Khaled Alesmael: Selamlik

Buch

In seinem autobiografisch gefärbten Debütroman „Selamlik“ erzählt der syrische Autor Khaled Alesmael von Furat, der in einer gutbürgerlichen Familie aufwächst. Während seiner Studienzeit in Damaskus erkundet Furat das heimliche Leben schwuler Männer in Parks, Saunen und Pornokinos. Während des Bürgerkriegs werden die Schwulen des Landes von islamistischen Rebellen gezielt gejagt. Als das Haus von Furats Familie von Kampftruppen attackiert wird, flieht der junge Mann nach Schweden und wird dort im Asylantenheim erneut mit der Homophobie seiner Landsleute konfrontiert. Unser Autor Matthias Frings über eine wuchtige Geschichte zwischen Sex und drohendem Tod.

 

Die Düfte Syriens und der Tod

von Matthias Frings

Vor drei Jahren erzählte ein ebenfalls bei Albino erschienener Roman vom Leben, Lieben und Leiden eines jungen Mannes in einer nicht näher bezeichneten arabischen Stadt – und ein kleines Wunder geschah: „Guapa“ von Saleem Haddad fand nicht nur begeisterte Leser, sondern erntete auch großes Lob im deutschen Feuilleton, was für einen dezidiert schwulen Roman immer noch selten ist. Eine ähnliche Einladung, seine (Lebens-)Welt kennenzulernen, seine Herkunft, sexuelle Biografie, seine Ziele und Träume nebst deren Spiegelung in der Wirklichkeit, spricht nun auch der junge Syrer Khaled Alesmael mit seinem Roman „Selamlik“ aus. Wie in „Guapa“ berührt auch hier das leidenschaftliche Verlangen junger Menschen in arabischen Ländern, von zutiefst korrupten, autoritären, von Religion und Machtcliquen dominierten Gesellschaften nicht länger ausgebremst zu werden. Sie sind es leid mitanzusehen, wie Generation für Generation um ihr Leben betrogen wird, und wollen über sich selbst entscheiden, ihre Sexualität leben, religiös sein dürfen, aber nicht müssen. Kurz: Sie fordern Freiheit.

Spielte „Guapa“ noch am Beginn des arabischen Frühlings, der nahtlos in einen Winter überging, fügt „Selamlik“ dem nun einen aktuellen Abgesang hinzu, berichtet von Krieg, Zerstörung, Verlust und Flucht. Aber der Reihe nach: Zuerst lernen wir einen aufgedrehten Neunzehnjährigen namens Furat kennen, Schmetterlinge im Bauch, Hummeln im Hintern, der sich schön macht, um einen Jungen zu treffen, mit dem er sich den ersten Sex erhofft. Die Selbstverständlichkeit, mit der dieser dann über Laken und Fußboden geht, lässt noch nichts von einer Gesellschaft ahnen, in der islamistische Rebellen einen Schwulen mal eben so von einem Hochhaus stürzen, einem Land, in dem Männer nur einen lieben dürfen, Assad, erst den Vater jetzt den Sohn, und wo ansonsten nur die Wahl zwischen Selbsterleugnung oder Verlust der sozialen Existenz bleibt.

Dann ein harter Schnitt. Vom glühenden Damaskus geht es ins kühle Schweden, wo Furat vierzehn Jahre später Asyl beantragt. Nachdem sein Leben in Syrien im wahrsten Wortsinn in Trümmern endete, bleibt ihm nichts als die Flucht – nur um im Asylantenheim dieselben homophoben Sprüche hören zu müssen wie zu Hause.

Khaled Alesmael – Foto: Sebastien Genet

Selamlik heißt soviel wie „Palast der Männer“, und die Wahl dieses Titels lässt schon ahnen, dass hier keine reine Blut/Schweiß/Tränen-Geschichte abgeliefert wird. Die mehrfach gescheiterte Flucht mit ihren Verheerungen wird lediglich gestreift, die Wirren des Bürgerkrieges geben eher Kulisse und Zündstoff für eine Éducation sexuelle ab als für eine große Anklage. Leitmotiv und Antrieb dieses Romans ist immer wieder und zunehmend die sexuelle Lust, und so lernt man die Topographie von Hamams, Parks, Saunen, Kaschemmen und sogar Darkrooms kennen, die man so in Syrien nicht vermutet hätte. Für westlich-rationale Denkweisen ist es nicht leicht zu verstehen, mit welch überbordender Sinnenfreude und vor allem Selbstverständlichkeit in Badehäusern und an sonstigen Treffpunkten jenseits der Kategorien Homo und Hetero gevögelt wird, während offen zur Schau getragene Homosexualität ein lebensbedrohliches Stigma bleibt. Alles ist möglich und von allem viel – solange der Schein gewahrt wird, das unablässige Mantra arabischer Gesellschaften. Die Dringlichkeit des sexuellen Erlebens ist teilweise den Bedrohungen durch Krieg, Tod und Vertreibung geschuldet. Alesmael nimmt uns mit in sein geliebtes, vom Terror geschütteltes Damaskus, lässt uns spüren, wie es sich anfühlt, bei einem Raketenangriff unter dem Bett zu liegen, während rundherum das Haus zu Bruch geht.

Verglichen mit den Gräueln in Syrien, der Auslöschung eines Teils seiner Familie, den Nachstellungen und Plünderungen durch Assads Milizen ist der lange Aufenthalt in einer schwedischen Asylanteneinrichtung ein Spaziergang, aber Angst, Aussichtslosigkeit, Langeweile, das Alleinsein und das Wissen darum, hier ebenfalls von Schwulenhassern umgeben zu sein, macht die Lage nicht erträglicher. Auch hier muss er ein anderer sein. „Wir weinten, weil wir noch lebten und weinten, weil wir tot waren.“

Furat erinnert sich an seine Arbeit als Journalist, von der man gerne mehr erfahren hätte, berichtet davon, wie während des Irakkriegs ausgerechnet die Ankunft von fast zwei Millionen Flüchtlingen einen Schub der Liberalität ins Land brachte. Ein ganzes Stadtviertel mit Entertainment, Bars, Clubs und sogar Peepshows entstand, ein Eldorado für junge Leute. Erst recht veränderte die massenhafte Verbreitung von Smartphones und Laptops das Leben der Jungen. Mit Manjam gab es sogar ein schwules Netzwerk mit tausend Nutzern in Damaskus. Furat chattet nun weltweit und ist bei einem Gespräch mit einem Skandinavier baff, dass man oben im Norden solch viel frequentierte Orte freier mannmännlicher Sexualität wie im Hamam nicht kennt. Und dabei hatte er doch gerade dort das Paradies der Schwulen verortet.

Zwischen Sex und drohendem Tod bewegt sich der Roman, der im strengen Sinn keiner ist, sondern eine Mischung aus Bericht, Reportage, (Auto)Biografie und Porträt. Trotz oder gerade wegen aller Widrigkeiten gewinnt immer wieder die sexuelle Lust die Überhand, ob auf der Flucht in einem Transenpuff in Istanbul, im Hamam mit einem Touristen, im Asylantenheim mit einem zärtlichkeitsbedürftigen Vater, der von seiner Familie getrennt wurde. Und dann gibt es diese verbalen Eruptionen, die eine Besonderheit dieses Buches ausmachen. Manchmal brechen wilde Sprachwucherungen den Erzählfluss auf, Phantasmagorien voller Gewalt, Sex und Religion. Zunächst wirkt das wie die nachvollziehbaren Auswirkungen eines Kriegstraumas, doch mit zunehmend ausgewalzten Ausschweifungen mag der Text zwar an Genet erinnern, wie ein schwedischer Rezensent notiert, man kann aber auch finden, dass hier ein junger Autor sein „Naked Lunch“ nicht sonderlich gut verdaut hat.

Was den Stil des Romans angeht, fällt es schwer, Formulierungen wie „die Wände unserer glücklichen Küche“ und Sätze wie „Schutzsuchend umklammerten wir einander wie zwei Stacheldrähte“ oder „Wir spritzten einander eine warme Lache in den Körper“ ohne inneres Zähneknirschen zu schlucken. Sprache und Konstruktion sind es nicht, die dieses Buch lesenswert machen, sondern die seltene Möglichkeit, aus unverhoffter Nähe das Leben in Syrien kennenzulernen, einmal hinter die bekannten Nachrichtenstereotypen schauen zu dürfen. Alesmael erweitert unsere Bilder beträchtlich, fügt ihnen Farbe und Geruch hinzu, nimmt einen mit generöser Offenheit bei der Hand. Und so treffen wir keine Pappkameraden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut – in Syrien, in der Türkei, in Schweden. Und natürlich in den Palästen der Männer.




Selamlik
von Khaled Alesmael
Aus dem Syrischen und Englischen von Christine Battermann und Joachim Bartholomae
Gebunden mit Schutzumschlag, 252 Seiten, 24 €,
Albino Verlag

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