The Favourite
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England im frühen 18. Jahrhundert. Es herrscht Krieg mit Frankreich. Der Hofstaat der gebrechlichen Königin Anne ist von Neid, Intrigen und Verrat zerfressen. De facto wird das Land von Annes enger Vertrauten und heimlichen Geliebten Lady Sarah regiert. Als Abigail als neues Dienstmädchen an den Hof kommt, nimmt Sarah sie unter ihre Fittiche. Doch Abigail verfolgt schon bald den ehrgeizigen Plan, die neuen Favoritin der Königin zu werden. Der neue Film des griechischen Regie-Stars Giorgos Lanthimos („Doogtooth“, „The Lobster“, „The Killing of the Sacred Dear“) ist mit großartigen Darstellerinnen (Olivia Colman, Emma Stone, Rachel Weisz) gespickt, wurde bereits mit Preisen überhäuft und soeben für zehn Oscars nominiert. Philipp Stadelmaier unterzieht Lanthimos‘ feministischem Ränkespiel einer sexuellen Strukturanalyse und erkennt „Macht“ als abstrakte Ordnung, der alle Figuren unterworfen sind. Einblicke in ein queeres Kabinett aus Körpern, die gekrümmte Räume mit offenen Rändern bevölkern.
Ich träumte, ich stach Dir ins Auge
Alles beginnt in der Scheiße. In dem Moment, in dem sie vor dem Schloss aus der Kutsche steigt, fliegt Abigail (Emma Stone) in den Dreck, und da zu diesen Zeiten die Leute größtenteils auf die Straße kackten, tritt sie der Herzogin von Marlborough nicht nur schmutzbeschmiert, sondern auch eingehüllt in ein entsprechendes Odeur gegenüber. Sarah Churchill, die Herzogin von Marlborough (Rachel Weisz), rümpft die Nase, aber stellt sie ein. Als Bedienstete.
Auf diese Weise gelangt Abigail, eine auf die unteren sozialen Schichten abgefallene Adelige, an den Hof der englischen Königin Anne. Wir sind im 18. Jahrhundert, England ist im Krieg mit Frankreich, die Königin Anne psychisch und physisch angeschlagen. Zwischen Gichtanfällen, geschwollenen Beinen und Bulimie ist sie kaum in der Lage zu regieren. Das hat sich Sarah, die mächtigste Frau am Hofe, zunutze gemacht: Die Herzogin ist die Liebhaberin der Königin, die von ihr abhängig ist und die Politik macht, welche die Lady wünscht. Sarah gibt ihr Zuckerbrot und Peitsche, mal ihren Körper und mal eine Demütigung: „Du siehst aus wie ein Dachs, so kannst du niemandem gegenüber treten.“
Was Giorgos Lanthimos in seinem neuen Spielfilm zeigt, ist Abigails Aufstieg und ein Kampf um die Macht, in dem der Sex unter Frauen (und, aber nur am Rande, auch mit Männern) die weapon of choice der Intrige ist (mit Gewehren schießt man hier nur auf Tauben, Menschen erlegt man im Bett). Abigail sichert sich die Gunst der Lady Marlboroughs, gelangt als Kammerzofe in ihre Dienste und später, als neue „Favoritin“, ins Bett der Königin.
In diesen Ränkespielen erweist sich Lanthimos zunächst als Strukturfanatiker. Schon sein vorletzter Film, „The Lobster“, machte das deutlich. Die „Struktur“, der die Personen dort dank einer biopolitischen Dystopie um jeden Preis entsprechen mussten, war das „Liebespaar“ – sie mussten, mechanisch, Ähnlichkeiten untereinander finden, um sich vereinen zu können. Die abstrakte Struktur in „The Favourite“, der alle Individuen unterworfen sind, ist Macht. Machtpositionen werden besetzt und neu vergeben: An Lady Marlboroughs Stelle der „Favoritin“ tritt Abigail, und mit dem Antritt dieser Stelle nimmt sie, die so viel durchgemacht und der man den Aufstieg erst noch gewünscht hat, eben die Bosheit an, die schon ihre Vorgängerin ausgezeichnet hat, also durch die Struktur vorgeben wird. Eigenschaften sind strukturbedingt, niemals individuell.
Daher ist der Film weniger dafür interessant, dass er eine offensichtliche feministische Agenda verfolgt: Das Spiel um die Macht ist eine Partie für mächtige, emanzipierte Frauen, während die Männer Nebenfiguren bleiben. Sondern er ist dafür interessant, dass die Rolle dieser Frauen und ihre Macht auf niemals etwas anderes als auf eine Struktur zurückfällt.
Von den Fäkalien auf der Straße über nackte Männer, die sich vergnügt quickend mit Orangen bewerfen lassen, bis hin zum kranken Körper der Königin: Lanthimos Film ist ein bisweilen queeres Kabinett aus Körpern, die einen Raum bevölkern, der nur vordergründig homogen wirkt (das Schloss, das der Film so gut wie nie verlässt). Es lohnt sich dennoch, zunächst auf diese vermeintliche Homogenität zu sprechen zu kommen.
Der Barock, das museale Flair, die geschminkten Gesichter, die Kostüme, die Wandteppiche und die Szenen, die nur durch Kerzen belichtet werden, ja sogar einige Musikstücke – all das erinnert an die enorme technische Maschinerie, mit der Stanley Kubrick einst in „Barry Lyndon“ (1975) ebenfalls das 18. Jahrhundert wieder zum Leben erweckte, wobei dieses als beinahe schon erkaltetes Produkt dieser Maschine deutlich wurde. Der Raum bei Kubrick war bis ins Letzte geplant und ausgestaltet, homogen eben, verfasst in geraden Linien und geometrisch, war eine Gemäldegalerie, die das Auge endlos durchwandern konnte, um möglichst lange bis zu dem Moment zu brauchen, an dem alles in der schieren Leblosigkeit zusammensackte.
Ganz anders jedoch ist der Raum bei Lanthimos: fremdartig, an den Rändern offen, gekrümmt. Gekrümmt wird der Raum durch die Kamera – immer wieder sehen wir die Szenen durch ein Froschauge, so dass das Raum verzerrt wird und das Bild wirkt, als würde eine unter der Oberfläche unsichtbare Hand einen Stoff ausstülpen, das Bild in der Mitte anheben, es nach den Seiten spannen, Kurven ins Bild einziehen. Es ist, wie wenn Abigail unter dem Rock der Königin mit den Händen ihre Beine massiert und mit der Hand immer weiter bis zum Geschlecht vordringt, bis sich der Körper der Königin – vor Lust, vor Schmerz – durchbiegt. Der Raum ist krumm, der Raum ist queer.
Lanthimos Interesse für (Macht-)Strukturen ist klar. Das ist der strenge Aspekt des Films. Aber dann gibt es noch diesen verspielten und dynamischen Aspekt. Das Froschauge der Kamera krümmt die Welt und macht aus ihr ein Rund, eine sich drehende Maschine, ein Karussell, in dem die Personen durcheinandergewirbelt werden, in Bewegung geraten. Es macht aus dem Raum des Films auch einen Zoo, für die Menschen ebenso wie für die Tiere. In ihren Gemächern hält sich die Königin Karnickel, die ihre totgeborenen oder bei der Geburt gestorbenen Kinder repräsentieren sollen; Lady Sarah und Abigail wetteifern im Taubenschießen; es werden Enten- und Hummerrennen veranstaltet.
„Ich träumte, ich stach dir ins Auge“, so lautet ein Kapitel des Films und der Satz in einem Brief, den Sarah an ihre Königin und Bettgefährtin richtet. Was ins Auge sticht ist ein gekrümmter Raum, der die Körper bearbeitet, sie überhaupt erst zu einer Spezies, einem Geschlecht, einer Klasse, einer Position bei Hofe macht und sie dabei verzerrt, entstellt; der sie in Strukturen hineinbiegt, die sich niemals ausgesucht haben. So gekrümmt bäumen sie sich aber auch auf, als schiere Körper, die sie zunächst einmal sind. Dieser Film, der mit einem Sturz in die Scheiße beginnt, findet darin ihren kleinsten gemeinsamen Nenner: Alle sind letztlich nur Körper, die scheißen, aber im Froschauge von Lanthimos‘ Kamera vorübergehend zu einer grotesken Form gelangen.
The Favourite
von Giorgos Lanthimos
UK/IR/US 2018, 120 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,
20th Century Fox
Ab 24. Januar hier im Kino.