Studio 54 – The Documentary

Trailerqueerfilmnacht

Wilde Partys, Drogenexzesse und hemmungsloser Sex – das New Yorker Studio 54 war der berühmteste Nachtclub der späten 1970er Jahre. Mit seinen ausschweifenden Feiern zog er Weltstars wie Michael Jackson, Andy Warhol und Liza Minelli in seinen Bann. Mark Christopher hat in seinem legendären Spielfilm „Studio 54“ (1998/2015) dem Club und seinem 1989 verstorbenen Co-Gründer Steve Rubell, dargestellt von Mike Myers, ein Denkmal gesetzt. Über 30 Jahre nach der Schließung des Clubs im Jahr 1986 erzählt Matt Tyrnauer nun in seinem gleichnamigen Dokumentarfilm vom Aufstieg und Niedergang des Mythos „Studio 54“ – und konnte dafür u.a. erstmals den zweiten Gründer, Ian Schrager, für ein ausführliches Interview gewinnen. Andreas Köhnemann über das vielschichtige Porträt eines Urorts nicht-heterosexueller Partykultur, das im Juni exklusiv in der queerfilmnacht auf der großen Leinwand zu sehen ist.

Liza Minelli, Bianca Jagger und Andy Warhol (v.l.n.r) – Foto: Weltkino

Ein Ort der Möglichkeiten

von Andreas Köhnemann

Sie hatten das Ziel, den ultimativen Nachtclub zu erschaffen: Im Jahre 1977 verwandelten Steve Rubell und Ian Schrager innerhalb von sechs Wochen ein leer stehendes ehemaliges Opernhaus und Fernsehstudio in Manhattan in einen Tempel des Hedonismus. Der Dokumentarfilm „Studio 54“ von Matt Tyrnauer erzählt von der Entstehung, dem einzigartigen Erfolg und dem raschen Niedergang des titelgebenden Clubs – und von der Freundschaft zwischen Rubell und Schrager, die von Letzterem an einer Stelle des Films mit einer Ehe verglichen wird.

Rubell starb 1989 im Alter von 45 Jahren an den Folgen seiner Aids-Erkrankung; er kommt im Film durch Tonaufnahmen, Ausschnitte aus Nachrichtensendungen und einen einstigen Talkshow-Auftritt zu Wort. Schrager war über 40 Jahre nach der Gründung des Clubs für diesen Film erstmals bereit, sich zur damaligen Zeit zu äußern, weil das Erinnern, wie er sagt, inzwischen „nicht mehr so wehtut“. Er redet über sein und Rubells Kennenlernen am College und darüber, wie er, der Introvertierte, und Rubell, der Extrovertierte, der jedoch nicht offen über sein Schwulsein sprach, nach ersten eigenen beruflichen Gehversuchen zu Partnern wurden und gemeinsam ins Nachtclubgeschäft einstiegen.

Tyrnauer nutzt Fotografien, Filmschnipsel, Zeitungsartikel sowie umfangreiches Material aus Fernsehnachrichten und, nicht zuletzt, die passende Musik, um die späten 70er und frühen 80er, die Glanzzeit des Clubs, noch einmal aufleben zu lassen. Neben Schrager kommen u.a. Rubells Bruder Don, ehemalige Freund*innen, Stammgäste und Angestellte als talking heads zum Einsatz. Sammelalben werden durchblättert, alte Bilder betrachtet und teils süffisant kommentiert. Die dokumentarische Methode des Regisseurs ist durchaus konventionell. Bemerkenswert ist aber die Offenheit der Interviewten sowie die Ambivalenz, die Tyrnauer in der Darstellung des Clubs und seiner Besitzer zulässt.

Schrager möchte endlich „die wahre Geschichte“ erzählen, will mitteilen, wie das alles damals wirklich passiert ist – und akzeptiert dabei, dass Tyrnauer mit seinen Fragen alte Wunden aufreißt. „Sind Sie sicher, dass Sie kein Staatsanwalt sind?“, fragt er den Filmemacher in einer Szene lachend, als es um die dubiose Buchhaltung des Clubs und die Hinterziehung von Steuergeldern geht, die dazu führten, dass Schrager und Rubell 1980 ins New Yorker Bundesgefängnis mussten. „Ich schäme mich bis heute dafür“, sagt er wiederum, als Tyrnauer ihn darauf anspricht, dass er und sein Partner andere Clubbesitzer anschwärzten, um die eigene Haftdauer zu verkürzen. „Es ist aber wohl ein Teil der Geschichte“, schickt er hinterher.

Foto: Weltkino

Schatten gehören nicht nur zur Nachzeichnung der finanziellen Belange des Clubs, sondern auch zur Illustrierung des Nachtlebens in den 70er Jahren. Die Gegend um die 54th Street und Eighth Avenue, in der sich das Gebäude befindet, war seinerzeit „noch nicht disneyfiziert“, wie es im Film heißt: ein heruntergekommenes, schäbiges Viertel, in dem Kriminalität und auch Homophobie an jeder Ecke lauerten. Und genau hier entstand ein safe space, ein Ort der Zuflucht, an dem Freiheit, Entspannung, Diversität und Inklusion herrschten, wo sich schwule Männer öffentlich küssen konnten und man stets so tanzte, als sei man mit allen dort befreundet, ja tief verbunden. Eskapismus sei es, was er hier bieten wolle, erklärt Rubell einer Reporterin in einer Archivaufnahme.

Steve Rubell (l.), Ian Schrager – Foto: Weltkino

Das Studio 54 war eine andere Welt, die es ermöglichte, neben Berühmtheiten wie Elizabeth Taylor, Liza Minnelli, Divine, Bianca Jagger oder Andy Warhol zu tanzen. Noch wichtiger war vielleicht jedoch ein Punkt, den ein TV-Moderator im Gespräch mit Rubell formuliert: „Jeder, der da war, war ein Star.“ Der Film fängt die Aufregung und Erregung ein, die man als Besucher*in empfunden haben muss, wenn man den Club über eine Art Laufsteg mit verspiegelten Wänden betrat und von der Musik in den pulsierenden Innenraum hineigezogen wurde.

Der Spaß, völlig ungehemmt und angstfrei zu 125 beats per minute zu tanzen, wird in den eingestreuten 16-mm-Aufnahmen und den Worten der Zeitzeug*innen spürbar. Der beibehaltene Theater- und Studiolook des Clubs, das aufwendige Lichtdesign und der Gebrauch von Nebel-, Schnee- und Windmaschinen trugen dazu bei, dass der Clubbesuch zu einer Performance wurde. Auf einer Empore konnte man mit Ferngläsern die Leute auf dem Dancefloor beobachten.

Foto: Weltkino

Jede*r – natürlich auch die durchtrainierten Barkeeper in ihren knappen Shorts – war Teil einer Show, in der Drogen und Sex zentrale Rollen spielten. Und all das kam, wie an einer Stelle treffend bemerkt wird, in einem „Zeitfenster der Möglichkeiten“: kurz nach der Erfindung der Antibabypille und vor dem Ausbruch von Aids. Es war eine Ära, in der sich viele Menschen nach dem Vietnamkrieg und nach der Watergate-Affäre gänzlich der Lust und Freude widmen wollten. Die jungen Leute in der Schlange vor dem Club sahen aus „wie Verdammte, die aufs Paradies hoffen“, wie einer der Interviewten erklärt.

Steve Rubell (hinten r.), Cher – Foto: Weltkino

Auch hier lenkt Tyrnauer den Blick auf eine Schattenseite des großen Erfolges: Drinnen bot der Club die vollkommene Freiheit, ja eine Utopie, in der es keine Diskriminierungen mehr und keine Grenzen des Begehrens mehr gab. Doch nicht allen, die sich danach sehnten, wurde der Zutritt gewährt. So waren etwa Polyesterhemden ein absolutes No-Go. „Du bist unrasiert, du kommst nicht rein!“, ruft Rubell einem Mann in der Warteschlange zu. „Dieser Hut! Komm nie mit einem Hut her!“, spottet er, sich seiner Machtposition deutlich bewusst. Der Ort einer bestimmten Inklusion war zugleich ein Ort der Exklusion, mit dem freundlich-ekstatischen Begrüßen des Andersseins und der Exzentrik innerhalb des Clubs ging immer etwas Elitäres, eine bewusste Ablehnung und Demütigung vor den Türen einher.

Tyrnauers Film verklärt das Studio 54 und dessen Besitzer nicht. Und doch macht er deutlich, dass das Ende des Clubs nach nur 33 Monaten ein ungemeiner Verlust für die New Yorker Party- und Homosexuellenkultur war. Als „soziales Experiment“ wird das Studio 54 im Film einmal bezeichnet. Auch wenn bei diesem Experiment einige Fehler begangen sein mögen, als gescheitert sollte man es nicht ansehen.




Studio 54 – The Documentary
von Matt Tyrnauer
US 2018, 99 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,

Weltkino

Im Juni in der queerfilmnacht.

 

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