Die Geierwally (1987)

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Walter „Wally“ Bockmayer (1948-2014) war Regisseur, Theatermacher und Zeremonienmeister eines queeren Künstler:innen-Hofstaat in Köln, mit dem er eine Sternestunde des guten schlechten Geschmacks nach der nächsten zündete. Sein zügellosestes Werk ist die Parodie auf Wilhelmine von Hillerns Heimatroman „Die Geier-Wally“ (1873) und dessen traditionelle Verfilmungen aus den Jahren 1921, 1940, 1956 und 1967: Geierwally, durch den erbitterten Kampf mit einem Greifvogel zu ihrem Namen gekommen, weigert sich, den ihr vom Vater zugeteilten Erbschleicher Vinzenz zu heiraten und lebt zurückgezogen in einer Berghütte. Ihre Liebe zum Bärenjosef erscheint aussichtslos, zumal dieser von Wally Liebe nichts weiß. Um sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, greift Wally zu drastischen Mitteln. Andreas Wilink erinnert sich an Walter Bockmayer als einen übermütig juchzenden und durchgedrehten Revoluzzer gegen Normen und Restriktionen – und stattet der Geierwally auf ihrer Alm einen ehrerbietungsvollen Besuch ab.

Foto: Entenproduktion

Kuhglocken des Glücks

von Andreas Wilink

Die Person ist das Werk, das Werk ist die Person. Beides ist nicht voneinander zu lösen. Bei ihm überhaupt schon gar nicht. „Die Welt muss romantisiert werden“, forderte Novalis 1798 in seinen „Fragmenten und Studien“. Walter Bockmayer, ein Romantiker des verbotenen Glücks Kitsch, hätte vermutlich emphatisch ausgerufen und dabei die Augen ebenso gerollt wie die Arme in einer imaginären Showgeste kreisen lassen: „Die Welt muss trivialisiert werden!“

Walter Bockmayer (1948-2014) zündete Sternstunden des guten schlechten Geschmacks. Aus einer zügellosen Schöpfungsorgie, deren Ursprung die albernen Schlagerfilme der sechziger Jahre waren, tauchten auf: eine alte Tarzanbraut in Hot Pants, ein Bayer in New York, Leute vom Rummel und Kiez, eine Carmen vom Klapperhof und eine Traviata, die keine dezent hüstelnde Salondame ist, jede Menge Huren, Transen, Schwule, Dingsdas im Dirndl, Drag Queens und Königinnen der Herzen. Im Zeichen der seit Kindertagen von ihm bevorzugten Ente (die Firma, die all das und mehr unter ihre Fittiche nahm, hieß Entenproduktion) regierte Bockmayer als Zeremonienmeister quietschvergnügt über das rosa Reich mit einem Hofstaat von „besten Freundinnen“ und Engeln im Männerfell. Was von einem beinahe totalitär zu nennenden Kunstanspruch zeugt.


Wally oder wie er die Welt sieht. Er sah sie jedenfalls so, dass in ihr seine Träume wahr wurden. Und die anderer, hat er doch unter anderem Hella von Sinnen, Dirk Bach, Ralph Morgenstern und Veronika Ferres auf die Bühne und Leinwand verholfen. Träume, die sich jedenfalls nicht in der zweiten Reihe erfüllen: „Entweder Solist oder gar nicht.“

Da war das kleinbürgerliche Elternhaus in der pfälzischen Provinz. Das Brot der frühen Jahre der Adenauer-Republik, an der er vielleicht nicht litt, weil er sie sich bunt ausmalte. Ein Junge, der lieber stickte, als Fußball spielte. Fast wäre er mit Zigeunern im Grünen Wagen auf und davon gegangen. Von einem Filmvorführer wird er früh in den Männersex eingeweiht. Die erste große – unglückliche – Liebe erlebt er mit GI Gary, für den er, als wäre es eine Rolle der Zarah Leander, nach Georgia/USA auswandert, wenn auch nur für ein paar Monate. Nach der Rückkehr geht er auch mal kurz auf den Strich – bereits in Köln angekommen.

Eine Zeitlang hat Bockmayer Garderobier gespielt an der Oper am Offenbach-Platz, aber da war er eigentlich schon Künstler, der erste Super-8-Filme drehte, die „Nymphomanie“ hießen oder „Salzstangengeflüster“ und „Salzstangengeschrei“. So ging es weiter. Eine Zeitlang Anti-Star. Eine Zeitlang Hollywood, als der Bundesfilmpreisträger Ingrid Caven, Shelley Winters und Sydne Rome für das Zirkus-Melodram „Looping“ vor die Kamera holt. Eine Zeitlang Mädchen (aber nicht Mann) für alles für „Mary“ Rainer Werner Fassbinder. Eine Zeitlang Kneipier der Filmdose, die er dann fix zur Minibühne umkrempelt, auf der allein seine selbstgeschriebenen Stücke „Die Geierwally“ und „Sissi – Beuteljahre einer Kaiserin“ tausend Mal laufen. Eine Zeitlang und stets aufs Neue Theaterbesitzer, Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler, Revue-Inszenator und Ziegfield vom Veedel. Aber immer – und das mit Profitum und Perfektion – das Gesamtkunstwerk Walter Bockmayer alias Wally alias Waltraud alias die Bockmayersche.

Foto: Entenproduktion

Dass wir „von der Frucht besserer Zeiten“ leben, wie Novalis seine Gedanken fortsetzt, würde Bockmayer verneint haben. Die süße, schon etwas faulige Frucht, das sind ihm die fiesen, fetten, schrägen, schrillen Zeiten. Alle Zeit ist ihm gemäß – und nicht er ihr. Er biegt sie sich zurecht. Et kütt, wie et kütt, sagt der Kölner. Und er, obwohl in Pirmasens aufgewachsen, ist so kölsch gewesen wie sonst nur Millowitsch und Trude Herr es waren.

Sein Geschmack war immer eher Oskar Roehler als Wim Wenders. Lieber Divine, die er einst in London besucht hatte, um das monstre sacré zu casten, als das Ondulierte, Moderate, Gesittete. Empathie und Ironie schlossen sich bei ihm nicht aus. Sein Witz blieb scharf, sarkastisch, beißend, sein Frohsinn unermüdlich, seine Direktheit entwaffnend: Tabubrüche und erotische Libertinage waren bei ihm nicht revolutionäres Projekt, sondern angewandte Praxis.

Bockmayer besaß seine eigene, egozentrische Ideologie, die den Underground in die spitzengesäumte Beletage hievte. Das Politische ließ er links liegen – ob als sozialer Befund wie bei Rosa von Praunheim, als eskapistisch opernhafte Pose wie bei Werner Schroeter oder als verzweifelt genaue, glamouröse Analyse wie bei Fassbinder, in dessen Filmen Liebe das Instrument gesellschaftlicher Unterdrückung ist. Bei Bockmayer gelingt die Befreiung juchzend übermütig und durchgedreht – gewiss die gesündere Form der Revolte. Bei ihm scheitert der Außenseiter nicht, sondern verschiebt in der Selbstfeier den Rand zur Mitte.

Foto: Entenproduktion

Auch in seiner que(e)r gestellten Groteske der „Geierwally“, basierend auf dem durchaus emanzipatorisch zu nennenden Roman der Wilhelmine von Hillern (1873). Die Frau als selbstbestimmtes Subjekt, das sich dem Gesetz der Vaterwelt widersetzt. Auf die Opern-Adaption, Catalanis „La Wally“ von 1892, folgten vier Verfilmungen, u.a. mit Henny Porten (1921), Heidemarie Hatheyer (1940) und Barbara Rütting (1956), bevor Bockmayer seine kreischende Parodie 1987 mit Samy Orfgen in der Titelrolle drehte. Es musste einfach raus.

Der Himmel kann nicht warten. Er ist ohne jedes reflektierendes Zögern blau, und die Alm so grün, die Berge so hoch, die Dekolletés und auch die Lederhosen so gefüllt, wie es sich Visconti in „Die Verdammten“ nicht getraut hatte, und der Geier ein gerupfter Vogel. Unter Wallys wedelnder Hand spielt das Volkstümliche ins Anarchische, die Tunte hat die Heimatrepräsentanz, als hätte der Regisseur deren völkische Vereinnahmung durch die AfD vorausgeahnt.

Schnulzen, Jodler und Mundart mit bewusst künstlich verkehrtem Zungenschlag werden zum Ausdruck der Revolte: Connie Francis trifft auf Disco, ein Schwanensee-Ballett krönt sich selbst zur Schneekönigin, Helmut Kohl wird hier – noch vor Schlingensief – zur lokalen Geistererscheinung, der Gekreuzigte zwinkert als Votivtafelbild. Elisabeth Volkmann als Feudalherrin macht Klimbim, Ralph Morgenstern als Tante Luckard treibt die Travestie im Fummel samt Brikett als Kopfputz sowie mit spitzen Fingern und Knien, französischen Floskeln und großen Gesten in die contradictio in adiecto; Christoph Eichhorn als Vincent, dessen Sinnen und Trachten nach der Wally drängt, die es aber zum Bärenjosef (Gottfried Lackmann) zieht, trägt den hängenden struppigen Oberlippenbart in seinem Bubengesicht unterm Trachtenhut mit Rasierpinsel wie ein Fragezeichen, das seine geschlechtliche Orientierung in Zweifel zieht. Ortrud Beginnen, Brigitte Janner und Veronica Ferres wetteifern in Nebenrollen um den Jungfernkranz.

Foto: Entenproduktion

Ganz ohne aggressive Tendenz ist weder die „Geierwally“, noch war es Bockmayer selbst, war er es nicht in seinen Filmen noch in den kölschen Bühnenlustspielen, die das Comedy-Genre aus dem Hinterzimmer bis ins Fernsehstudio geholt haben. „Ganz ohne“ war er nicht. Blitzschnell erfasste er Personen und Situationen. Ein Voyeur aus Instinkt und Notwendigkeit. Es galt, vorausschauend zu sein. Karneval in seiner Urform meint: Spiel ohne Grenzen, zeitlich limitiert. Unter der Narrenkappe steckt immer die Jakobinermütze.

Fassbinder hatte nach Betrachten von Bockmayers „Jane bleibt Jane“ 1977 einen schönen Aufsatz über diesen Film geschrieben und darin sein Thema erkannt: dass nämlich „Jane bleibt Jane“ die Angst derer, die ihn drehten, vor dem Alter „erfahrbar, spürbar, endgültig“ mache. Das wäre so ein Erklärungsmodell für Bockmayers Credo, dass „jeden Tag Karneval“ ist, weil man doch irgendwann dem Fleisch ade und valet sagen muss. Es ist halt ein Tanz über Gräbern. Auch ein Liebesreigen. Und hat zu tun mit Bockmayers Erfahrung, dass die Älteren ihm etwas erzählen, die Jüngeren er jedoch entertainen muss.

Walter Bockmayer war maßlos, so wie seine „Geierwally“ enthemmt ist in ihrem Klamauk, der die Totenglocken übertönt, und zwar mit Kuhglocken. Er konnte sich nicht begnügen, wollte sich nicht fügen, wollte immer noch siegen, immer noch Alles oder Nichts – wie in Hildegard Knefs Schlussakkord von „Eins und Eins das macht Zwei“.




Die Geierwally
von Walter Bockmayer
DE 1987, 91 Minuten, FSK 12,
deutsche OF

Als DVD