Herz aus Dynamit

TrailerDVD/VoD

Claudia und María rasen auf einem Motorrad durch Guatemala City. Nach einem Abend auf dem Rummel werden die beiden von drei Männern brutal angegriffen. Claudia will weit weg, die große Stadt hinter sich lassen. María hat einen anderen Plan: Sie will Vergeltung. In ihrem Spielfilmdebüt „Herz aus Dynamit“ wirft Regisseurin Camila Urrutia einen schonungslosen Blick auf sexualisierte Gewalt, Diskriminierung und soziale Ungerechtigkeit, die in ihrer Heimat Guatemala weit verbreitet sind. Anja Kümmel über das queerfeministisches Rachedrama, das zugleich ein leidenschaftlicher lesbischer Liebesfilm ist.

Foto: Salzgeber

Permanenter Kriegszustand

von Anja Kümmel

Steht eine geladene Waffe auf der Bühne, wird sie früher oder später abgefeuert – so viel wissen wir, spätestens seit Anton Tschechow. Kein Wunder, dass einem in den Anfangsszenen von Camila Urrutias Spielfilmdebüt „Herz aus Dynamit“ etwas mulmig wird, als eine der Hauptfiguren spielerisch die Pistole ihres Vaters auf ihre Freundin richtet und sich dann selbst den Lauf an die Stirn hält. Auch wenn die beiden jungen Frauen dabei eher wie frisch verliebte Teenager wirken, die sich auf dem Bett balgen, lachen und herumalbern. Man ahnt: Es könnte nicht gut weitergehen.

Claudia gibt in der vorgestellten Konstellation den schüchtern-schwärmerischen Tomboy mit pink gefärbtem Wuschelkopf, Lederjacke und Motorrad. Mit ihrem gewinnenden Lächeln und ihren langen dunklen Haaren wirkt María äußerlich femininer, im Lauf des Films allerdings entpuppt sie sich oftmals als die dominantere der beiden. Über die Natur ihrer Beziehung verliert der Film indes nicht viele Worte. Sind María und Claudia ein Liebespaar oder „nur“ beste Freundinnen, die sich ausprobieren? Wie lange kennen sie sich bereits und was empfinden sie füreinander? In der erwähnten Szene hat nicht nur die Pistole ihren ersten Auftritt – subtil legt die Regisseurin in diesen Minuten bereits den gesamten Plot ihres Langfilmdebüts an, inklusive der fragilen Dynamik zwischen den beiden Hauptfiguren: Marías Impulsivität, die leicht in Provokation, auch Manipulation umschlagen kann; Claudias verliebte Blicke, die immer wieder auf der Freundin ruhen und andeuten, dass sie auf dem besten Weg ist, ihr komplett zu verfallen. „Beschützen wir uns nicht gegenseitig?“ fragt María, als sie bemerkt, dass Claudia sichtlich verstört über die Präsenz der Waffe in ihrem Haus ist. Und Claudia erwidert: „Doch, klar. Draußen ist es echt gefährlich.“

Berühmte letzte Worte – denn schon bald kippt „Herz aus Dynamit“ von einer zarten lesbischen Romanze in ein düsteres Gewalt- und Rachedrama. Eben noch sehen wir die beiden jungen Frauen auf Claudias Motorrad durch Guatemala City brausen, über den Dächern der Stadt den Flugzeugen nachschauen und davon träumen, an einen anderen, freieren Ort zu entschwinden. Kurz darauf werden sie zurückgeworfen in die harsche Realität: Nach einem Jahrmarktbesuch werden sie brutal von drei Männern überfallen und entgehen nur knapp einer Vergewaltigung.

Im Folgenden setzt sich ein kaum aufzuhaltender Strudel in Bewegung, der die Figuren unerbittlich in die Tiefe reißt: Während Claudia den Schock hinter sich lassen und mit María auswandern möchte, ist diese besessen von Rachefantasien, die sie mithilfe der Pistole ihres inhaftierten Vaters in die Tat umzusetzen gedenkt. Urrutia geht das Wagnis ein, die Mikroebene eines Beziehungsdramas in all seinen Facetten und parallel dazu die Metaebene gesellschaftlicher Zustände zu beleuchten – größtenteils gelingt das, manchmal jedoch kommen die komplex verwobenen Schichten, die „Herz aus Dynamit“ zeitgleich erfassen will, einander auch in die Quere.

Foto: Salzgeber

Zum einen begleiten wir zwei Menschen, die ein traumatischer Einschnitt komplett zu verschlingen droht, ein Paar, das nach und nach an dieser Erfahrung zerbricht. Der Film wählt hierfür berührende Nahaufnahmen, die nahezu nonverbal die Verzweiflung, die Wut und Hilflosigkeit, aber auch den punktuellen Zusammenhalt zwischen den Protagonistinnen einfangen. Es ist tragisch mitanzusehen, wie sich die Liebesgeschichte erst in ihrer Dysfunktionalität voll entfaltet, wie sich auch die erotische Energie zwischen den Hauptpersonen vor allem im Konflikt entlädt. Wie sehr sie aufeinander angewiesen, ja emotional voneinander abhängig sind, wird erst hier im vollen Ausmaß spürbar. Stets ist die Kamera ganz nah dran an ihrer Mimik und Gestik, fängt ihre Aufgewühltheit und Zerrissenheit in instabilen Winkeln, schnellen Bewegungen und verwackelten Bildern ein.

Urrutia braucht keine Worte, um den extremen Widerwillen zu zeigen, mit der Claudia die Waffe reinigt, ihre im Innern geballte Eifersucht, als María einen kleinkriminellen Kumpel für ihre Rachemission anheuert, aber auch ihre bedingungslose Liebe, die sie tiefer und tiefer in den Strudel der Gewalt hineinreißt. Musik setzt die Filmemacherin ebenso minimalistisch ein – fast ausnahmslos als diegetisches Element, etwa wenn María und Claudia mit ihrer Clique in einem Club tanzen gehen.

Dabei nimmt der Film in Kauf, dass die Figuren in anderen Aspekten, die nicht ihre Paar-Dynamik betreffen, kaum greifbar werden. So deutet Urrutia nur kurz an, dass María Musik macht und allein mit ihrer Mutter wohnt, während Claudia im links-aktivistischen Haushalt ihres Großvaters aufgewachsen ist. Auch Homophobie scheint kaum ein Thema zu sein. Vielleicht, weil die beiden jungen Frauen in der Öffentlichkeit als „beste Freundinnen“ wahrgenommen werden? Zumindest Claudias Opa ist offensichtlich im Bilde über die Natur ihrer Beziehung. In einer Schlüsselszene, in der Claudia ihm erzählt, dass sie mit María in die USA ziehen möchte, fragt er: „Liebt María dich?“ Und Claudia erwidert: „Irgendwann vielleicht.“ Solche Momente, die kleine Schlaglichter auf das Umfeld und den Hintergrund seiner Hauptfiguren werfen, bietet der Film leider zu wenige – auch wenn sie pointiert gesetzt sind.

Foto: Salzgeber

Warum Claudia und María es letztendlich nicht schaffen, einander zu beschützen (wie anfangs versprochen), erzählt „Herz aus Dynamit“ indes auf einer weiteren Ebene, die beinahe en passant den Kern des Films transportiert. Auch wenn der Fokus auf einem zwischenmenschlichen Liebes- und Rachedrama zu liegen scheint, geht es im Wesentlichen um die toxischen Zustände, in denen Mädchen und Frauen in Guatemala aufwachsen, um die Gefahrenzone, die sowohl der familiäre als auch der öffentliche Raum bedeutet. Wenn eine Frau kein Motorrad besitzt, um sich frei zu bewegen, und keine Waffe, um sich im Notfall zu wehren, ist sie verloren – auch das ist die traurige Message des Films. Und selbst diese Instrumente helfen den Protagonistinnen letztendlich nicht, der (sexualisierten) Gewalt zu entkommen, die sie umgibt. Zudem schwingen im Hintergrund stets die Traumata vergangener Bürgerkriege und die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung in Guatemala mit. Diese Verknüpfung verschiedener Formen von Diskriminierungen und Gewalterfahrungen erinnert an Rebecca Solnits Analyse der allgegenwärtigen „Rape Culture“, in der wir uns bewegen – in ihrem jüngsten Buch „Unziemliches Verhalten“ etwa vergleicht Solnit die Situation von Mädchen und Frauen damit, „in einem Kriegszustand zu leben, den niemand um mich herum als solchen anerkannte“.

Foto: Salzgeber

In einer so unscheinbaren wie zentralen Szene, in der Claudias Anzeige auf der lokalen Polizeiwache nicht aufgenommen werden kann, weil das Papier ausgegangen ist, prangert Urrutia nicht nur den Machismo, die Ineffizienz und die Korruption in ihrem Heimatland an – sie weitet zugleich den Blick auf ein systemisches Problem, das sich nicht national begrenzen lässt. Selbstjustiz oder Flucht bleiben oftmals die einzigen Möglichkeiten, der Ungerechtigkeit, dem Schweigen und der Ohnmacht zu entrinnen – denn auch heute noch wird Gewalt gegen Frauen tendenziell trivialisiert, erotisiert oder schlichtweg ignoriert. Dass Claudia und María über die versuchte Vergewaltigung mit niemandem sprechen, bildet eine bezeichnende Leerstelle – der Vorwurf einer Mitschuld wird bereits instinktiv mitgedacht, ganz zu schweigen von der Scham, der sie ausgesetzt wären. Stattdessen müssen sie alleine bzw. zu zweit mit etwas klarkommen, das viel größer ist als sie selbst. Auch wenn es ihnen gelänge, individuelle Rache zu üben, blieben die Angst, das Schweigen, das permanente Auf-der-Hut-sein, mit dem Mädchen und Frauen (nicht nur) in Guatemala leben, weitgehend unangetastet. „Es erwischt dich, auch wenn es dich nicht erwischt“, schreibt Solnit in „Unziemliches Verhalten“ – „Herz aus Dynamit“ füllt diese so treffende wie traurige Aussage auf bildgewaltige, berührende und oftmals verstörende Weise mit Fleisch und Blut.




Herz aus Dynamit
von Camila Urrutia
GT 2019, 84 Minuten, FSK 16,

spanische OF mit deutschen UT,
Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


↑ nach oben