Super 8 ½

TrailerVoD

Inspiriert von Fellinis Klassiker „Achteinhalb“ (1963) reflektiert Bruce LaBruce in seinem zweiten Spielfilm „Super 8 ½“ aus dem Jahr 1994 semi-autobiographisch den tiefen Fall eines selbstdestruktiven Porno-Auteurs. Randvoll mit Verweisen auf die etablierte und weniger etablierte Filmgeschichte geht sein Film immer wieder bis dicht an die Grenze des guten Geschmacks – und darüber hinaus. Das lustvoll selbstreflexive Biopic ist aber auch eine wüste Parade von Punk- und Underground-Stars wie Vaginal Davis, Ben Weasel und Richard Kern. Jetzt gibt es „Super 8 ½“ in digital restaurierter Fassung im Salzgeber Club zu sehen und auf DVD. Christian Lütjens über die Frage, warum Bruce LaBruces zweiter Langfilm heute noch genauso unerschöpflich und aufregend ist wie bei seiner Premiere vor 27 Jahren.

Foto: Salzgeber

Bruceploitation

von Christian Lütjens

Fangen wir mal mit der Sexszene an. Mit welcher? Berechtigte Frage, denn es gibt derer viele in „Super 8 ½“. Gemeint ist natürlich die mit fünf Minuten Dauer längste und expliziteste am Anfang des zweiten Filmdrittels. Die, in der der auf ein Comeback hoffende Pornostar Bruce und sein Co-Star und Rivale Jonny Eczema sich erst gegenseitig einen blasen und dann ficken. Die, in der die Kamera so nah ans Geschehen rankommt, dass man meint, die Linse müsse beschlagen. In der man alles im Close-up sieht, von Bruces Totenkopfringen bis zu seinen herausgewachsenen Haaransätzen, von Jonnys Lidstrich bis zu seinem Zungenpiercing, von Bruces Sommersprossen bis zu seinen Tattoos, von der Penetration bis zum Cumshot. Diese Szene soll an dieser Stelle mal als Indikator für die Zeitlosigkeit dieses Films fungieren, der heute, 27 Jahre nach seiner Uraufführung, gleichermaßen als Dokument seiner Entstehungsepoche funktioniert wie er sich als zeitloses Kunstwerk behauptet.

Denn in der Sexszene steckt alles drin, was „Super 8 ½“ ausmacht. Sie ist Teil eines Films im Film, von denen es hier rund ein Dutzend gibt. Sie nimmt in ihrer gemächlichen Selbstverständlichkeit Bezug auf Warhols „Blue Movie“, der immer wieder in unterschiedlichen Formen zitiert wird. Sie ist vom lasziven Hammondorgel-Schlager „Fotomodelle“ unterlegt, der erstens im gleichen Jahr herauskam, in dem auch „Blue Movie“ gedreht wurde (nämlich 1968), und zweitens aus der Feder des italienischen Komponisten Piero Umiliani stammt, der die Filmmusik der europäischen Exploitation-Ära in den Sechzigern und Siebzigern mitprägte, die „Super 8 ½“ persifliert. Sie ist provokant und sinnlich zugleich, wird aber am Ende von einer ironischen Voice-over von Bruces Antagonistin Googie durchbrochen, die hochnäsig darüber plaudert, dass der Titel „Super 8 ½“ eine „cheesy reference“ zu Bruces Schwanzgröße sei („Inches, nehme ich an“), die der Realität aber natürlich nicht gerecht werde.

Geht man von diesem Punkt in die Metaebene und besinnt sich darauf, dass der Filmtitel in Wahrheit auf Fellinis semi-autobiographisches Drama „Achteinhalb“ (1963) zurückgeht, dessen Handlung hier sehr frei und sehr queer nacherzählt wird, ist der weite Referenzrahmen von „Super 8 ½“ grob abgesteckt. Mit der Betonung auf grob. Denn die wundervoll schamlosen Screentest-Plaudereien und Vorschnall-Dildo-Spielchen der heimlichen Stars des Films – die lesbischen Friday-Sisters, von denen eine von Googie-Darstellerin Stacy Friedrich verkörpert wird – wären damit ebenso wenig erwähnt wie der Cameo-Auftritt des schwulen „Larry Sanders Show“-Comedians Scott Thompson, die zahllosen Verweise auf die schwule Ikonografie von „Sunset Boulevard“ (1950) bis „Wizard of Oz“ (1939, Switch von Schwarz-Weiß zu Farbe) und die Thematisierung der Aids-Ära, in der der Film entstand.

Foto: Salzgeber

Das revolutionäre Potenzial und der enorme Wert von „Super 8 ½“ als Dokument der queeren Gegenkultur seiner Zeit lässt sich gut daran verdeutlichen, dass der Film seine Weltpremiere am 1. April 1994 feierte – nur zehn Tage, nachdem Tom Hanks für „Philadelphia“ (1993) seinen ersten Oscar als bester Hauptdarsteller bekam. So kurios die Gegenüberstellung dieser beiden Filme auf den ersten Blick anmutet, so erhellend ist sie auf den zweiten. Wo die Kernaussage von Jonathan Demmes schwergewichtigen Aidsdramas lautete, dass schwuler Sex tödlich sei, wird dieser in „Super 8 ½“ offensiv zelebriert. Nicht ohne Kondom und ohne Bewusstsein –  die damalige Angst und die schwulen Diskurse über Aids werden in schnodderigen Kommentaren und Filmausschnitten mit prominenten Opfern der Krankheit wie Rock Hudson und Anthony Perkins aufgegriffen, und auch die Überhöhung des Liz-Taylor-Klassikers „Telefon Butterfield 8“ (1960) bekommt eine tiefere Bedeutung, wenn man Taylors damaligen Status als Aids-Wohltäterin Nummer Eins mitdenkt –, aber die Sex-Sequenzen als solche sind lustvoll und angstfrei und im wörtlichen Sinne lebendig.

Was zu einem weiteren bemerkenswerten Aspekt der zuvor beschriebenen Szene führt: Wären die virtuosen Schnitte, die Sixties-Mucke und die schwarz-weiße Schmalfilmoptik nicht, ginge der Fünf-Minuten-Fick ohne weiteres als Auswurf der semi-professionellen Amateur-Sextape-Kultur von heute durch. Bei denen schwanken die Protagonisten genauso zwischen Selbstvergessenheit und bewusstem Flirt mit dem Zuschauer wie „The Reluctant Pornstar“ (laut Filmhandlung der ursprüngliche Titel für „Super 8 ½“) Bruce es mit seinem zufriedenen Grinsen und seinen lasziven Blicken in die Kamera tut.

Foto: Salzgeber

Und nun sollte man wohl endlich mal den Namen LaBruce erwähnen und die Trennung von Filmfigur und ihrem Schöpfer vornehmen. Denn bei aller Selbstreferenzialität hat der „reluctant Pornstar“ Bruce wenig mit Bruce LaBruce, dem Regisseur, Künstler und Überzeugungstäter zu tun, obwohl er von ihm selbst gespielt wird. Sein Alter Ego ist vielmehr Antagonistin Googie. Auch das Ausbeutungsmotiv der „Bruceploitation“, das der Geschichte des gefallenen Stars, der beim Versuch eines Comebacks in den Abgrund des Wahnsinns gestoßen wird, innewohnt, dürfte (anders als bei den autobiografischen Motiven Fellinis) nicht das Grundgefühl gewesen sein, das den damals 30-Jährigen LaBruce umtrieb. „Super 8 ½“ war sein zweiter Langfilm und trotz des künstlerischen Achtungserfolgs des Vorgängers „No Skin Off My Ass“ noch nicht mit der internationalen Resonanz auf den Nachfolger „Hustler White“ befrachtet.

So war der Film vor allem eine konsequente nächste Stufe in der Kreation der Kunstfigur Bruce LaBruce, die hier nach Warhol’schen Factory-Prinzip ihren eigenen Mythos nährte und sich nach der punkigen Anarchie von „No Skin Off My Ass“ als romantischer Revoluzzer offenbarte. Denn bei aller Explizität, Provokation, Wildheit, Ironie und intellektueller Rastlosigkeit ist „Super 8 ½“ im Kern vor allem ein nostalgischer Ritt durch die Gestade der queeren Ästhetik und Kultur und ein romantischer Blick auf die Welt, die Kunst, den Sex, die Freiheit und das Selbst. Weil der Film schon retro war, als er 1994 rauskam, ist er auch nicht schlecht gealtert. Man könnte vielleicht sagen, er ist, wie Googie am Anfang beschrieben wird: „rücksichtslos und verletzlich, ehrgeizig und gleichgültig, hässlich und schön“. Unerschöpflich und aufregend also!




Super 8 ½
von Bruce LaBruce
CA/DE/US 1994, 99 Minuten, FSK k.J.,
englische OF mit deutschen UT, 
Salzgeber

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

↑ nach oben