Benedikt Wolf: Mit Deutschland leben! Felix Rexhausens Literatur zwischen Zersetzung und Formspiel

Buch

Felix Rexhausen (1932-1992) war als Schriftsteller, Journalist und Satiriker einer der wenigen Störenfriede, die schon zu Beginn der 1960er Jahre dem Mief der Adenauer-Ära den Kampf ansagten. Seine undogmatische Vernunft war der Ideologie der Zeit in vielem voraus. Neben Hubert Fichte und Guido Bachmann zählte er damals zu den wenigen offen schwul auftretenden Autoren deutscher Sprache. Der Germanist Benedikt Wolf hat nun die erste Monografie zu Rexhausens Werk geschrieben. Unser Autor Dino Heicker hat sie gelesen.

 

Das Ich und die Illusion

von Dino Heicker

Mit dem Roman „Lavendelschwert“ schuf sich der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Journalist Felix Rexhausen 1966 einen Namen als Verfasser des ersten schwulen Romans der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch, einst hieß Kölns schwuler Buchladen – Rexhausen war 1932 in dieser Stadt auf die Welt gekommen – nach diesem Roman, der einen Aufstand deutscher Homosexueller schildert, der jedoch zum Scheitern verurteilt ist. 1978 und 1999 neu herausgegebenen ist dieses Buch heute wohl das bekannteste Werk des 1992 in Hamburg verstorbenen Autors, der nach seinem Studium 1961 mehr oder minder zufällig Mitarbeiter beim WDR geworden war, wo er mit satirischen Radioglossen nachdrücklich auf sich aufmerksam machte.

Seine Karriere als Autor begann zwei Jahre später. Und so erschienen unter anderem Bücher wie „Mit deutscher Tinte“ (1965), in dem Briefsteller satirisch aufs Korn genommen wurden, „Die Sache“ (1968), hier persiflierte der Autor pornografische Klischees, oder „Von großen Deutschen“ (1969), eine Verballhornung von Hagiografien, aber auch Gedichtbände wie „Gedichte an Bülbül“ (1968), „Spukspaßspitzen“(1970) und „Die Lavendeltreppe“ (1979). Nach einer Tätigkeit beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ von 1964 bis 1966 ging Rexhausen nach Hamburg, wo er ebenso wie in Leipzig bereits als Kind gelebt hatte. Rudolf Augstein hatte den Satiriker als Autor für den „Spiegel“ verpflichtet, doch nach zwei Jahren trennten sich die Wege wieder und Rexhausen war fortan als freiberuflicher Schriftsteller hauptsächlich für den NDR tätig, schrieb aber bis an sein Lebensende immer wieder auch für schwule Zeitschriften wie zum Beispiel die „him“, wo er bereits im Januar 1971 dazu aufrief, die Bezeichnung „Schwuler“ mit Stolz zu tragen.

Nach seinem Tod wurde Rexhausen als offen schwuler Journalist gewürdigt, indem 2001 ein vom Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen vergebener Medienpreis für engagierten Journalismus nach ihm benannt wurde, was jedoch den Protest einiger lesbischer Journalistinnen hervorrief, die der Meinung waren, der Autor habe in zwei Erzählungen aus den 1960er-Jahren sexuelle Kontakte zu Minderjährigen verharmlosend dargestellt. Dieser Vorwurf wurde im Verband ausführlich diskutiert und letztlich als unbegründet zurückgewiesen. Als die Stadt Köln 2014 beschloss, ein Platz hinter dem Hauptbahnhof solle Rexhausens Namen bekommen, erregte das den Unmut des schwulen katholischen Theologen David Berger, der daraufhin die alte Debatte noch einmal aufwärmte. Prompt verschob die Stadt Köln die für Mai 2015 geplante Taufe des Platzes, doch auch die Attacke aus dem rechten Lager erwies sich als substanzlos. Seitdem trägt der Platz seinen neuen Namen und auch der Preis wurde nicht umbenannt.

Benedikt Wolf – Foto: Dragan Simicevic

Nachdem sich die Aufregung wegen der angeblichen Pädophilie des Autors gelegt hat, kann man sich wieder unvoreingenommen mit ihm und seiner Literatur befassen. Dies tut nun die Monografie „Mit Deutschland leben! Felix Rexhausens Literatur zwischen Zersetzung und Formspiel“ des 1985 in Filderstadt geborenen Literaturwissenschaftlers Benedikt Wolf, der vor zwei Jahren seine Dissertation „Penetrierte Männlichkeit: Sexualität und Poetik in deutschsprachigen Erzähltexten der literarischen Moderne (1905–1969)“ vorgelegt hat, in der es unter anderen auch schon um Rexhausens schwule Sexualität explizit zu Wort bringenden Erzählband „Berührungen“ von 1969 ging.

Der Titel von Wolfs neuem Buch spielt unverkennbar auf die berühmt-berüchtigte Radiosatire „Mit Bayern leben!“ an, die Rexhausen nach der Ausstrahlung im WDR am 19.  September 1963 schlagartig berühmt gemacht hatte. „In der täglich neuen Bewältigung der Tatsache Bayern“, hieß es darin, „läge die Chance zur Reifung. Bayern als die den Deutschen auferlegte Prüfung, die immer neu zu bestehen ist. Andere Völker müssen mit einem Vesuv leben oder mit regelmäßig eintreffenden Lawinen oder mit Heuschreckenschwärmen – und sie können dem nicht entgehen. Wir könnten den Bayern entgehen. Wieviel höher also der moralische Gewinn, wenn wir freiwillig uns dieser Aufgabe stellen, mit ihnen zu leben. Mit Bayern leben!“ Das heißt, eigentlich machte ihn die Aufregung berühmt, die ihm aus der bayerischen Provinz entgegenschlug und körbeweise Drohbriefe eintrug. Einer derselben war gar dem damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel aus der Feder geflossen: „Im Namen des Freistaates Bayern erhebe ich den schärfsten Protest gegen die in ihrem Inhalt nicht zu qualifizierende Glosse über Bayern. Ich bin der Erwartung, dass der Westdeutsche Rundfunk die geeigneten Schritte zur Wiederherstellung der Ehre Bayerns unternimmt.“ Bundeskanzler Konrad Adenauer ließ es sich seinerzeit nicht nehmen, in einer öffentlichen Rede Öl ins Feuer zu gießen: „Man soll kritisieren, aber wie das jetzt geschieht, zum Teil auch im Rundfunk alles schonungslos herunterzureißen, dass ist wahrhaftig eine Sünde gegen den demokratischen Gedanken.“ In Köln beschloss man daraufhin, den Satiriker zwar nicht zu feuern, aber unter seinem eigenen Namen durfte er im Radio vorerst nicht mehr in Erscheinung treten, und so mussten die Bayern weiter mit Rexhausen leben, freilich ohne es zu wissen.

Wolfs Untersuchung, die ihre Herkunft keineswegs verleugnet, entstand im Rahmen eines europäischen Forschungsprojektes mit der hippen Bezeichnung „Crusing the 1970s: unearthing pre-HIV/AIDS queer sexual cultures“, einem Teilprojekt der 2012 gegründeten Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität an der Berliner Humboldt-Universität. In drei Abschnitten werden jeweils die autobiografischen Schriften, die schwulen Werke der 1960er-Jahre sowie die Lyrik Rexhausens in den Blick gefasst. Erklärte Absicht des Ganzen: „Diesem Buch geht es darum, die Literatur Felix Rexhausens zu charakterisieren. Es möchte ein Bild des Gesamtwerks skizzieren, einzelne seiner Texte im Detail vorstellen und Rexhausens Schreiben in seinen Kontexten beleuchten.“ Zu diesem Zweck hat der Autor unter anderem den im Archiv des Schwulen Museums aufbewahrten Nachlass gesichtet, und ein darin entdeckter autobiografischer Text mit dem Titel „Wie Hamburg nämlich“, 1987 im Auftrag des Christians Verlag verfasst, wird nun zum ersten Mal abgedruckt. In kritischer Auseinandersetzung mit den Thesen des französischen Strukturalisten Philippe Lejeune kommt Wolf zu dem Schluss, Rexhausen bevorzuge „eine bestimmte Spielart des Autobiografischen“, nämlich „fiktive Autobiografien, die natürlich keine Autobiografien sind, sondern nur vorgeben, es zu sein.“ Dass dies durchaus auch auf dessen biografische Satiren wie dem in der Eremiten-Presse erschienenen Band „Von großen Deutschen“ zutrifft, sei hier am Rande vermerkt.

Ebenfalls im Nachlass befindet sich das 1964 entstandene Romanmanuskript „Zaunwerk. Szenen aus dem Gesträuch“, das, wäre es seinerzeit veröffentlicht worden, noch vor dem „Lavendelschwert“ einen dezidiert schwulen Roman auf den Markt gebracht hätte. Jetzt ist geplant, den Roman 2021 in der Bibliothek rosa Winkel zu veröffentlichen. Wolf schlüsselt in seiner Analyse des schwulen Œuvres Rexhausens genau auf, welche Teile dieses Romans später in die „Berührungen“, aber auch ins „Lavendelschwert“ übergegangen sind. Was Letzteres angeht, macht der Verfasser anhand des immerwährenden Kalenders die interessante Beobachtung, dass die im Text angeführten Tages- und Monatsangaben die Handlung eindeutig auf das – damals noch in der Zukunft liegende – Jahr 1975 festlegen, was ja angesichts einer Auflehnung gegen den § 175 durchaus Sinn ergibt.

Für die „Gedichte an Bülbül“ arbeitet Wolf andererseits akribisch heraus, wie raffiniert die titelgebende Nachtigall einer eindeutigen geschlechtlichen Festlegung entzogen wird und deutet diese Taktik des Autors rezeptionsästhetisch: „Bülbül ist eine Chiffre für das Poetische selbst, für die Erfahrung, die wir machen, wenn wir Gedichte lesen – samt der erotischen Dimension, die diese Erfahrung hat.“ Hier wie auch in der übrigen literarischen und publizistischen Produktion Rexhausens sieht Wolf eine „dissidente Grundhaltung“ am Werk, die sich als „engagierte Fürsprache für die Außenseiter, nicht nur, aber vor allem die schwulen Außenseiter“ kundgebe. Dass er bei seinen Gedichten, aber auch in seiner Prosa gekonnt mit traditionellen Versformen, Stilarten und Redeweisen jonglierte, oder, anders gesagt, mit den althergebrachten Formen spielte, ist Rexhausen ebenso unabdingbar eigen wie eine gewisse Melancholie als, wie er schrieb, trauermatter Erzengel.

Interessant ist, was Wolf im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit Rexhausens Schaffen ausdrücklich für uninteressant erklärt: die psychische Struktur des empirischen Autors zu analysieren, ein Werturteil über die Qualität von dessen Literatur zu fällen oder der Autorintention in dessen Gedichten nachzuspüren. Auch wenn gegenwärtig eine Autorintention eher für die Editionsphilologie von Interesse ist, sind die beiden anderen Forschungsansätze nicht so ohne Weiteres abzutun, hier bestünde durchaus die Möglichkeit, den Autor und sein Werk noch schärfer in den Blick zu fassen, wie denn überhaupt eine gut fundierte Biografie Rexhausens bislang noch ein Desiderat darstellt. Sehr verdienstvoll ist die vom Autor geleistete literaturwissenschaftliche Kärrnerarbeit. Die von ihm zusammengestellte und eingestandenermaßen unvollständige Bibliografie weist für die literarischen und journalistischen Werke Rexhausens allein schon 395 Einträge auf und lüftet nebenbei so manches vom Autor für Beiträge in schwulen Zeitschriften gebrauchte Pseudonym.

Ohne genauer auf die Biografie Rexhausens einzugehen, weist Wolf dennoch mehrfach darauf hin, wie enttäuscht der Autor war, stets nur als Satiriker wahrgenommen zu werden, dessen ernste Anliegen gerne als bloßer Spaß abgetan wurden. Er, der sich an den realen Verhältnissen in der Bundesrepublik der späten 1960er- und 1970er-Jahre rieb, gerade auch wenn es um die nach dem Dritten Reich munter weitergeführte Kriminalisierung von Homosexuellen ging, hätte sich eine stärkere gesellschaftliche Wirkung gewünscht. Er selbst sprach in diesem Zusammenhang von der „Möglichkeit, daß Satire Zersetzung bewirkt“, hielt es jedoch für unwahrscheinlich, „daß sie ihr Ziel erreicht“. Dennoch hat er es, unter Zuhilfenahme einer formal geschliffenen Sprache, immer wieder versucht. Zuletzt, als sein Witz doch ein wenig schal geworden war, geriet er wegen ausbleibender Aufträge in finanzielle Schwierigkeiten, und Manuskripte wie „Die Ich-Illusion“ wurden von etlichen Verlagen abgelehnt und liegen bis heute ungedruckt im Nachlass.




Mit Deutschland leben!
Felix Rexhausens Literatur zwischen Zersetzung und Formspiel
von Benedikt Wolf
Kartoniert, 208 Seiten, 24 €,
Männerschwarm Verlag

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