freundin

Die Freundin meiner Freundin

Zaida ist Mitte 30, lebt aber so, als wäre sie noch Anfang 20. Die Nachwuchsregisseurin und Content Creatorin träumt sich durch den Tag, ist verliebt in die Liebe und ständig auf der Suche, ohne genau zu wissen wonach. Als sie frisch getrennt zurück nach Barcelona kommt, steigt sie etwas ratlos, aber voller Leidenschaft in das Liebeskarussell ihrer Freundinnen-Clique ein. Für ihren eloquenten Debütfilm „Die Freundin meiner Freundin“, der im Mai in der Queerfilmnacht zu sehen ist, schöpft Regisseurin und Hauptdarstellerin Zaida Carmona aus ihrem eigenen Bohemien-Leben. Ihr lesbisches Figurenensemble setzt sie in knallbunten Interieurs, mit verspielten Dialogen und französischen Chansons zu einer smarten Rom-Com zusammen, die unmissverständlich vom Beziehungskino Éric Rohmers inspiriert ist. Anne Küper über eine hinreißende lesbische Überschreibung der Filmgeschichte.
Teaches of Peaches

Teaches of Peaches

„Suckin’ on my titties like you wanted me!“ Seit über zwei Jahrzehnten singt und performt die kanadische Musikerin, Produzentin und Regisseurin Peaches gegen Genderstereotypen an, stellt soziale Normen infrage und dekonstruiert patriarchale Machtstrukturen. Philipp Fussenegger und Judy Landkammer haben der nicht-heteronormativen Künstlerin par excellence nun einen Dokumentarfilm gewidmet. Mit Hilfe von noch nie veröffentlichtem Archivmaterial und neuen Interviews mit ihr und früheren Weggefährt:innen wie Chilly Gonzales und Leslie Feist zeichnen sie Peaches’ künstlerische Entwicklung von der Nachwuchsmusikerin in Toronto bis zu vor allem in queer-feministischen Kreisen gefeierten Electroclash-Ikone in Berlin nach. Der Film gibt zudem intime Einblicke in Peaches’ „The Teaches of Peaches Anniversary Tour“ – von der Ideenfindung für die Bühnenshow über die Proben bis hin zu den intensiven Live-Shows. Noemi Yoko Molitor geht bei Peaches gerne zur Schule.
Like It Is (1998)

Like It Is (1998)

Craig ist 21 und verdient sein Geld mit illegalen Boxkämpfen im rauen Arbeiterviertel von Blackpool. Dass er auf Typen steht, soll hier keiner wissen. Doch nach einem One-Night-Stand mit dem coolen Musikmanager Matt erwacht in ihm die Sehnsucht, das Leben in der schwulen Metropole London kennenzulernen. Er folgt Matt in die wilde Clubszene Sohos, doch nach einer exzessiven Zeit mit Sex, Drogen und Techno bröckelt die Fassade ihrer Beziehung. Mit viel nackter Haut, pulsierendem Pop und einer aufwühlenden Liebesgeschichte avancierte Paul Oremlands „Like It Is“ 1998 zum Kulthit und gilt heute als Klassiker des britischen Queer Cinemas. Christian Lütjens über eine schnelle und harte Nineties-Ballade mit zeitlosem britischem Lad-Charme, die schwules Leben mit einer Selbstverständlichkeit behandelt, die noch immer beispielhaft ist.
Laura Lichtblau: Sund

Laura Lichtblau: Sund

Unheimlich und verheißungsvoll zugleich klingen die Gesänge, die in den dunklen Nächten an der dänischen Küste zur Protagonistin von Laura Lichtblaus neuem Roman „Sund“ herüberschwappen. Statt weiter auf ihre Geliebte zu warten, folgt die junge Frau den Stimmen auf eine Insel namens Lykke. Dort erwartet sie nicht nur eine im doppelten Sinne fantastische Begegnung mit Mensch und Natur, sondern auch eine Konfrontation mit ihrem queeren Selbst. Anja Kümmel hat den neuen Roman von Laura Lichtblau gelesen und eine Erzählung gefunden, die nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Leerstellen und Brüche überzeugt.
Love Is the Devil (1998)

Love Is the Devil (1998)

London 1963. George Dyer landet bei einem Einbruch versehentlich im Atelier von Francis Bacon. Der Künstler lässt den Gauner gewähren – wenn der sich zuerst zu ihm ins Bett legt. Ob sich die beiden wirklich so kennengelernt haben, ist nicht verbürgt, wohl aber die Liebesbeziehung, die der Maler und der Kriminelle über mehrere Jahre führten. Mit seinen hingebungsvoll aufspielenden Darstellern Daniel Craig und Derek Jacobi entwirft Regisseur Ray Maybury ein abgründiges Paarporträt, in dem zwar keine Gemälde von Francis Bacon auftauchen, das aber dessen düstere, fragmentierte und verspiegelte Bilderwelten filmisch kongenial übersetzt. Fritz Göttler über einen schwulen Liebesfilm von seltener Direktheit und Zärtlichkeit.