Enfant Terrible

Trailer Kino

Ein Biopic über Rainer Werner Fassbinder (1945-1982), das sagenumwobene und höchst produktive Genie des Neuen Deutschen Films, das heute in einer Reihe mit Orson Welles, Jean-Luc Godard und Douglas Sirk steht – das muss man sich als zeitgenössischer Regisseur erst mal zutrauen. Oskar Roehler traut sich bekanntermaßen einiges zu und hat dabei in der Vergangenheit durchaus auch schon mal queer-affine Filme gedreht wie „Agnes und seine Brüder“ (2004, mit Fassbinder-Star Margit Carstensen), denen man ansieht, dass RWF ein starkes filmisches Vorbild ist. Wie nahe Roehler dem Meister und dessen wilder künstlerischer Wahlfamilie in seinem leicht aktifiziellem und teils originell besetztem Spielfilmporträt kommt, hat Fassbinder-Kenner Andreas Wilink für uns erkundet.

Foto: Weltkino

Eine Liebe, das kostet immer viel

von Andreas Wilink

Das Motto, das Oskar Roehler seinem Film voranstellt, stammt von Oscar Wilde. Jeanne Moreau singt dessen Gedicht als Madame Lysiane in Fassbinders letztem Film „Querelle“: „Each man kills the thing he loves“. Ins Deutsche übertragen und angelehnt an ein Zitat aus einem anderen Film von RWF würde die Zeile sinngemäß heißen können: „Eine Liebe, das kostet immer viel“. Um diese Rechnung und um diese Bilanz geht es: in Fassbinders Filmen, Stücken und Stoffen. Diese Erfahrung prägte sein kurzes maßloses Leben, das – nicht anders als Zelluloid auch – aus brennbarem Material bestand und dessen Nächte wie Tage waren, denn: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“. Der Preis des Liebens ist wiederum ebenfalls das Leitmotiv, das Roehler und sein Drehbuchautor Klaus Richter in „Enfant Terrible“ anschlagen.

1982 ist das Genie des Neuen Deutschen Films mit nur 37 Jahren gestorben. Das riesige Werk (40 Filme, zwei Fernsehserien, zwei Dutzend Theaterstücke) bleibt präsent – in den restaurierten Filmen, auf der Bühne, weltweit in Museumsausstellungen, Archiven und Akademien dank der RWF Foundation. Fassbinder wollte, dass sein Name neben Orson Welles, Raoul Walsh, Douglas Sirk und Godard steht. Das tut er.

Fassbinders Filme erzählen von den Träumen der Menschen und wie sie kaputt gehen – die Träume und die Menschen, an der Lüge, an der Ausbeutung des Gefühls, durch Herrschaftsverhältnisse und den „Angstapparat aus Kalkül“, wie Fontane in seinem Roman „Effi Briest“ schreibt, den Fassbinder brechtisch-elegisch in Schwarzweiß verfilmt hat. Fassbinder machte Hollywood-Kino über die deutsche Geschichte vom Wilhelminischen Kaiserreich über die Weimarer Republik und die Nazi-Diktatur bis in die Bundesrepublik, von Effi Briest bis zur Kölner Arbeitswelt in „Acht Stunden sind kein Tag“ (1972) und der RAF, von Lili Marleen zu Lola. Filme über Frauen wie Martha, Petra von Kant, Elvira Weishaupt, die Putzfrau Emma, Maria Braun und Veronika Voss. Und Filme über Männer wie den Franz Biberkopf vom „Berlin Alexanderplatz“ (1980) und den Franz in vielerlei anderer Gestalt.

Foto: Weltkino

Oskar Roehlers „Enfant Terrible“ ist auferstanden aus gemalten Kulissen-Ruinen. Sie sind nicht artifiziell, schwül gleißend und glühend wie in Fassbinders Genet-Adaption „Querelle“ (1982) mit Brad Davis und Franco Nero, sondern mehr so wie Bad Segeberg, wenn Wally Bockmayer dort die Karl-May-Festspiele inszeniert hätte. Die herbe Eleganz des mit dem Filmband in Gold ausgezeichneten „Die Unberührbare“ aus dem Jahr 2000 über seine Mutter Gisela Elsner hat Roehler längst aufgegeben.

Das ebenso als Hommage wie als Demontage funktionierende Biopic wirkt eher komisch, angeschmuddelt und – absichtsvoll oder unfreiwillig – dilettantisch. Es ist, als würden – nicht bloß metaphorisch – die Wände wackeln, ob als Dekor für eine Berlinale-Pressekonferenz, einen New Yorker Darkroom oder Frankfurts Rotlicht-Milieu als Schauplatz von Fassinders erschütternd persönlichem Film-Requiem „In einem Jahr mit 13 Monden“ (1978). Sähen die Filme Fassbinders so aus, wie die Methode ihres Entstehens und ihr Stilvermögen bei Roehler es suggerieren, stünde jedenfalls sein Name kaum in einer Reihe mit oben genannten Meistern.

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Die Besetzung freilich ist perfekt, kongenial gecastet die legendäre Fassbinder-Family, deren männliche Mitglieder sämtlich von ihrem Dompteur, Dominus und Darling Frauennamen bekamen, was auf Grund von Roehlers zusätzlich eigenen V-Effekten einige Verwirrung stiften kann: der geschniegelte Kurt Raab (Hary Prinz), der schöne Ulli Lommel (Lucas Gregorowicz), die schläfrige Schygulla (Frida-Lovisa Hamann), die ferne autonome Geliebte Ingrid Caven (Katja Riemann), der athletische, aber fade Günther Kaufmann (Michael Klammer), Isolde Barth als Mutter Lilo in der nachgestellten, Macht-Manipulation pointierenden Dialogszene aus „Deutschland im Herbst“ – und Oliver Masucci als RWF. Verschwitzt, mit Seehundschnäuzer und Wampe in schwarzer Lederkluft, später das Fell wechselnd zum gefleckten Raubtier-Look, wie RWF ihn in der Rolle des Polizeioffiziers Jansen in Wolf Gremms Wahlöö-Verfilmung von „Kamikaze 1989“ (1982) trägt: geduckt, lauernd, wölfisch wach, gemein, greinend, wehleidig, todtraurig – ein Beutemacher und das Monument kreativer Zerrüttung.

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Die Episoden reihen sich von Anfang an: 1967 beginnt die Karriere des ‚begabten Kindes’ am Action-Theater; es folgt der erste Spielfilm „Liebe ist kälter als der Tod“ (1969) im Stil von Jean-Pierre Melvilles Gangster-Dramen. Immer wieder Momente schräger Dreharbeiten, die schummrige Münchner Wohnhöhle in Kackbraun, Männersex, fatale Liebe und Kokain, seine Allmachtphantasien, Unterwerfung und Abhängigkeit, die Freunde El Hedi – der in „Angst essen Seele auf“ (1974) neben Brigitte Mira (gespielt von Eva Mattes mit lispelndem Gebiss) vor der Kamera steht – und Armin, die sich beide umbringen werden, die Bleierne Zeit des Terrors, der Panik und Paranoia der siebziger Jahre, Rudi Schuricke, der von den Caprifischern singt, der Skandal um „Die Stadt, der Müll und der Tod“ (1976) am Frankfurter TAT, der die Jüdische Gemeinde aufbrachte, zum Verbot der Inszenierung führte und Fassbinder (fälschlich) unter Antisemitismus-Verdacht stellte. So war das damals in der BRD. Oder so ähnlich.

Vieles fehlt bei Roehler – wie sollte es auch anders gehen, außer man dreht 13 Folgen und einen Epilog wie RWF für den ihn lebenslang begleitenden Döblin-Roman „Berlin Alexanderplatz“ – und geht wild durcheinander, aber wer wollte hier die Wahrheit beschwören und sie von der Legende trennen. Aufs Ganze gesehen: ein irrer Geniestreich. Aber durch ‚Genie’ machen wir einen Strich. Übrig bleibt dann: der Streich.




Enfant Terrible
von Oskar Roehler
DE 2020, 134 Minuten, FSK 16,
deutsch OF,

Weltkino

Ab 1. Oktober im Kino.

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