It’s My Party

TrailerDVD / Blu-ray

Fast zwei Jahrzehnte war Regisseur Randal Kleiser in Hollywood zuständig für massenkompatible Familienunterhaltung, er machte mit dem Musical „Grease“ (1978) Olivia Newton-John zum Weltstar und sorgte mit „Die blaue Lagune“ (1980) für feuchte Teenagerträume. 1995 aber verfilmte er mit „It’s My Party“ einen ganz persönlichen Stoff: die Geschichte seines Aids-kranken Lebensgefährten Harry Stein, der wenige Jahre zuvor nach einem Fest mit Freunden seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Anlässlich der deutschen Erstveröffentlichung des Films auf DVD und Blu-ray geht Axel Schock der Frage nach, warum „It’s My Party“ trotz eigentlich idealer Grundvoraussetzungen im Gegensatz zu „Philadelphia“ ein so wenig beachteter Aids-Film geblieben ist.

Foto: Vocomo

Ein letztes Tabu

von Axel Schock

„Du wirst mich doch nicht verlassen, oder?“ Nick, der gerade seine Aids-Diagnose bekommen hat, stellt diese Frage seinem Lebensgefährten freilich nur rhetorisch. Doch wenige Filmminuten später hat Brandon, ein erfolgreicher Regisseur von mediokren Unterhaltungsfilmen, den erkrankten Partner auch schon aus dem gemeinsamen Haus geworfen. Für die Entfremdung des Paares bis zur Trennung benötigt Randal Kleiser nur wenige Einstellungen. Vielleicht ist es die Angst vor einer Infektion oder vor der Tatsache, sich vielleicht bald schon um einen Sterbenden kümmern zu müssen, die aus Brandon (gespielt von Gregory Harrison) einen ziemlich kaltschnäuzigen Mistkerl machen.

Ein Jahr später ist es dann auch fast schon so weit. Bei Nick hat die Erkrankung zu einem Hirntumor geführt. Die Sehkraft ist bereits eingeschränkt; noch ein, zwei Wochen und er wird nicht mehr Herr seiner Sinne sein. Das will Nick aber nicht erleben, sondern – solange er noch bei klarem Verstand ist – seinem Leben selbst ein Ende setzen. Und seinen Abschied feiern.

Selten hat ein Song so gut zu einem Film gepasst, wie das titelgebende Lied von Leslie Gore: „It’s my party, and I’ll cry if I want to … You would cry too if it happened to you“. Wobei, es fließen überraschend wenig Tränen in diesem Drama über Aids, Freitod, Abschied, Beziehungsschmerz und späte Versöhnung. Das ist vielleicht das Bemerkenswerteste an Randal Kleisers autobiografischem Melodram, und womöglich auch ein Grund dafür, weshalb dieser Film 1996 – trotz seiner Weltpremiere beim damals bereits renommierten Sundance Festival und der Aufführung auf der Berlinale – so schnell in Vergessenheit geraten ist. In Deutschland beispielsweise kam er nach dem enttäuschenden Kinoeinsatz nicht einmal mehr auf Video heraus. Erst jetzt, fast ein Vierteljahrhundert später, erscheint der Film nun erstmals auf DVD und Blu-ray.

Gerade mal etwas mehr al 600.000 Dollar hatte „It’s My Party“ seinerzeit in den USA an den Kassen eingespielt; so viel wie Gregg Arakis alles andere als massenkompatibles Indie-Road Movie „The Living End“ (1992) – und das trotz eines beachtlichen Staraufgebots wie George Segal und Olivia Newton-John sowie den Oscar-Gewinnern Lee Grant und Marlene Matlin. „Philadelphia“ von Regisseur Jonathan Demme hatte zwei Jahre zuvor gezeigt, dass das Thema Aids auch für ein breites Publikum zugänglich gemacht werden kann. Norman René hatte mit seinem ebenfalls unabhängig produzierten Drama „Longtime Companion“ das 7,5-fache von „It’s My Party“ eingespielt. Warum also ist „It’s My Party“ so gefloppt?

Zwei Gründe dürften dafür eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der erste wird gerade im Vergleich mit den beiden genannten anderen Aids-Filmen deutlich: Randal Kleiser, der mit dem Musical „Grease“ Olivia Newton-John und John Travolta zu Stars gemacht und mit Streifen wie „Die blaue Lagune“ und „Liebling, jetzt haben wir ein Riesenbaby“ (1991) veritable Box-Office-Erfolge geliefert hatte, vermeidet ausgerechnet in seinem persönlichsten Film beinahe jedwede Emotionalität. Eric Roberts (genau, der Bruder von Julia) nimmt den Zuschauern jegliche Möglichkeit zur Empathie und Mitgefühl für seine Figur des todgeweihten Nick. Dieser bis zuletzt erfolgreiche Architekt geht mit der Diagnose eines Aids-bedingten Gehirntumors geradezu erschreckend abgeklärt um. Kein Moment des Zweifels oder der Verzweiflung. Sein offensiver Umgang mit seinem geplanten Freitod als Abschluss des Abschiedsfest scheinen eine Großzahl der Partygäste einfach zu igonieren. Andere, wie seinen Neffen, überfordert er, wie vielleicht auch manche Zuschauer*innen. „Warum zieht er uns damit rein und tut es nicht einfach?“, klagt der junge Mann unter Tränen.

Die Gründe für Nicks Entschluss mögen verständlich sein. Die Coolness jedoch, mit der er damit seinen Nächsten gegenüber umgeht, machen ihn fürs Kinopublikum aber nicht gerade zu einem sympathischen Helden. Seine frotzelnden, manchmal bewusst grenzverletzenden Späße tun ihr Übriges. In einer Rückblende drapiert er sich kess und wenig pietätvoll für einen Schnappschuss neben der (vermeintlichen) Leiche eines Freundes, der kurz zuvor sein Leben ein Ende gesetzt hat. Nein, Randal Kleiser hat wahrlich keine mitleidsheischende Figur geschaffen.

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Wie anders war da doch Tom Hanks Anwalt Andrew Beckett in „Philadelphia“: ein Todgeweihter, der bis zuletzt für sein Recht und gegen Ausgrenzung kämpft. Mit einem Aids-Kranken, der auf die amerikanischen Grundrechte schwört, konnten sich auch Millionen nicht-homosexueller und nicht von Aids betroffener Menschen solidarisieren. Nick aber will kein Mitleid, sondern lediglich selbstbestimmt über sein Ende entscheiden.

Auch in einem anderen entscheidenden Punkt ist Kleiser im Gegensatz zu Demme ein Risiko eingegangen. Die beiden von Tom Hanks und Antonio Banderas gespielten schwulen Männer in „Philadelphia“ hätten bis auf ihre Liebesbeziehung auch als spießige Heteros durchgehen können, ihre Lebensart war vorbildlich bürgerlich und wohlgeordnet, der Film zeigt quasi nichts, was auf ein breites Publikum damals hätte anstößig oder irritierend wirken können. Lediglich auf einer Hausparty durften ein paar exzentrische anonyme Wesen ohne Dialog und erkennbare Persönlichkeit im Getümmel so etwas wie die bunte gay community repräsentieren.

Bei Kleiser hingegen zählen zu dem (ausufernd großen) Ensemble neben der engeren Verwandtschaft auch ein großer Kreis an Freunden und Wahlfamilie: zickende Tucken, schamlose Lästerschwestern, attraktive Männerpaare, in die Jahre gekommene Durchschnitts-Homos, flamboyante Exzentriker. Und anders als Hanks und Banderas, deren einziger Kuss auf den Mund dem finalen Schnitt zum Opfer fiel, tauschen Eric Roberts und Gregory Harrison einen innigen Versöhnungskuss aus. Für so manch konservativen US-Amerikaner dürfte „It’s My Party“ so ziemlich alle Vorurteile vom Schwulsein bestätigt haben.

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Anderseits fühlte sich natürlich nur ein gewisser Teil des schwulen Publikum von „It’s My Party“ repräsentiert: „Man hat mir den Vorwurf gemacht, mein Film spiele in einer unechten Wirklichkeit der Reichen und Schönen“, sagte Kleiser 1995 in einem Interview. „Die Geschichte basiert auf Leuten, die ich kenne. Und so sieht mein Umfeld nun einmal aus. Das ist die Welt in der ich mich auskenne – und ich wollte den Film möglichst authentisch werden lassen, wenngleich das, zugegeben, nur meine Realität ist.“

Mehr noch: Viele der Mitwirkenden kannten nicht nur Kleisers Lebensgefährten Harry Stein, dessen Geschichte hier erzählt wird. Einige waren sogar 1992 auf der tatsächlichen Abschiedsparty des damals 39-Jährigen. Aus Kostengründen hat Kleiser in seiner eigenen Villa und am zugehörigen Pool gedreht, und seine Hollywoodfreunde, die sich hier selbst für unbedeutende Auftritte zur Verfügung stellten, lieferten auch ihre Kostüme gleich mit. Sally Kellerman erschien zudem mit ihrem Hund zu den Dreharbeiten, Eric Roberts reitete auf seinem eigenen Pferd durchs Bild.

Es gibt aber auch noch einen weiteren nicht unerheblichen Punkt, weshalb „It’s My Party“ innerhalb des Genres „Aids-Film“ über die beiden Jahrzehnte hinweg wenig Beachtung fand. Kleiser erzählt zwar von der späten Versöhnung eines – auch durch die Erkrankung – entfremdeten Paares, vom Abschied und vom Umgang mit der Krankheit. Das zentrale Thema des Films aber ist der selbstbestimmte Tod. Während in den meisten anderen bekannten, erfolgreichen, vielzitierten Filme zu HIV/Aids Themen wie Ausgrenzung, körperlicher Zerfall und Verlust im Zentrum stehen, und damit Wut, Trauer, Schmerz, Angst und Mitleid evoziert und transportiert werden, widmet sich „It’s My Party“ einem selbst innerhalb der HIV/Aids-Community lange tabuisiertem Thema.

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Kleiser setzt sich in seinem Film mit diesem Tabu intensiv auseinander. Da ist der bereits erwähnte Neffe, der sich wünschte, er hätte erst nach dem Vollzug vom geplanten Freitod des Onkels erfahren. Ein Freund Nicks kommt als gläubiger Katholik durch die Nachricht in Gewissenskonflikte und glaubt, Nick von der Tat abhalten zu müssen. In kurzen Rückblenden wird deutlich, was der Freitod von Schwersterkrankten bedeutet: Die Souveränität über den Körper und den unaufhaltsamen Zerfall zu bewahren und damit das eigene Leid zu verkürzen. Aber auch, dass nicht jeder Freitod gelingt: Der Freund, an dessen vermeintlichen Leichnam sich Nick für ein Foto in Szene setzt, röchelt noch und liegt im Koma, die Tablettendosis war offensichtlich zu gering. Nun müssen die Freunde die Sache zu Ende bringen, und für sie stellt sich die Frage: Kissen oder Plastiktüte?

Eine Entscheidung, die jeden der Beteiligten in ein kaum zu lösendes, moralisches Dilemma stürzt, ist eine Situation, die in den Hoch-Zeiten der Aidskrise keineswegs ein singuläres Ereignis war. Die aktive Beihilfe zum Freitod war über lange Zeit in der Aids-Community eine Realität, über die nicht zuletzt auch aus juristischen Gründen geschwiegen wurde. Erst im Jahr 2017 hat Robin Campillos Act-Up-Drama „120 BPM“ einen solchen Moment auf berührende Weise erzählt – und für seinen Film viel Kritikerlob und den Grand Prix in Cannes erhalten sowie mit seinem Drama über 1 Million Kinozuschauer*innen in Frankreich erreicht. Bereits 2003 hat Thom Fitzgerald in „The Event“ eine Abschiedsparty zu einer Art Krimi aufbereitet und sich – mit guter Absicht, aber nur bedingt überzeugend – an einem Plädoyer für die Beihilfe zum Freitod versucht. Bei der Berlinale erhielt sein Film zwar den Preis der Siegessäule-Leserjury, ein größeres Publikum fand der Film allerdings nicht. Und auch der thematisch nahe „The Last Supper“ (Teddy-Award-Gewinner der Berlinale 1995) blieb ein reines Festivalerlebnis. Regisseurin Cynthia Roberts hatte größte Schwierigkeiten für ihren Film überhaupt einen Verleih zu finden.

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Der junge Tänzer Chris (gespielt von dem kanadischen Theaterschauspieler Ken McDougall) zelebriert darin mit seinem Geliebten ein letztes Festmahl, bei dem sie ihre Beziehung Revue passieren lassen, sich ihrer Liebe versichern und schließlich ein befreundeter Arzt die zum Sterben notwendigen Medikamente verabreicht. „The Last Supper“ ist in seiner emotionalen Heftigkeit kaum zu ertragen. Nicht, weil der Film um Tränen heischt, sondern weil er für jeden erkennbar dicht an der Grenze zum Dokumentarischen verläuft: Hauptdarsteller McDougall lag tatsächlich im Sterben, gedreht wurde ausschließlich in seinem Zimmer in einem Aids-Hospiz. Nur wenige Tage nach Drehschluss war McDougall 41-jährig den Folgen seiner Aids-Erkrankung erlegen.

„Wäre ‚The Last Supper‘ unter der Nutzung der üblichen Kanäle der Filmindustrie produziert worden, der Film wäre nicht zustande gekommen“, sagte Cynthy Roberts seinerzeit bei der Berlinale-Premiere. „Oder schlimmer, er wäre zu einem ‚Krankheit der Woche‘-Unfug verkommen wie etwa ‚Philadelphia‘, der meiner Ansicht nach auf moralisch und künstlerisch verwerfliche Weise falschen Trost bietet.“

Aids, damals unabwendbar eine Krankheit zum Tode, hat in den späten 80er und frühen 90er Jahren nicht nur das Hospizwesen in Deutschland vorangebracht und die Bestattungs- und Trauerriten nachhaltig revolutioniert. Aids hat auch die Diskussion um das Recht auf Sterbehilfe belebt, auch wenn wir, zumindest hierzulande, noch nicht wirklich weiter damit gekommen sind. Es könnte dennoch interessant sein, sich die genannten Filme zur Sterbehilfe in Zeiten von Aids heute unter diesem Aspekt noch einmal genauer anzuschauen. Vielleicht ist das Publikum jetzt etwas mehr dazu bereit, sich mit diesem Tabu auseinandersetzen.




It’s my Party
von Randal Kleiser
US 1996, 110 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,

Vocomo

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