Kim hat einen Penis

Trailer Kino

Kim und ihr Freund Andreas sind irgendwie glücklich. Doch Kim will mehr. Sie will einen Penis. Nicht, weil sie gerne ein Mann wäre, sondern einfach nur, weil sie neugierig ist und das der Beziehung vielleicht einen neuen Kick geben könnte. Im neuen Film von Philipp Eichholtz geht das auch ganz einfach: Ab in die Schweiz, wo die Bestimmungen lockerer sind, ein paar Stunden in der Tagesklinik und mit einem Schwanz retour nach Berlin. Und dann mal sehen, was dieses zusätzliche Körperteil so macht mit einem, dem Alltag und dem Freund. Um eine Geschichte über weibliche Selbstverwirklichung zu erzählen, bedient sich Eichholtz eines aus Gender- und Queer-Perspektive erschreckend naiven Plots. Sein Film ist dabei zwar nicht direkt homo- oder transphob, findet unser Autor Stefan Hochgesand, aber in einer per se transphoben Gesellschaft riskiert Eichholtz mit seiner kaum reflektierten Sex- und Geschlechterkomödie erhebliche Kollateralschäden.

Foto: UCM.one/Darling Berlin

Schwanz bleibt Schwanz

von Stefan Hochgesand

In Skandinavien und auch in Russland heißen viele Männer Kim. In Korea ist Kim gar der geläufigste Familienname. So gesehen haben Abermillionen von Kims einen Penis. Einer mehr oder weniger macht da den Kohl nicht fett. Könnte man meinen. Kim im vierten Spielfilm von Philipp Eichholtz hingegen, ja die ist eine Frau, Pilotin übrigens, und hat auch nicht von Anfang an einen Penis, sondern lässt sich in einer Schweizer Tagesklinik einen basteln. Mal eben so. Aus Jux und Tollerei. „Frau Lindberg, was kann ich für sie tun?“, fragt der weißmelierte Mann im Kittel am Holzschreibtisch, auf dem, warum auch immer, obendrein ein Metronom steht. Vielleicht ja, weil die Dinge hier gar nicht schnell genug getaktet sein können. „Ich hätte gerne einen Penis“, erwidert gutgelaunt Kim Lindberg, die ihm gegenüber auf dem ausladend großen, khakifarbenen Sofa sitzt, das mit lustig bunten Kissen dekoriert ist. Ja, da habe sie Glück, weiß der Doktor zu werben, denn hier in der Schweiz seien die Bestimmungen ja ein bisschen lockerer als in Deutschland. Hormone nein? Umso besser, dann werde das alles noch billiger. Ein Termin gleich heute um 16 Uhr? Aber freilich, alles kein Problem. Und schon darf Kim im Tablet blättern, welchen Schniedel-Style sie haben will: „Huge Stevenson“ oder doch lieber „Squirty Jerky“? Die Qual der Wahl.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Kim ist mitnichten ein trans* Mann. Alles spricht dafür, dass sie sich als Frau versteht und bloß einfach mal neugierig auf einen Pimmel ist. Ja, warum auch nicht? Doof nur, dass der vielgelobte Regisseur Philipp Eichholtz, 36, den das US-Branchenblatt „Variety“ 2018 zu einem der zehn spannendsten aufstrebenden Regisseure in Europa kürte und der mit seinen zwei Vorgängerspielfilmen im Katalog von Netflix angekommen ist, schon bei seiner Plotprämisse so fahrlässig vorgegangen ist: „Smooth Gender Transition“ verspricht die Schweizer Klinik. Gender bezeichnet nun ja aber das soziale Geschlecht, und genau das will Kim gar nicht ändern, nur ihr körperliches Genital. Gurke statt Mumu.

Foto: UCM.one/Darling Berlin

Philipp Eichholtz hat eine kontrafaktische Welt kreiert, in der das möglich ist. Einfach mal eben so zwischen Tür und Angel das Geschlecht wechseln? Im Grunde ist das ja ein faszinierender Gedanke. Indes ist diese Welt mitnichten als Sci-Fi markiert, sondern sieht ansonsten einfach so aus wie die plumpe Welt, in der wir leben. Und es ist leider auch eine Welt, in der Nichtwissen und ganz große Ignoranz verbreitet sind, wenn es um trans* Menschen geht. Man denke nur an die inter*- und trans*-feindlichen Klo-Kalauer von Annegret Kramp-Karrenbauer 2019 auf dem Karneval. Der Regisseur nimmt für seinen ulkig gemeinten Penisplot billigend in Kauf, gesellschaftliche Vorurteile zu verstärken à la: „Ach, diese Transen lassen sich mal schnell ihr Geschlecht umoperieren, aus Spaß und weil das gerade so hip ist in Berlin.“ Eichholtz wollte ziemlich sicher keinen politischen Film, ja nicht mal einen Film über trans* Menschen machen, sondern nur eine Beziehungskomödie, die vielleicht ein bisschen klug sein sollte. Aber er ist dabei naiv und laissez-faire auf ein Sujetgelände gestolpert, auf dem man nicht herumstolpern sollte.

Foto: UCM.one/Darling Berlin

Die halb-improvisierten Dialoge gehen dann so: „Ich war neugierig“, sagt Kim, zurück zuhause in Berlin-Neukölln.  „Okay“, sagt ihr Freund, der passiv-softe, mal verständnisvolle, mal harmoniesüchtige Andreas, will dann aber wissen, ob sie jetzt ein Mann sei. „Nein, nein“, beteuert Kim, „willst ihn mal anfassen?“ – „Nee, gerade nicht… Du willst mich verlassen, oder?“ Die Grundstimmung von „Kim hat einen Penis“ ist allerdings nicht Trauerspiel, sondern Fernseh-Sketch, irgendwie zwischen Loriot und NDR Extra 3, bloß in nahezu Nicht-lustig. Am nächsten Morgen reißt Andreas den PVC-Boden raus, man kennt das aus der Baumarktwerbung, aber auch schon aus Goethes „Wahlverwandtschaften“: Wenn das Gefühlsleben nicht mehr beherrschbar scheint, werkelt man irgendwas im oder am Haus, um sich nicht ganz so ohnmächtig vorzukommen. Wie (endlich ein Highlight!) Hauptdarstellerin Martina Schöne-Radunski da so melancholisch vor dem Spiegel steht und die Mundwinkel im Close-Up nur leicht, aber wirkungsvoll verzieht – das lässt kurzzeitig doch noch Hoffnung für den Film aufkommen.

Damit die Handlung in Schwung bleibt, taucht zu allem Überfluss aber dann auch noch die gemeinsame beste Freundin von Kim und Andreas auf: Anna, deren Freund, beziehungsweise dann logischerweise bald Ex-Freund, eine Andere geschwängert hat. Was Schwänze halt so anrichten können. Im insgesamt visuell eher ambitionslosen Film gibt es dann sogar mal wirklich schöne Szenen, etwa wenn die drei ihre Sorgen eine Nacht lang mit Luftschlangen und im Diskolicht wegträllern.

Foto: UCM.one/Darling Berlin

Mit Schwänzen kann man indes nicht nur schwängern, sondern auch masturbieren, aber das funktioniert erst mal nicht bei Kim. Oops, was ist da los? Anruf in der Schweiz. Derweil quatscht Andreas mit Annas treulosem Freund über Kims neues Gimmick, bis man sich einig ist: „Ein Penis ist niemals eine Metapher, ein Schwanz ist ein Schwanz.“ C’est la vie. Kim indes entdeckt in einem Sexshop zwischen Vibratoren ein Buch namens „Shemale Pleasure“, das für den Sexpartner ungeahnte Prostatagenüsse verspricht. „Mit Fotos, schön“, findet Andreas, oder sagt es eher nur, ohne dass man es ihm glaubt. Kurz darauf zieht er wieder den Schwanz ein, sozusagen: „Du willst mich ficken, oder? Bisschen viel alles.“

Und es kommt, wie es kommen muss: Kim kann den Bauarbeitern, die ihr hinterherpfeifen, neuerdings, Pimmel sei Dank, die Baustelle nasspullern, hihi. Auch wenn sich Andreas immer wieder von Kim vor vollendete Tatsachen gestellt fühlt, glaubt man den beiden sogar, dass sie sich aufrichtig mögen. Für vier Monate – so lange ist Kims Vagina, sozusagen undercover, noch standby unter dem Schniedel – sei das schon okay, den Schniedel auszuprobieren, meint Andreas, und Kim schwört ihm, dass sie ihn nur mit ihm testen will. Was, Achtung Spoiler, sie bald anders sehen wird. Andreas rubbelt sie lautstark zum Orgasmus, aber zum Glück geht es zwischendurch auch mal um aufregendere Themen, etwa ob man Lasagne besser mit Mozzarella oder mit Emmentaler bestreut.

Foto: UCM.one/Darling Berlin

Wenn man es sehr gut meint mit Philipp Eichholtz, kann man sagen: Der Film bemüht sich um eine neue Lockerheit mit Geschlechtsfragen, sogar für Cis-Heteros. Er geht stellenweise durchaus über die naheliegenden, breitgetretenen Gags hinaus. Gegen Ende schläft Kim sogar mit der Automechanikerin. Homophob ist das Alles nicht. Transphob auch nicht, aber in einer per se transphoben Gesellschaft riskiert Eichholtz Kollateralschäden. Der vermutlich gutgemeinte Film wirft Fragen auf, wie viel Selbstverwirklichung eine Beziehung verträgt – und wie viel Beziehung die Selbstverwirklichung. Nur warum, Herrgott im Himmel, musste dazu dieser Pimmel sein? Vielleicht hätte Eichholtz länger über dem klügsten, bereits erwähnten Satz in seinem Film meditieren sollen: „Ein Penis ist niemals eine Metapher.“




Kim hat einen Penis
von Philipp Eichholtz
DE 2018, 85 Minuten, FSK 12,
deutsch OF,

UCM.one/Darling Berlin

Ab 13. Juni hier im Kino.

 

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