Konsequenzen

TrailerDVD / VoD

Neu als DVD und VoD: Weil er sich nicht an Regeln halten kann, landet Andrej erst vor Gericht und dann in einer Besserungsanstalt für Jugendliche. Unter den Teenagern dreht sich alles um Drogen, Sex und Gewalt. Und es herrscht eine klare Hackordnung, an deren Spitze der brutale und unberechenbare Gangleader Željko steht. Andrej und  Željko geraten sofort aneinander, doch aus der Rivalität wird bald eine Kameradschaft, in der sich Andrej klar unterordnet. Doch je länger die beiden Zeit zusammen totschlagen, desto mehr fühlt sich Andrej auch körperlich zu Željko hingezogen… Fesselnd und authentisch erzählt „Konsequenzen“ von unterdrücktem sexuellem Begehren und Teenage Angst, von den rohen Impulsen des Heranwachsens und den Unsicherheiten, die darunter liegen. Für seinen schonungslosen Debütfilm konnte Regisseur Darko Štante auf eigene Erfahrungen als Lehrer in einem slowenischen Jugendgefängnis zurückgreifen. Philipp Stadelmaier schreibt für uns über einen rauen und vor homosexueller Potenz strotzenden Coming-of-Age-Film, in dessen Zentrum ein jungen Mann steht, der versucht, ein guter Hetero zu sein, obwohl es vielleicht nichts gibt, was ihm weniger liegt.

Foto: Edition Salzgeber

Ratte auf Umwegen

von Philipp Stadelmaier

Siebzehn sein und währenddessen seine Homosexualität entdecken, darüber gibt es einige schöne Filme. Zum Beispiel „Mit siebzehn“ von André Téchiné aus dem Jahr 2016, in dem sich zwei Jungs erst prügeln und dann lieben; zum Beispiel „Siebzehn“, der Debütfilm von Monja Art, der 2017 mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichnet wurde und von erster lesbischer Liebe in einem österreichischen Internat erzählt.

Andrej, der Protagonist von Darko Štantes Debütfilm „Konsequenzen“,  ist ebenfalls in diesem Alter. Auf einer Party schleppt ihn ein Mädchen ins Zimmer, schleudert ihn aufs Bett und reißt ihm die Kleider vom Leib, aber – Klassiker in solchen Situationen – er kriegt keinen hoch. Was folgt, ist das tief in der Heteronormativität verankerte, klassische Demütigungslevel: Wie kann er nur! „Alle anderen Typen da draußen wollen mich ficken, und du bist in deinem Alter schon impotent.“ Männer haben ficken zu können; Frauen, wenn sie hübsch genug sind, sich ficken zu lassen; Penetration ist alles. Was daraufhin passiert, sehen wir nicht mehr, aber da das Mädchen weinend und mit ihren Kleidern auf dem Arm ins Wohnzimmer zu den anderen zurückkommt, kann man vermuten, dass es schließlich auf einer anderen als der gewollten Ebene körperlich geworden ist. Und wenn schon diese erste Anvisierung ein Irrtum war und Andrej schlichtweg nicht auf Frauen steht? Der Junge hockt in sich versunken auf dem Bett. Dann steht er vor Gericht.

Was ist bloß los mit ihm? Er sieht smart aus, ist freundlich, die Eltern sind solides Bürgertum. Vor Gericht erfahren wir, dass er die Schule geschmissen hat und von zu Hause Dinge stiehlt, um sie zu verkaufen. Andrej, ein Einzelkind, hat seine rebellische Phase, steckt voller schwer zu verstauender Wut, beim Abendessen schleudert er den Suppenteller durchs Zimmer. Jetzt auch noch die Sache mit dem Mädchen. Da geben die Eltern ihn in ein Besserungszentrum.

Dieser Ort ist eine Art besserer Jugendknast für junge Männer, die Insassen dürfen am Wochenende auch mal raus, nach Ljubljana, feiern. Nun gibt es in dieser reinen Männerwelt einen, der besonders aggressiv und kurzhaarig ist: Željko. Der Bursche hat im „Zentrum“ quasi eine Minimafia etabliert, jedem Neuankömmling werden die Spielregeln klar gemacht: Will Željko eine Zigarette, dann gibst du ihm eine Zigarette; nimmst du einen Zug von seinem Joint, hast du einen Schuldnervertrag unterschrieben, der dich auf die Rückzahlung einer vom Boss nachträglich festgelegten Summe verpflichtet. Aber gleichzeitig braucht Željko natürlich ein paar Leute, die ihm beim Geldeintreiben assistieren, und nachdem Andrej aus den ersten Auseinandersetzungen auf dem Basketball Court und im Fitnessraum einigermaßen gut hervorgegangen ist, wird er selbst einer von Željkos Jungs. Beziehungsweise Željko macht ihn zu einem seiner Jungs.

Würde Andrejs Leben etwas ruhiger verlaufen, dann würde diese Story gemächlich auf ein Coming-out zulaufen. Aber Andrej erlebt seine Suche nach seiner sexuellen Orientierung, nach seiner Homosexualität nur über Umwege; Körperlichkeit und Gewalt sind dabei nie zu trennen. Der gescheiterten sexuellen Begegnung mit dem Mädchen am Anfang, die in Aggression umschlug, folgt die aggressive körperliche Konfrontation mit Željko, die zur sexuellen Begegnung wird. Homophobie, der Hetero-Chauvinismus der Zentrumsinsassen, das Partymachen mit Frauen, die komplette Randfiguren bleiben – all das fällt hier mit dem Begehren nach anderen Männern in eins. Zuerst zwingen Željko und Co. Andrej auf ein Sofa und stopfen ihm ein Sandwich in den Mund, als würden sie ihm einen Schwanz reinstecken, während sie ihn als „Schwuchtel“ beschimpfen. Später, als Andrej schon Teil der Gruppe ist, kommen er und Željko sich näher. Für Andrej könnte das eventuell was Ernsteres sein. Bei Željko scheint klar, dass er Sex benutzt, um Leute an sich zu binden. Wie Will Ferrell in „Casino Undercover“ sagen würde: He makes this boy his puppet.

Foto: Edition Salzgeber

Schwuler Sex und körperliche Demütigung können hier ebenso wenig getrennt werden wie in Rainer Werner Fassbinders „Querelle“ (1982), der daraus in seinem letzten Film (und in den Stapfen Jean Genets) ein komplexes Spiel mit der opaken Projektionsfläche eines Matrosen gemacht hat. Opak ist Štantes Film insoweit, als dass schwuler Sex oder schwule Liebe ständig präsent sind, aber niemals direkt thematisiert werden können, und wenn, dann nur, um jemanden zu demütigen, bloßzustellen: als Machtinstrument. Niemals kann man von einem eindeutig homosexuellen Kontext reden. Man ist sich nicht sicher, ob etwas gerade „echtes“ Begehren war, ob Žele Andrej nur ausbeutet und ob Andrej selbst klar ist, was und wen er will.

Vor allem aber ist Štantes Film von einer großen Einfachheit. Die Körper schwingen nicht hin und her, in einem ständigen Wechsel aus Anziehen und Abstoßen wie in Téchinés „Mit siebzehn“, sondern sie knallen direkt aufeinander. Der Film bleibt auf der Ebene des Sozialen, auf der es um die Frage geht, wie sehr Liebe und Begehren unter Männern in einer bestimmten Gesellschaft oder Gesellschaftsschicht akzeptiert sind oder nicht, wobei das Soziale hier ein wilder und rougher Spielpatz ist, auf dem es keine Kontrollinstanz gibt. Die Eltern sind überfordert und schieben die Kinder in Heime ab; dort sind die Sozialarbeiter und Lehrer zwar verständnisvoll und deeskalierend, aber auch naiv, einflusslos und schwach. Einem herumbrüllenden Berserker wie Žele haben sie nichts entgegenzusetzen, außer ihn nett zu bitten, sich doch bitte zu benehmen und zu seiner Lerngruppe zurückzukehren. Ansonsten drohen sie ihm, wie auch Andrej nach mehreren Vergehen und nächtlichen Eskapaden in Ljubljana, mit „Konsequenzen“, die dem Film seinen Titel geben. Nun werden hier niemals irgendwelche „Konsequenzen“ gezogen, und es bleibt auch völlig unklar, worin diese eigentlich bestehen sollten.

Foto: Edition Salzgeber

„Konsequenzen“ ist gerade deshalb ein so passender Titel, weil man einerseits den Eindruck hat, dass eben nichts eine Konsequenz hat; und das anderseits nichts, was passiert, wirklich etwas ändern kann an der einzigen Konsequenz, über die es keinerlei Zweifel geben kann: Sag wer und was du wirklich bist, und man lässt dich alleine. Das war auch der Fall in Monja Arts „Siebzehn“ – und im schönen US-amerikanischen Indie-Film „Beach Rats“ (2017) von Eliza Hittman, an den „Konsequenzen“ oft erinnert. Ein junger weißer Bodybuilder aus dem Arbeitermilieu in Brooklyn probiert darin Drogen und seine Homosexualität aus – während er nach außen hin in seinem homophoben Arbeitermilieu den typischen Heteroproleten gibt. Hier wie dort unternimmt ein junger, muskelbepackter Mann mit kurzen Haaren den Versuch, ein guter Hetero zu sein, während es nichts gibt, was ihm weniger liegt. In beiden Filmen gibt es keine pädagogische „Haltung“ zu einem „Thema“, nur die nackte Tatsache, dass man nicht sagen kann, wer und was man ist (schwul, lesbisch, anders), ohne auf die Fresse zu kriegen.

Die letzte Konsequenz in „Konsequenzen“ ist daher das Alleinsein. Und die Notwendigkeit, sich auf symbolische oder poetische Art von jenen menschlichen Körpern zu trennen, die einen ausgestoßen haben. Stattdessen assoziiert Štante seinen Antihelden bezeichnenderweise mit Ratten, die sich selbst dem massiven Vorurteil ausgesetzt sehen, Schädlinge zu sein, und auf die auch der Titel von Hittmans Film verweist: Andrej liebt seine Ratte, die bei seinen Eltern in einem kleinen Käfig wohnt und mit der er spielt, wie ein Kind, das seine Kräfte zu zähmen und in Zärtlichkeit zu kanalisieren weiß. Die Ratte, das ist er selbst, der schwule Junge, der von anderen wie eine Ratte behandelt wird, aber am Ende auch wie eine echte Ratte zubeißt. Es ist der letzte Umweg, den er gehen muss, um zu sich selbst zu gelangen. Um endlich der Aussätzige zu werden, der er zuvor noch nicht ganz sein konnte. Und um sich selbst zu befreien.




Konsequenzen
von Darko Štante
SL/AT 2018, 95 Minuten, FSK 16,
slowenische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (deutsche Fassung): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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