Philipp Stadelmaier (Autor)

Taxi zum Klo

Taxi zum Klo

Diese Woche geht der Salzgeber Club in die dritte Runde und zeigt mit Frank Ripplohs "Taxi zum Klo" einen der großen Klassiker des schwulen Kinos in digital restaurierte Fassung. Bei seiner Erstveröffentlichung vor 40 Jahren löste der Film über einen offen schwulen Lehrer aus West-Berlin und dessen sexuelle Abenteuer einen Skandal in der braven Bundesrepublik aus – und wurde kurz darauf sensationell mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichnet. Philipp Stadelmaier über einen Film, der heute zurecht als Meilenstein des nicht-heterosexuellen Kinos aus Deutschland gilt, weil er in seiner Darstellung einer souveränen schwulen Hauptfigur der Zeit weit voraus war.
Zehn Filme des Jahres

Zehn Filme des Jahres

Eine verbotene Liebe in Kenia. Fünf wilde Jungs auf einer verwunschenen Insel. Zwei fremde Schwestern, die sich gleichen. Französisches Wortgewichse in neuer Haut. Emily Dickinsons Ehrenrettung. Erinnerungen an das Begehren früherer Tage. Phantome aus Blut und Sperma. Die Befreiung des weiblichen Blicks. Genderrevolten in Genf. Und eine sagenhafte Grenzüberschreitung. Zu Silvester wagt sissy wieder einen Blick zurück – und freut sich über ein großartiges, vielgestaltiges queeres Kino-Jahr, das uns vor allem mit vielen starken weiblichen Perspektiven begeistert hat. Eine kleine Passage entlang zehn nicht-heterosexueller Filmhighlights der letzten zwölf Monate – wie gewohnt in Form kurzer Auszügen aus den Originalrezensionen unserer Autor*innen.
Synonymes

Synonymes

Yoav kommt aus Israel nach Paris und erwischt keinen guten Start: Als er in einer leer stehenden Wohnung ein Bad nimmt, werden ihm erstmal all seine Sachen gestohlen. Caroline und Emile kommen ihm zu Hilfe und werden seine Freunde, doch ihr Interesse ist nicht ganz selbstlos. Yoavs große Sehnsucht ist es, seine alte Herkunft abzulegen und Franzose zu werden. Das soll vor allem über die Sprache gelingen: Kein hebräisches Wort darf ihm mehr über die Lippen kommen auf seinen ziellosen Streifzügen durch die Stadt... Basierend auf eigenen Erfahrungen erzählt Nadav Lapid mit linguistischer Raffinesse von der Schwierigkeit, neue Wurzeln in einem fremden Land zu schlagen. Im Februar wurde sein rauschhafter Trip durch Paris, der zugleich tragikomische Hommage an das Kino der Nouvelle Vague ist, aber auch einen dezidiert queeren Blick in sich trägt, mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Philipp Stadelmaier über ein (film)sprachliches Meisterwerk, das ab heute bundesweit im Kino zu sehen ist.
Jonas

Jonas

Neu als DVD und VoD: Jonas ist 33 und arbeitet dort als Krankenträger. In seiner Freizeit lässt er sich von einem Sexdate zum nächsten treiben, nachts zettelt er in Clubs regelmäßig Streit an. Er kann nicht vergessen, was vor 18 Jahren mit ihm passiert ist, kann Nathan nicht vergessen, den coolen Jungen mit der Narbe im Gesicht, der im neuen Schuljahr plötzlich neben ihm saß und ihm kurz darauf seinen ersten Kuss gab. Und den er in einer verhängnisvollen Nacht für immer verlor. Regisseur Christophe Charrier verknüpft in seinem Film virtuos zwei Zeitebenen miteinander, auf denen er vom schwulen Heranwachsen im Frankreich der 90er, der ersten großen Liebe, von Scham, Schuld und einem gewaltigen, alles verzehrendes Trauma erzählt, das nach und nach an die filmische Oberfläche kommt wie die Erinnerung an einen düsteren Traum. In der Hauptrolle brilliert mit Félix Maritaud ("120 BPM", "Sauvage", "Messer im Herz") einer der derzeit angesagtesten jungen Darsteller des europäischen Kinos. Für unseren Autor Philipp Stadelmaier erzählt "Jonas" vor allem die Geschichte einer verlorenen Unschuld.
Konsequenzen

Konsequenzen

Neu als DVD und VoD: Weil er sich nicht an Regeln halten kann, landet Andrej erst vor Gericht und dann in einer Besserungsanstalt für Jugendliche. Unter den Teenagern dreht sich alles um Drogen, Sex und Gewalt. Und es herrscht eine klare Hackordnung, an deren Spitze der brutale und unberechenbare Gangleader Željko steht. Andrej und Željko geraten sofort aneinander, doch aus der Rivalität wird bald eine Kameradschaft, in der sich Andrej klar unterordnet. Doch je länger die beiden Zeit zusammen totschlagen, desto mehr fühlt sich Andrej auch körperlich zu Željko hingezogen... Fesselnd und authentisch erzählt "Konsequenzen" von unterdrücktem sexuellem Begehren und Teenage Angst, von den rohen Impulsen des Heranwachsens und den Unsicherheiten, die darunter liegen. Für seinen schonungslosen Debütfilm konnte Regisseur Darko Štante auf eigene Erfahrungen als Lehrer in einem slowenischen Jugendgefängnis zurückgreifen. Philipp Stadelmaier schreibt für uns über einen rauen und vor homosexueller Potenz strotzenden Coming-of-Age-Film, in dessen Zentrum ein jungen Mann steht, der versucht, ein guter Hetero zu sein, obwohl es vielleicht nichts gibt, was ihm weniger liegt.
The Favourite

The Favourite

England im frühen 18. Jahrhundert. Es herrscht Krieg mit Frankreich. Der Hofstaat der gebrechlichen Königin Anne ist von Neid, Intrigen und Verrat zerfressen. De facto wird das Land von Annes enger Vertrauten und heimlichen Geliebten Lady Sarah regiert. Als Abigail als neues Dienstmädchen an den Hof kommt, nimmt Sarah sie unter ihre Fittiche. Doch Abigail verfolgt schon bald den ehrgeizigen Plan, die neuen Favoritin der Königin zu werden. Der neue Film des griechischen Regie-Stars Giorgos Lanthimos ("Doogtooth", "The Lobster", "The Killing of the Sacred Dear") ist mit großartigen Darstellerinnen (Olivia Colman, Emma Stone, Rachel Weisz) gespickt, wurde bereits mit Preisen überhäuft und soeben für zehn Oscars nominiert. Philipp Stadelmaier unterzieht Lanthimos' feministischem Ränkespiel einer sexuellen Strukturanalyse und erkennt "Macht" als abstrakte Ordnung, der alle Figuren unterworfen sind. Einblicke in ein queeres Kabinett aus Körpern, die gekrümmte Räume mit offenen Rändern bevölkern.
Acht Filme des Jahres

Acht Filme des Jahres

Das nicht-heterosexuelle Kinojahr 2018 war so vielfältig wie kaum ein Jahr zuvor – vor allem was die Perspektiven und Lebensentwürfe seiner filmischen Figuren betrifft. Wir haben für Euch unsere acht Highlights der vergangenen Monate zusammengetragen und stellen Sie mit kurzen Spotlights in den Worten unserer Autor*innen noch einmal vor. Eine Rückschau auf ein schwules Arbeiterkind, das aus der französischen Provinz nach Paris flüchtet, um dort eine neue Entfremdung zu erleben. Auf eine schüchterne Studentin in Oslo, die sich mit übernatürlichen Kräften aus der Hetero-Hölle ihrer Kindheit befreit. Auf einen Schriftsteller, der im Paris der frühen 90er nicht mehr lange zu leben hat und sich trotzdem ein letztes Mal verliebt. Auf eine Ballettschülerin in Gent, die einen Penis zu viel hat. Auf einen altklugen Professorensohn, der während eines Sommers in der Lombardei erfährt, was er alles noch nicht weiß. Auf einen US-amerikanischen Teenager, der an seiner High School zwangsgeoutet wird und erst so in ein großes Liebesmärchen schliddert. Auf zwei Frauen, die sich in São Paulo die Mutterschaft für ein Werwolfkind teilen. Und auf einen Stricher, der so frei und so einsam durch Straßburg zieht wie ein wildes Tier.
The Cakemaker

The Cakemaker

Der Berliner Konditor Thomas hat eine Affäre mit Oren, einem verheirateten Mann aus Israel. Als Oren tödlich verunglückt, reist Thomas nach Jerusalem zu dessen Frau Anat und dem kleinen Sohn, heuert im Café der Familie als Bäcker an und hat mit seinen deutschen Kuchen riesigen Erfolg. Doch je tiefer er in das früherer Leben des Geliebten eintaucht, desto größer wird auch die Lüge, die zwischen ihm und Anat steht. Was ein wenig wie ein schnulziger Obsessions-Thriller klingt, entwickelt der in Berlin lebende israelische Regisseur Ofir Raul Graizer zu einem sensiblen Liebes- und Trauerfilm, der still und entschlossen vermeintliche Kultur- und Begehrensgrenzen überschreitet. Für sissy schreiben gleich zwei Autoren über den israelischen Oscar-Kandidaten "The Cakemaker": Andreas Köhnemann ist beeindruckt, wie nah der Film seinen Figuren kommt, den anwesenden und den abwesenden. Philipp Stadelmaier schaut sich den Film vor allem mit seinem Magen an – und hat danach Lust auf Kirschtorte.
Girl

Girl

Bei seiner Weltpremiere im Mai in Cannes wurde "Girl" erst mit stehenden Ovationen gefeiert und dann mit der Queer Palm und der Caméra d'Or – dem Preis für den besten Erstlingsfilm – ausgezeichnet. Mit traumwandlerischer Sicherheit erzählt der junge belgische Regisseur Lukas Dhont darin die Geschichte der 15-jährigen Lara, die mit ihrem Vater und kleinem Bruder nach Brüssel zieht, um sich an einer renommierten Akademie zur Ballerina ausbilden zu lassen. Neben dem Einstieg in die neue Schule beschäftigt Lara vor allem die bevorstehende Hormonbehandlung. Denn mit ihrem 16. Geburtstag darf sie, die als Junge geboren wurde, aber sich schon immer als Mädchen gefühlt hat, endlich offiziell mit der Anpassung ihres biologischen Geschlechts beginnen. Dhonts großer Wurf besteht darin, dass er einen Film weniger über eine Transition, als, sehr viel subtiler und grundlegender, über einen Penis gemacht hat, findet unser Autor Philipp Stadelmaier. Und ist dabei vor allem von Victor Polster beeindruckt, dem kühnen Lara-Darsteller, der in Cannes mit dem Darsteller-Preis der Sektion "Un Certain Regard" geehrt wurde und diesen erst annahm, als das Festival einwilligte, ihn geschlechtslos zu verleihen. Im Oktober ist "Girl" als Special in der queerfilmnacht zu sehen, am 18. Oktober startet er regulär in den Kinos.