Kiss Me Kosher

Trailer Kino

„Shalom Shabbat“: Bereits bei der Begrüßung in Tel Aviv läuft so einiges durcheinander. Und es soll noch komplizierter werden für ein lesbisches Paar, das eigentlich nur zusammen in die Zukunft blicken will, dabei aber mit familiärem Widerstand und der eigenen Geschichte konfrontiert wird. Autorin und Regisseurin Shirel Peleg verhandelt in ihrem Spielfilmdebüt „Kiss Me Kosher“, das jetzt im Kino läuft, auf offene, unterhaltsame Weise die deutsch-israelischen Beziehungen und macht dabei mit viel Witz auch Platz für kulturelle Annäherungen und Neuanfänge, findet unsere Autorin Elisabeth Hergt.

Foto: X Verleih

Hochzeit auf Jüdisch

von Elisabeth Hergt

Maria Müller, eine angehende Wissenschaftlerin aus Stuttgart, ist nach Israel gereist, um ihre Freundin Shira in ihrer neuen Wohnung zu besuchen. Seit drei Monaten sind die beiden ein Paar und bis jetzt lief im Grunde alles ganz entspannt. Doch schon bei der Ankunft kommt es durch ein Missverständnis zwischen den beiden zum Spontanantrag. Da dem Glück bisher nichts im Wege stand, sind sie optimistisch im Hinblick auf das anstehende Familienessen. Von den Konflikten, die durch ihre Verlobung ausgelöst werden, ahnen sie zunächst nichts.

Shiras Familie – das sind Vater Ron Shalev, Mutter Ora und die Geschwister Liam und Ella – hat Maria schnell ins Herz geschlossen, äußert jedoch immer wieder Bedenken zu ihrer Herkunft und einer potentiellen Nazivergangenheit. Bruder Liam ist ein Freund offener Worte, verehrt seine „israelisch-deutschen Lesben“ und dreht sogar einen Kurzfilm über sie für die Schule. Erbarmungslos hält er dabei drauf und stellt, ohne Rücksicht auf vermeintliche Tabus, sehr direkte Fragen.

Über allen und allem thront aber Großmutter Berta, die sich strikt gegen eine Heirat ausspricht, dabei aber ihre eigene „unkonventionelle“ Beziehung mit dem Palästinenser Ibrahim geheim hält. Oma ist „The Real Jewish Princess“, tritt cool auf und bewundert ihre unabhängige Enkelin, die eine Bar schmeißt und dafür bekannt ist, schon zahlreiche Frauen gedatet zu haben. Das ist wiederum ein Punkt, der Berta an der großen Liebe von Shira zweifeln lässt – und auch Maria zunehmend verunsichert. Eine Deutsche, „Hitlers Brut“, kann sie darüber hinaus sowieso nicht akzeptieren. Und so kommt es zum unweigerlichen Bruch zwischen den Generationen. Als dann auch noch Marias Eltern Hans und Petra vor der Tür stehen, nimmt das Chaos vollends seinen Lauf …

Foto: X-Verleih

Dass Shira und Maria lesbisch sind, ist hierbei nicht das zentrale Thema des Films. Die gesellschaftspolitischen und religiösen Grenzen, die sie in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränken, dagegen schon. Es muss also diskutiert werden, und dabei kracht es ordentlich am Tisch. Die beiden jungen Frauen fühlten sich bisher frei in ihren Entscheidungen. Bei feinem Essen müssen sie nun feststellen, dass andere ihrer Beziehung gerne Vorgaben machen würden. Shiras liberaler Vater Ron besteht darauf, dass Maria im Zuge der Hochzeit konvertiert, um den „Fluch“ der Dreifaltigkeit zu brechen: lesbisch, nicht-jüdisch und deutsch. Marias Eltern hingegen hatten eher „was Linksradikales oder Feministisches“ erwartet und es lieber gesehen, wenn ihre Tochter erst mal für die Bürgerrechte und die Homoehe auf die Straße gegangen wäre.

Tatsächlich wäre ihre Ehe zwar von symbolischem Wert, aber eben zu diesem Zeitpunkt nicht legal. Israel gilt als tolerantester Staat im Nahen Osten, Tel Aviv als Zentrum für die homosexuelle Szene. Von dieser Offenheit, dem Leben in der Stadt, hätte man im Film gerne mehr gesehen. Nicht umsonst gibt sich Shira so selbstbewusst als lesbische Frau. Mit 13 hatte sie ihr Coming-out. Wenn man sie nun dabei beobachtet, wie gelassen sie ihren zahlreichen früheren Liebschaften begegnet, dann verweist das auch darauf, dass sie sich innerhalb der Community auslebt, ihre Sexualität nicht unterdrückt, sondern schlichtweg genießt. Als so uneingeschränkt aufgeschlossener Charakter erklärt sie damit auf natürliche Art und Weise ihren Lebensstil für zweifelsfrei gesellschaftsfähig.

Foto: X-Verleih

„Kiss Me Kosher“ präsentiert mitreißenden und charmanten Kitsch. Shirel Peleg erzählt eine Geschichte, die von persönlichen Ereignissen inspiriert ist. Neben dem schönen Zusammenspiel des internationalen Ensembles trägt auch die Musik zur Unterhaltung bei: Eine eigene Band begleitet das Geschehen, Bands wie Balkan Beat Box, A-WA und das traditionelle „Hava Nagila“ sorgen für beschwingte Stimmung. In anderen lesbischen Filmen der letzten Jahre wie „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (2018) oder Sebastián Lelios „Ungehorsam“ (2017) fallen die Charaktere gemeinhin den Konventionen ihrer Zeit zum Opfer. Lesbisches Leben findet filmisch im Rahmen kultureller Aspekte selten einfach statt, sondern wird meist direkt problematisiert – und ist dann fast immer mit Tragik behaftet. Als Zuschauerin wünscht man sich zunehmend ein breiteres Spektrum: die Entwicklung hin zu einer radikaleren Selbstverständlichkeit, die inhaltliche Vielfalt zulässt, à la „The Favourite“ (2018), ein Film der frivol, absurd, unterhaltsam und dazu noch very gay ist.

Foto: X-Verleih

Bei „Kiss Me Kosher“ wird man als Zuschauerin zur Abwechslung tatsächlich mit hoffnungsvollen Gefühlen aus einer lesbischen Liebesgeschichte entlassen. Die beiden Frauen sind im Verlauf der Handlung freilich zunehmend gefordert, ihren etwas zu idealisierten Beziehungsplan mit einer realistischen Perspektive abzugleichen. Dazwischen geraten: verwirrende Gefühle, die besagten Exfreundinnen, ein Unfall und der tiefe Schatten des Holocaust, der es vor allem Großmutter Berta schwer macht, sich zu öffnen und etwas Neues heranwachsen zu sehen. Auch darum geht es im Film: Maria und ihre Familie müssen sich dem Grauen der deutschen Vergangenheit stellen und gleichzeitig einen eigenen Zugang zur Trauer entwickeln. Diese Prozesse werden im Film emotional und ernst verhandelt, aber auch, der Komödie entsprechend, durch leichtere Momente und pointenreich aufgelockert. Irgendwann wird getanzt und geküsst, alles fügt sich anders, als vielleicht anfangs vermutet. Oder wird die Feier am Ende doch noch gesprengt? Egal. Die Liebe bleibt chaotisch.




Kiss Me Kosher
von Shirel Peleg
IL/DE 2020, 101 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,

X Verleih

Ab 10. September im Kino.

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