Siebzehn

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„Siebzehn“ erzählt von der Internatsschülerin Paula, die heimlich in Charlotte verliebt ist. Doch die ist mit Michael zusammen. Und dann bekommt Paula auch noch von Tim den Hof gemacht. Paula muss sich entscheiden, ob sie ihren eigenen Gefühlen folgt oder denen der anderen. Regie-Debütantin Monja Art zeigt in ihrem herrlich unkonventionellen Coming-of-Drama das Teenagersein in der niederösterreichischen Provinz als Achterbahnfahrt der Gefühle und in einer Ansammlung von amourösen Minidramen. Tania Witte spürt der jugendlichen Sehnsucht nach – und entdeckt ein Verlangen von unaufgeregter Gewaltigkeit. Ein Film über all das, was plötzlich geschehen könnte.

Foto: Salzgeber

An der Schwelle zur Erfüllung

von Tania Witte

Paula ist siebzehn und siebzehn sein ist eine Herausforderung. Sicher in einem kleinen Dorf in Niederösterreich, sicher wenn die Liebeslust einsetzt und ganz sicher, wenn das Objekt der Begierde vergeben ist. Und dann auch noch weiblich. Wie Charlotte, die Paula stumm und aufgeregt macht. Beide gehen auf eine Internatsschule, wobei Paula zuhause wohnt, mit ihrer älteren Schwester Magdalena und dem psychisch kranken Vater.

Das Leben dümpelt und lässt viel Raum für Abenteuer, die stattfinden könnten, es aber nicht tun. Stattdessen: Beziehungen. Eine schöne ist Paulas Freundschaft mit Kathrin und Marvin. Die Drei philosophieren über die Liebe („Wir machen ’ne Dreierbeziehung!“; „Aber dann schauen wir andere Filme, okay?“), das Leben, den Tod. „Ich will mit einem Lachen sterben“, sagt Marvin in einer dieser Szenen, die so echt wirken, als würde man nicht Schauspielern beim Schauspielen zusehen, sondern drei Teenagern beim Erwachsenwerden. Und gestorben wird ohnehin nicht, dafür geliebt.

Ein Vorzeigepaar: Charlotte und ihr Freund Michael, die beim Autofahren die Welt reflektieren. Eine unglückliche Liebe: Tim schaut Pornos, googelt dabei Anmachsprüche und sendet sie Paula. Ein Flirt: Mesut und Kathrin, inklusive „Oh ein Gott, er schaut mich an“, und peinlichen Slapstick-Momenten. Eine ungelebte Liebe: Paula, wie gesagt, und Charlotte, die sich zunehmend mehr von Michael weg und zu Paula hinträumt. Ein unangenehmes Begehren: Französischlehrer Tangler, zwanghaft, verklemmt und grenzneurotisch, steht auf Paula.

Keine der Lieben wird problematisiert – selbst der schmierige und überzeichnete Lehrer-Schülerin-Plot wird undramatisch verhandelt. Ohnehin steckt wenig Bewertung in „Siebzehn“, der Film lässt sich Zeit, setzt auf ruhige Bilder, auf den Sommer und die Jugend seiner Darstellerinnen und Darsteller. Die spielen so unaufgeregt, dass sich der Film in seinen besten Momenten anfühlt, als würde es keinen Plot geben, als ob die Betrachtenden unsichtbar dem Geschehen folgen würden. Eintauchen in eigene Erinnerungen vergangener pubertärer Sommer, die Seen der Vergangenheit, die Beklemmungen der Pubertät, das Hin- und das Weggucken, das Beben.

Regisseurin und Drehbuchautorin Monja Art, die selbst in Lanzenkirchen aufwuchs, räumt ein, dass durchaus autobiografische Erlebnisse ins Drehbuch geflossen seien. Vielleicht gelingt ihr deshalb, woran sich viele Coming-of-Age-Filme vergeblich abarbeiten: „Siebzehn“ wirkt echt. Weil Art beobachtet und abbildet, weil die Dialoge spontan und unverkrampft rüberkommen, Szenen wohltuend fließen gelassen werden, Raum bleibt für das Unvorhergesehene. Wie den Moment, in dem Paula gegen einen Pfeiler knallt, was nicht im Drehbuch stand, aber passt. Sie bleibt in ihrer Rolle, die Handlung läuft weiter wie das Leben. Verdient bekam Elisabeth Wabitsch, die bei den Dreharbeiten tatsächlich siebzehn Jahre alt war, für ihre Rolle als Paula den Max-Ophüls-Preis als beste Nachwuchsschauspielerin, und verdient wurde „Siebzehn“ ebenfalls mit dem Max-Ophüls-Preis als bester Film und dem Carl-Mayer-Drehbuchpreis ausgezeichnet.

Foto: Salzgeber

„Siebzehn“ bleibt spielerisch, selbst wenn es zum Sex kommt, wie zwischen Paula und Tim, der in sie verliebt ist und später zwischen Paula und Lilli, die in das Begehrt-Werden verliebt ist.
„Die meisten glauben, dass ich ein Freak bin oder so“, sagt Tim.
„Ich mag Freaks“, sagt Paula.
„Ich mag dich“, sagt Tim.
Sie schläft mit ihm, weil ihre Liebe zu Charlotte so unerreichbar scheint, oder aus Einsamkeit, aus Mitleid, aus Neugier. Danach bringt Tim ihr Limetten-Minzsaft und Kuchen, „selbstgemacht von der Mama“, aber da hat sich Paula schon wieder zugemacht. Sie isst den Kuchen gemeinsam mit Kathrin und Marvin bei einem Filmabend und lässt sich wenige Tage später von Schulschönheit Lilli umgarnen. Auch hier ist der Sex zwischen den jungen Frauen lediglich eine von vielen Varianten möglicher Sexualitäten, und auch hier findet keine Problematisierung statt, nicht mal als Lilli mitten im Unterricht rausposaunt, dass sie Paula „gern noch mal lecken“ würde. Zwischendurch: Chats in Blasen tauchen auf, Paula wartet auf Likes, Paula wird wiederholt nassgeregnet, Paula schaltet ihren Account offline, Paula reist zu einem Französisch-Wettbewerb nach Wien.

Im Auto sitzt neben dem Französischlehrer eine Lehrerin, als „Anstandswauwau“. Wieso, denkt Paula laut (und sinngemäß), wieso geht die Schulleitung davon aus, dass nicht die Lehrerin das Objekt ihrer Begierde und somit die potentielle Verführung sein könnte? Die Lehrerin stutzt, dann lacht sie, und zack, die Heteronormativität ist ausgehebelt. Und der Französischlehrer sitzt gequält im Publikum, als Paula in Wien Proust zitiert: „Wir lieben umso heftiger, was wir nicht haben können“.

Foto: Salzgeber

Vielleicht bleibt der Hauptplot unerfüllt, weil Proust recht hat. Oder weil das Kierkegaard-Zitat im Trailer zum Film Programm ist. „Was ist Jugend? Ein Traum. Was ist Liebe? Der Inhalt des Traums.“ Nicht mal zu einem Kuss zwischen Charlotte und Paula kommt es, obwohl beide wollen, so sehr wollen, dass selbst beim Sex mit ihrem Freund Paulas Statusmeldungen vor Charlottes innerem Auge auftauchen. Es bleibe beim Schwärmen, weil, sagt Regisseurin Monja Art, die Sehnsucht allzu oft an der Schwelle zur Erfüllung sterben würde. Also Sehnsucht, Verlangen, schneidbare Spannung.

Einmal berühren sich Paulas und Charlottes Hände in der internatsinternen Kneipe und das Bild wird moskitonetzweichgezeichnet. Zweimal sitzen sie gemeinsam im Auto, und Bilder blitzen auf, Bilder dessen, was geschehen können würde, wenn… Es passiert alles und nichts. Diese Offenheit und die Momente sind die große Stärke des Films, und doch hätte er hier und dort gestrafft werden können – bei den Tanzszenen im Club des Dorfes, bei der langen (schönen) Szene, in der Tim Paula an der Bushaltestelle anspricht, beim Konzert, das so etwas wie ein Date werden sollte, dann aber in erster Hilfe für eine Fremde auf dem Frauenklo endet („Wart, ich halt dir die Haare“). Ob der Französischlehrer wirklich wichtig ist? Geschenkt.

Foto: Salzgeber

Dafür hätte der Film besonders an einer Stelle mehr Aufmerksamkeit verdient, die er nur anreißt, das aber auf wundervolle Art. Die Beziehung von Paula zu ihrem Vater, dem „Verrückten“ birgt die rührendste Szene des Films und Massen an Potential für Charaktertiefe. Der Geburtstag des Vaters und das Ausblasen, Ausblasen, Ausblasen der Geburtstagskerze unter einer gläsernen Eicherustikal-Lampe, die Einsamkeit und Trostlosigkeit des Zuhauses, die ungestellte Frage nach dem Verbleib der Mutter – unbefriedigende Leerstellen.

Dem gegenüber stehen die Leichtigkeit der Szenen, das offene Ende, das mit dem Beginn der Sommerferien zusammenfällt, der überall präsente Wunsch, auszubrechen aus der Dörflichkeit und das Wissen, dass es den Wenigsten gelingen wird, das Fremdschämen und das Aushalten-Müssen peinlicher Situationen. „Siebzehn“ ist ein 104 Minuten langer Blick ins Leben einer kleinen Menschengruppe im Nirgendwo und Überall, der sein Publikum mit Erinnerungen beschenkt, mit der Realität, mit sich selbst.




Siebzehn
von Monja Art
AT 2017, 104 Minuten, FSK 12,
Salzgeber

Hier auf DVD.

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VoD (OmU): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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